Jungdesigner Samuel Gärtner: „Ich liebe es, mit den Geschlechterrollen zu spielen“
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Samuel Gärtner und seine Models bei seiner ersten Show auf der diesjährigen Frankfurter Fashion-Week Anfang Juli.
© Quelle: Open Iso
Männer in rosa Röcken, die zwischen Dinosauriern laufen. So in etwa sah die erste Modenschau von Jungdesigner Samuel Gärtner auf der Frankfurter Fashion-Week Anfang Juli aus. Sein Ziel: Menschen sollen ihre Emotionen und ihren Charakter mit Mode nach außen tragen können – ganz ohne typische Geschlechterrollen. Dabei ist die Kollektion des Frankfurters anfangs nur als verrückte Idee durch Lockdownlangeweile entstanden, erzählt er im Interview mit dem RedaktionsNetzwerk Deutschland.
Herr Gärtner, vor gut einem Monat haben Sie Ihre erste Kollektion auf der Frankfurter Fashion-Week im Senckenberg-Museum präsentiert. Wieso diese Kulisse zwischen Dinos?
Das ist nicht so tiefgründig, wie man glaubt. Ich finde die Location einfach wunderschön und habe wegen meiner Kindheit eine sehr emotionale Bindung dazu. Damals habe ich dort sehr viel Zeit verbracht. Die Dinosaurier sind einfach beeindruckend, und ich liebe es, solche Dinge mit Mode zu kombinieren. Sowohl die Kunst im Städel-Museum als auch jetzt in dem Fall die Geschichte. Es ist eigentlich nur Ästhetik.
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Ein Model auf Samuel Gärtners Fashion-Show auf der Frankfurter Fashion-Week.
© Quelle: Florian Müller
Was war das für ein Gefühl, dann letztendlich die Models mit Ihren Werken zu sehen?
Es gab einige Teile, die vorher noch nie von einem Model getragen worden waren. Das war einfach krass, die komplette Kollektion zu sehen. Es ist sehr emotional gewesen, ich stand die ganze Zeit unter Strom – den ganzen Abend. Aber es hat Spaß gemacht.
Wie lange haben Sie für die Kollektion gebraucht?
Das ist schwierig zu sagen. Ich habe letztes Jahr coronabedingt dauernd zu Hause gehockt und wusste nicht, was ich tun soll. Dann hab ich angefangen zu nähen. Aus einer Schnapsidee ist die Kollektion entstanden. Irgendwann habe ich dann auf die Fashion-Week zu gearbeitet. Als ich einige Teile hatte, dachte ich: „Ganz ehrlich? Die Fashion-Week kommt nach Frankfurt, ich glaube, das ist ein Zeichen.“ Ich habe das ganze Jahr durchgenäht.
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Als einer von wenigen durfte Samuel Gärtner das Frankfurter Städel-Museum als Fotokulisse verwenden.
© Quelle: Florian Müller
Sie sagen, Sie haben während der Corona-Krise damit angefangen. War das gar nicht Ihr Plan A, Designer zu werden?
Ich habe viel zu viele Interessen und bin immer ein bisschen damit überfordert gewesen, auch als Kind schon. Ich konnte mich nie entscheiden und habe immer viele Sachen ausprobiert. Design war eigentlich immer schon ein Traum von mir – ich liebe Mode, ich liebe es, kreativ zu sein, neue Sachen zu entwerfen. Jetzt habe ich angefangen Musik- und Eventmanagement zu studieren. Einfach aus dem Grund, weil ich damit sehr viele Sachen machen kann. Auch, wenn ich diese ganze Situation hasse, bin ich ein bisschen dankbar für Corona und für die Maßnahmen der Regierung und dass ich so lange zu Hause gehockt habe. (lacht) Ich hatte vor einigen Jahren schon einmal diesen Plan. Jetzt habe ich ihn wieder aufgegriffen – es war wie Schicksal.
Sie studieren jetzt also Eventmanagement. Haben Sie dann auch Ihre eigene Show mitgeplant?
Meine Show war zu 100 Prozent ich. Außerhalb der Unterstützung von meiner Familie war da niemand. Das ist auch so ein Problem von mir: Ich gebe nicht gern Arbeit ab. Aber die Show habe zu 95 Prozent ich gemacht. Von der Eventlocation, dem Planen, das Stylen der Models. Ich bin danach auch direkt krank geworden, weil mein Immunsystem an dem Abend komplett zusammengebrochen ist.
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Was wollen Sie mit Ihrer Kollektion oder Ihrer Mode generell aussagen?
Das ist mein Standardsatz, aber auch meine Intention, warum ich das mache: Ich möchte anderen die Möglichkeit geben, ihre Emotionen und ihren Charakter nach außen zu tragen. Mode ist dafür da, dass man sich selbst zeigt, und nicht nur, um sich zu bedecken und Kleidung zu tragen. Ich liebe es auch, mit den Geschlechterrollen zu spielen und mit femininen und maskulinen Kleidungsstücken herumzuspinnen und das aufzubrechen. Das ist auch mein Ziel. Ich persönlich liebe es, mich verrückt anzuziehen – verrückt ist immer relativ, für mich ist das halt normal.
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Gegen Geschlechterrollen: Samuel Gärtner kleidet auch seine männlichen Models in Röcke.
