Befreiung der Bühnen! Für mehr weibliche Acts auf Festivals
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Auf deutschen Festivalbühnen stehen zu wenig Frauen, meint Kolumnistin Ninia LaGrande.
© Quelle: Getty Images for Coachella
Der Sommer beginnt – und damit die Festivalsaison. Was auffällt: Headliner sind fast ausschließlich männliche Acts. Das nervt. Und die Begründungen erscheinen oft fadenscheinig: Chartstürmer seien eben die Männer, Festivals befänden sich in Nischen, die sich nun mal langsamer entwickelten, plus die abgekaute Geschichte von „niemanden gefunden“. Ein Blick in die Charts der letzten Monate reicht, um festzustellen, dass da einige Künstlerinnen mit Headlinepotenzial herumschwirren. Nicht zuletzt das DCKS-Festival im vergangenen Jahr, initiiert von der Comedian Carolin Kebekus, hat gezeigt, dass es auch anders geht. Man(n) muss es nur wollen.
All das erinnert mich an meine Anfangszeiten auf den Slam-Bühnen dieser Republik. Vor 15 Jahren waren Frauen dort in der absoluten Unterzahl – und irgendwie auch unangenehm. Während Männer sechs Minuten über ihren Penis lamentierten und sich das Publikum dabei vor Lachen kringelte, waren Frauen, die auf gleiche Weise über ihre Brüste oder Vulva sprachen, ein bisschen zu viel für alle. Frauen hatten Liebesgeschichten oder Lyrik zu machen und egal, wie gut diese Lyrik war, sie wurde immer abwertend als Mädchenlyrik bezeichnet.
Wenn ich bei einem Slam anfragte, ob noch ein Startplatz für mich frei sei, hörte ich nicht selten, die beiden Startplätze für Frauen – zwei von zehn – seien schon besetzt. Im Backstage wurde mir ungefragt von männlichen Kollegen erklärt, wie ich meine Texte und Performance aus ihrer Sicht noch verbessern könnte, zum Beispiel keinen BH anziehen. Und bei der Forderung nach mehr Diversität auf den Bühnen wurde nur herzlich gelacht. All das hat sich geändert. Vor allem, weil Frauen auch in der Organisation von Poetry- und Lesebühnen wichtige Rollen eingenommen haben. Denn die Verhältnisse auf den Bühnen ändern sich erst, wenn sie sich auch dahinter ändern.
„Die Verhältnisse auf den Bühnen ändern sich erst, wenn sie sich auch dahinter ändern.“
Ninia LaGrande
Und hier schließt sich der Kreis zu den großen Musikfestivals: Die Organisation liegt häufig in männlicher Hand. Männer buchen Männer, bewusst oder unbewusst. Der Anteil der männlichen Acts bei deutschen Festivals lag 2019 bei über 80 Prozent. Das wird sich über die schwierigen Corona-Sommer nicht komplett gewandelt haben. Die Initiative Keychange will das ändern – ursprünglich in England gestartet, verpflichten sich auch immer mehr deutsche Veranstalter dazu, mindestens die Hälfte des Line-ups nicht männlich zu besetzen.
Die Initiative unterstützt sowohl Veranstaltende als auch Künstlerinnen und Künstler dabei, die Musikbranche geschlechtergerechter zu gestalten. Muss das sein? Ja. Von selbst tut sich da sehr wenig. Obwohl die Nachfrage da ist – wenn die Festivals ihre Line-ups veröffentlichen, gibt es von Besuchern aller Geschlechter oft empörte Nachfragen und Forderungen. Eine fast rein männlich besetzte Bühne ist weder zeitgemäß noch spiegelt sie den Geschmack der Fans.
Wer mehr weiblichen Acts Chancen bietet, hat außerdem gute Aussichten, in Zukunft noch mehr weibliche Acts zu finden. Das Ziel muss nicht heißen, dass die Slots genau 50/50 besetzt werden, sondern, dass wir uns nicht mehr wundern, wenn ein Festival in ferner Zukunft eine Frauenquote von über 50 Prozent erreicht. Weil es – wie die Organisatoren ja gerne betonen – nämlich um die Qualität gehen sollte.
Ninia LaGrande ist Autorin, Moderatorin und Schauspielerin. Sie sitzt im Gleichstellungsbeirat der deutschen G7-Präsidentschaft.
In der Kolumne „Auf der Couch“ schreiben wechselnde Expertinnen und Experten zu den Themen Diversität, Achtsamkeit, Karriere und Gesundheit.