Homewear statt Maßanzug: Trendanalyst zur Pandemiemode 2021 und danach
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Homewear ist der Modehit in Zeiten des Lockdowns und Homeoffices. Das wird erhalten bleiben, vermuten die Trendexperten.
© Quelle: Juvia/dpa-tmn
Köln. Dieses Zitat wird derzeit viel genannt: Der Modezar Karl Lagerfeld sagte einst, wer Jogginghose trägt, habe die Kontrolle über sein Leben verloren. Nun, in Zeiten einer weltweiten Pandemie, ist genau jene, ehemals als Modesünde verschriene Hose zum beliebten Kleidungsstück avanciert.
Egal ob im Homeoffice, auf der Straße oder der Couch: Die Jogginghose ist allgegenwärtig. Und sie ist nur ein Indiz dafür, wie stark sich die Mode seit Corona entwickelt hat.
Trendanalyst Carl Tillessen vom Deutschen Mode-Institut in Köln sagt im Interview mit dem dpa-Themendienst, es hätte noch nie eine vergleichbare Situation gegeben, in der sich die Mode so schnell so radikal verändert hätte.
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Die Pandemie und wir
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Menschen wollen die Bequemlichkeit ungern wieder abgeben
Was werden die großen Trends dieses Jahr in der Mode?
Carl Tillessen: Im Prinzip das ganze Spektrum zwischen Homewear und wirklicher Sport-Ausrüstung - und allem, was dazwischen liegt. Also alles, was man zwischen Sofa und Yogamatte tragen kann, sozusagen. „Athleisure“ - also die Verbindung aus „athletic“ und „leisure“ - ist immer noch das große Ding. Das entspricht genau unserem Leben. Denn es gibt natürlich die Tendenz, es sich zu Hause so bequem wie möglich zu machen.
Wird sich das denn auch auf den Street-Style niederschlagen?
Auf jeden Fall. Vielleicht nicht unbedingt eins zu eins auf den Pyjama oder die Homewear. Aber die Geschichte lehrt uns, dass die Menschen eine einmal errungene Bequemlichkeit nicht wieder aufgeben. Zum Beispiel wurde vor circa 100 Jahren das Korsett durch das Reformkleid ersetzt. So eine Entwicklung lässt sich nicht zurück drehen.
Und wir haben uns eben an diese neue Bequemlichkeit gewöhnt. Wir haben ein Jahr lang die pflegeleichteste und bequemste Kleidung, die es auf dem Markt gibt, getragen - und das werden wir auch nicht wieder aufgeben.
Selbst wenn jetzt sämtliche Modedesigner der Welt gleichzeitig ein Comeback des High Heels propagieren würden, würden sich die Konsumentinnen dem verweigern. Weil sie die Bequemlichkeit von Sneakern, Badelatschen und so weiter so zu schätzen gelernt haben - und das ist in vielen Bereichen so.
Jersey als Material der Zukunft
Welcher Teil der Modeindustrie leidet besonders unter den Veränderungen?
Unsere Freizeitkleidung hat sich viel weniger verändert, als das, was wir im Beruf tragen, besonders im Büro. Das ist sehr, sehr einschneidend. Wir erleben gerade im Zeitraffertempo eine Entwicklung, die normalerweise wahrscheinlich zehn Jahre gedauert hätte.
In nur einem Jahr sind wir weggekommen von dem klassischen Business-Look, also Anzug, Hemd, Krawatte oder Kostüm und Bluse. Einfach, weil man jetzt im Homeoffice gar keine Verwendung mehr für diese Kleidung hat. Und ich denke, das wird, wie gesagt, auch in dieser Form nicht mehr zurückkehren. Wir werden bei dieser neuen Bequemlichkeit bleiben. Der „casual friday“ hat sich auf die ganze Woche ausgebreitet.
Und im Gegenzug dazu, wer hat besonders profitiert von der neuen Mode?
Naheliegenderweise die Homewear-Hersteller. Aber natürlich auch die richtigen Sport-Ausstatter wie Nike oder Adidas. Denn diese Kleidung wird eben nicht mehr nur zum Sport getragen, sondern auch bei der Arbeit zu Hause. Und auch in der Freizeit ist es genau das, was die Leute brauchen: Man will sich gerade einfach wohlfühlen.
Schlägt sich das auch auf bestimmte Materialien nieder?
Jersey wird das Material der Zukunft sein, man wird alles Mögliche aus Jersey machen. Das heißt zum Beispiel, dass viel mehr Hosen aus Jersey-Stoff sein werden. Die müssen dann aber gar nicht wie eine Jogginghose aussehen.
Oder ein anderes Beispiel ist das Polohemd: Wenn man im Büro schon noch ein Hemd trägt, dann soll das die Bequemlichkeit von einem T-Shirt haben. Das Gleiche gilt für Jersey-Blazer, die die Bequemlichkeit von Strickjacken haben.