© Quelle: Florian Müller
Sie haben es gerade schon selbst angesprochen: Eines Ihrer männlichen Models hat bei Ihrer Show ein rosa Oberteil mit Rock getragen – teilweise waren die männlichen Models auch geschminkt. Ist das ein Statement oder einfach ein Teil Ihrer Normalität?
Ich würde es nicht als Statement bezeichnen. Für mich ist das einfach nichts Außergewöhnliches, und das sollte auch normal sein. Natürlich ist es ein Statement – aber ich finde das immer so ein hartes Wort. Ich will schon ein Zeichen damit setzen: „Werd’ mal ein bissl locker.“ Gerade in Deutschland habe ich das Gefühl, dass die Leute noch ein bisschen Zeit brauchen, um entspannter mit dem Thema umzugehen. Dass nicht diese ganzen Stereotype richtig sind und dass man nicht immer irgendwelche Sachen erfüllen muss, nur weil man Mann oder Frau ist – oder was auch immer. Ich will das aufbrechen, und Deutschland braucht da noch einen kleinen Tritt von hinten. (lacht)
Sie beschreiben sich online selbst als „echten Frankfurter Bub“. Welchen Einfluss hat denn Ihre Heimat auf Sie und Ihre Arbeit?
Ich liebe Frankfurt. Ich bin sehr stolzer Frankfurter und hab hier auch meine ganze Kindheit verbracht. Frankfurt ist sehr international, und natürlich hat es mich auch in der Hinsicht geprägt, dass meine ganzen Kontakte, meine Freunde, mein Umfeld auch immer sehr international waren. Das ist das, was ich an Frankfurt am meisten liebe: Hier ist jeder willkommen. Auf der anderen Seite ist Frankfurt modisch gesehen jetzt nicht gerade das Vorzeigebild, aber das ist Deutschland allgemein nicht. Auf der anderen Seite hat Frankfurt auch dadurch, dass es so viele unterschiedliche Menschen gibt, alles: vom Hipster bis zum Banker. Ob das im Endeffekt modisch ist, ist natürlich eine andere Frage. (lacht)
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Ein Model posiert in der Kleidung von Gärtners erster Kollektion.
© Quelle: Open Iso
Tragen Sie Ihre eigene Mode eigentlich auch selbst?
Jein. Das ist ganz interessant. Ich weiß nicht, woran es liegt: Ich denke immer an andere Menschen, wenn ich meine Kleidung entwerfe. Ich sehe mich selbst nicht in den Sachen – das ist ganz komisch. Vielleicht ist das ein komischer Vergleich, aber Karl Lagerfeld hat auch nie seine eigenen Sachen getragen.
Kann man Ihre Kleidung irgendwo schon kaufen?
Leider noch nicht. Es gibt bis jetzt nur Slides von meiner Marke, also Badelatschen, die man erhalten kann. Sonst sind das bis jetzt alles Einzelstücke. Dazu kommt, dass ich diese Teile nicht verkaufen möchte, weil ich mich selbst nicht als den perfekten Schneider sehe. Ich glaube jegliche Schneider, die sich meine Schneiderkünste angucken würden, wären wahrscheinlich leicht entsetzt. Ich möchte auch keine Couture machen, wo es dann immer nur Einzelteile gibt. Mein Ziel ist es, wirklich zu produzieren. Aber da möchte ich natürlich darauf achten, dass es nicht zu umweltschädlich produziert wird. Das ist jetzt noch eine Challenge, die ich versuche zu meistern, und mal schauen, was da in den nächsten Monaten passiert.
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Das Bild zeigt ein Model während Samuel Gärtners Show auf der Frankfurter Fashion-Week im Juli.
© Quelle: Florian Müller
Haben Sie Vorbilder?
Es gibt viele Designer und Marken, die ich toll finde – ich bin schon ein Markenfreak. Jetzt nicht, weil die Marke draufsteht, aber weil ich auch die Kunst dahinter sehe und auch den Designer. Natürlich war Karl Lagerfeld eines der Vorbilder, aber das ist das absolute Klischee. Er war einfach ein Genie und seine Arbeit war immer von vorne bis hinten perfekt. Deswegen habe ich auch das Senckenberg-Museum ausgesucht, weil ich einfach eine schöne und ästhetische Kulisse haben wollte – da hat er zum Beispiel auch immer sehr viel Wert drauf gelegt. Natürlich gibt es noch viele andere, die ich inspirierend finde. Aber nicht nur aus der Modewelt: Ich höre zum Beispiel auch immer die „Drei ???“ beim Nähen. (lacht) Das unterstützt meine Kreativität. Ich weiß nicht, woran das liegt.
Ich bin durchgehend selbst im Wandel. Letztens habe ich eine Instagram-Umfrage gemacht. Dann kam die Frage, was meine Lieblingsmarken sind: Im Moment sind es die und die Marken. Aber nächste Woche kann es wieder komplett anders sein. Ich bin jede Woche ein anderer Mensch.
Was sind Ihre Träume für die Zukunft?
Natürlich wäre es ein Traum, dass meine Marke funktioniert, dass ich damit erfolgreich werde. Das ist so der Traum, und da muss ich jetzt erst mal schauen, wie ich den umsetze.