Samt statt Sachlichkeit: So schillernd ist die Männermode 2022

Modischer Knaller: Zur Premiere seines letzten 007-Abenteuers in London erschien Daniel Craig in einem himbeerroten Samtsakko von Tom Ford.

Modischer Knaller: Zur Premiere seines letzten 007-Abenteuers in London erschien Daniel Craig in einem himbeerroten Samtsakko von Tom Ford.

Satinhemden, taillierte Hosen und für den ganz großen Auftritt ein cremefarbener dreiteiliger Anzug mit dunklem Hemd – Tony Manero arbeitet tagsüber als Verkäufer, aber wenn er am Wochenende ausgeht, dann kleidet er sich wie ein König der Nacht. Die Hauptrolle in „Saturday Night Fever“ brachte John Travolta eine Oscarnominierung ein und machte ihn nicht nur zum internationalen Star, sondern auch zum Idol männlicher Discogänger der glitzernden Clubära Ende der Siebziger- und Anfang der Achtzigerjahre.

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Heute fasziniert der Film immer noch mit seinen furiosen Tanzeinlagen zur Musik der Bee Gees. Doch ebenso augenfällig ist das Kostümdesign von Patrizia von Brandenstein. Sie widersetzte sich seinerzeit Travoltas Wunsch, im schwarzen Anzug die entscheidenden Tanzszenen zu drehen. Seine Partnerin hätte dann in ihrem roten Kleid deutlich mehr hervorgestochen. Tatsächlich überstrahlt Travolta Kollegin Karen Lynn Gorney ebenso wie alle anderen nicht zuletzt wegen seiner schillernden Outfits. Dass ein männlicher Hauptdarsteller abseits von Historiendramen auf der Leinwand eleganter, auffälliger und extravaganter gekleidet ist als die Frauen an seiner Seite, ist bis heute die große Ausnahme.

Mehr Mut bei der Garderobe

Auch im realen Leben dominiert das Schlichte und Sachliche die Männermode selbst bei besonderen Anlässen wie der eigenen Hochzeit, Ehrungen oder anderen Festakten. Bis jetzt. Denn es tut sich was auf Laufstegen, Bühnen, Podien und roten Teppichen. Modeschaffende und Prominente, die mehr Mut bei der Garderobe wagen, könnten die flächendeckende Eintönigkeit schwarzer Anzüge auch in Otto-Normal-Verbraucher-Schichten bald aufbrechen. Sie zeigen: Es hat nichts mit Gockelhaftigkeit oder mangelndem Understatement zu tun, wenn man(n) sich chic macht und dabei mehr auf Farbe und Stoffe wie Samt und Seide setzt.

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„Sie sollten ein Mörder mit stählernem Blick und beispiel­haftem Kleidungsstil sein, Mr. Craig.“

Piers Morgan,

Kolumnist

Bestes Beispiel dafür ist aktuell Daniel Craig. Als James Bond kam der Schauspieler zwar kaum aus seinen zwar eleganten, aber auch eben sehr dezenten dunklen Anzügen raus, aber zur Premiere seines letzten 007-Abenteuers in London erschien Craig in einem himbeerroten Samtsakko von Tom Ford. Der Designer hatte ihn zwar auch für die Agentenrolle ausgestattet, doch zum krönenden Abschluss setzten nun sowohl Ford als auch Craig statt auf zeitlose Zurückhaltung auf einen modischen Knaller.

Immerhin war der Auftritt in zweifacher Hinsicht besonders: Der heiß ersehnte Film lief nach coronabedingter Verzögerung endlich an und Craig verabschiedete sich als 007. Viele Fans bejubelten im Netz seine Garderobe. Der US-Kolumnist Piers Morgan indes ätzte auf Twitter: „Sie sollten ein Mörder mit stählernem Blick und beispielhaftem Kleidungsstil sein, Mr. Craig ... nicht ein Tribut an Austin Powers.“ Er fand das Sakko „geschmacklos“ und war sich sicher, dass Bond so etwas „nie tragen“ würde.