Handschuhe erleben in der Pandemie ihr Comeback
Was bedeutet das für Schuhe, Hose und Oberteil konkret?
Fangen wir mal unten an: Da werden wir im Grunde beim Sneaker bleiben. Der wird aber eine neue Vielfalt entwickeln, auch an Optiken. Wir werden grundsätzlich das Prinzip der Bequemlichkeit und Leichtigkeit behalten. Das gilt auch für Hosen. Gummizughosen, die aber eben nicht wie Homewear aussehen oder wie Jogginghosen, die man zum Sport trägt, sondern schicker und gepflegter.
Und im Prinzip werden wir das auch bei Oberteilen sehen. Sweatshirts, Polohemden, aber eben nicht die ausgewaschenen, ollen Sportswearoberteile, sondern in edlerer und wertigerer Optik. Genauso werden sich die Leute in Zukunft lieber in federleichte, aber trotzdem sehr warme Steppjacken und -mäntel kleiden, um sich gegen die Kälte zu schützen. Und sich eben nicht mehr den kiloschweren Wollstoff antun wollen.
Die Mode wird also bequemer. Gilt das auch für Accessoires?
Mein Eindruck ist, dass sich durch das Masketragen die Aufmerksamkeit grundsätzlich eher vom Gesicht, das verhüllt ist, abwendet und der Blick eher nach unten wandert. Dadurch bekommen die Schuhe viel, viel mehr Aufmerksamkeit als früher. Der Schuh ist zu dem wichtigsten modischen Statement überhaupt geworden.
Welche Rolle spielt die Maske als Accessoire?
Ich denke, am Anfang haben die Leute versucht, den Masken auch ein wenig Spaß abzugewinnen. Aber das Thema ist schon wieder auf dem Rückzug, weil man die Bedrohung inzwischen sehr viel ernster nimmt. Deshalb trägt man jetzt lieber medizinische FFP-2-Masken als witzige Stoffmasken.
Ein Comeback erlebt momentan eher der Handschuh. Der galt länger als etwas altmodisch und uncool. Aber in der Pandemie, in der wir uns bewusst geworden sind, dass überall unsichtbare Viren lauern könnten, öffnen wir die Türe lieber mit einem Handschuh. Er hat jetzt eine neue Doppelfunktion: Er wärmt und schützt zugleich.
Mode: Outdoor-Trend und Seelenpflaster
„Hauptsache bequem und funktional“ - könnte das das Mode-Motto für 2021 sein?
Na ja, neben dem bequemen Homewear-Look haben die Leute noch einen anderen Look für sich entdeckt. Weil man sowieso nicht mehr in Läden und Restaurants gehen konnte, sind viele, wenn sie dann mal ihre Wohnung verlassen haben, eher raus aufs Land als rein in die Stadt gefahren.
Das heißt, viele Leute haben sich stärker nach draußen in die Natur begeben. Sie haben die Natur stärker genutzt, sage ich mal. Sie sind mehr outdoorsy geworden. Spazieren gehen, Joggen, Picknicken. Und dafür haben sie sich die passende Kleidung gekauft.
Und dadurch ist der entsprechende Look zum Trend geworden. Wachsjacken, Gummistiefel, Tweedkappen und so weiter. Während in den letzten Jahren alle Leute gern so urban wie Großstädter aussehen wollten, wollen sie jetzt gern ein bisschen rustikal aussehen. Der Landhausstil in der Kleidung hat gerade ein enormes Comeback.
Mode ist also immer noch ein Ausdruck der Gefühlslage?
Was wir vom Deutschen Mode-Institut vor allem beobachten, ist, dass diese Situation, die scheinbar komfortabel und entspannt ist, weil die meisten Menschen mehr Zeit zu Hause zugebracht und weniger gearbeitet haben, im Gegenteil als ein enormer Stress und eine enorme Belastung erlebt wird.
Wir empfinden es als sehr bedrückend, sind verängstigt und verunsichert. Daraus entstehen zwei große Bedürfnisse, die auch die Mode beantworten muss. Einmal das Bedürfnis nach Beruhigung. Wir wollen, dass unsere Kleidung uns mit kuscheligen Stoffen, hellen, neutralen Farben und entspannten Silhouetten beruhigt. Mode kommt mehr denn je die Aufgabe zu, ein Seelenpflaster zu sein.
Und auf der anderen Seite soll Mode ein Stimmungsaufheller sein. Die Menschen wollen Kleidung, die sie aufheitert, die ihnen ein Lächeln aufs Gesicht zaubert. Das ist der andere große Trend. Mode darf plötzlich sehr fröhlich, ja sogar auf eine kindische Weise übermütig sein. Vor der Krise fanden viele es immer noch eine gute Idee, auf alles Totenköpfe zu drucken. Jetzt kommt es gut an, wenn man auf alles Smileys druckt.
RND/dpa