Extravaganz auch abseits von Hollywood

Warum eigentlich nicht? Wieso kann gerade ein so betont männlicher Kerl wie Craig respektive Bond keinen himbeerroten Samt tragen? Zum satirischen 007-Pendant Powers macht ihn das jedenfalls noch lange nicht. Lächerlich macht sich eher Morgan mit seinen Äußerungen über verkappte Männlichkeitsbilder. Beerenfarbenen Samt trug im Übrigen auch schon Robert Lewandowski bei der Auszeichnung zum Weltfußballer des Jahres 2020. Häme bezüglich seiner Sakkowahl blieb aus. Je nach Beruf und Image wird Männern mal mehr, mal weniger verziehen, wenn sie sich stylemäßig vorwagen.

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Der unter anderem auf Superhelden wie Spider Man oder John Prophet abonnierte Hollywoodstar Jake Gyllenhaal zeigte sich jüngst bei den Tony Awards wie selbstverständlich in einem sehr lässigen rosa Smoking. Von Lästerattacken ist nichts bekannt. Wer bei der Arbeit hauptsächlich kreischend bunte Comicfigurenkostüme trägt, fällt im zivilen Pastellfarbenlook offenbar eher angenehm auf. Überhaupt haben Männer im Showbusiness bei der Kleiderwahl weitgehend Narrenfreiheit. Vor allem, wenn es von Anfang an zu ihrem Image gehört.

Schauspieler Ben Whishaw entzückte allgemein mit Stickereien auf dem Revers seines Bond-Premieren-Outfits.

Schauspieler Ben Whishaw entzückte allgemein mit Stickereien auf dem Revers seines Bond-Premieren-Outfits.

Die Sänger Justin Bieber oder Harry Styles würden eher für Aufsehen sorgen, wenn sie sich öffentlich im klassischen Zweiteiler mit weißem Hemd und Krawatte zeigen würden. Schauspieler Ben Whishaw entzückte allgemein mit Stickereien auf dem Revers seines Bond-Premieren-Outfits. Warum sollten sich Männer abseits von Hollywood nicht auch optische Extravaganzen leisten, wenn sie ausgehen? Und zwar nicht in Form von Designerjeans und limitierten Sneakermodellen. Ein Hemd, das leicht schimmert, Oxford-Schuhe aus Lackleder, ein weinroter Anzug oder ein Sakko mit Glitzersteinen zählen von Boss bis Zara auf jeden Fall zum gängigen Sortiment. Wer das gewisse Etwas in der Herrenmode sucht, gilt jedenfalls längst nicht mehr als Exot oder unverbesserlicher Dandy.

Trend 2020: „Soft Comfort Formal“

Der klassische Anzug hat mittlerweile nur noch wenig mit „In-Schale-Schmeißen“ zu tun. Er gilt heute vor allem als Arbeitsuniform in Unternehmen, Banken und Versicherungen sowie von Politikern. Wenn diese andere Farben als Blau, Grau oder Schwarz wählen oder gar in Lederjacke vor die Kameras treten, ist ein Aufschrei in den sozialen Netzwerken gewiss.

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So war es bei Nochaußenminister Heiko Maas, als er 2018 wie ein „Berliner Hipster“ in Lederjacke und Turnschuhen vor laufenden Kameras Rede und Antwort stand, und so war es bei US-Präsident Joe Biden und seinem Vorgänger Barack Obama: Letzterer trat im August 2014 im beigefarbenen Anzug auf (der daraufhin einen eigenen Twitter-Account bekam), sein Amtsnachfolger gab in diesem August im „Tan Suit“ ein Statement ab.

Ob Biden und Obama bei der Anzugwahl wohl an Tony Manero und seine lockeren Performances dachten? Wohl eher nicht. Es war offenbar die Sommerhitze, die zum Beige animierte. In beiden Fällen gab es jedoch eine Flut an Kommentaren. Konservative kritisierten die Farbwahl als „nicht präsidial“. Vergessen war, dass auch schon Ronald Reagan, Bill Clinton und die beiden Bushs dann und wann in Beige regiert hatten. Es mag weniger formell sein, aber genau das ist der Trend für die Männermode 2022: „Soft Comfort Formal“ heißt die Devise. Dahinter steckt sportliche Lässigkeit, gepaart mit der Eleganz klassischer Maßschneiderei. Da lohnt sich doch das Ausgehen.

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