Gucci: Warum das Modelabel so erfolgreich ist
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1921 gründete Sattlermeister Guccio Gucci eine kleine Werkstatt für Lederwaren und Gepäck in Florenz. Heute ist Gucci die begehrteste Modemarke der Welt.
© Quelle: eyewave - stock.adobe.com/Oliver Hoffmann
Hannover. Gucci ist die begehrteste Modemarke der Welt. Millionen Instagram-Follower sorgen dafür, dass sie vor allem im Netz gehypt wird. Liegt es wirklich an den Entwürfen von Kreativchef Alessandro Michele? Oder ist alles nur eine Frage geschickten Marketings? Antworten von Johannes Assig, Professor im Studiengang Modedesign an der Hochschule Hannover mit den Schwerpunkten Herrenmode, Non-Binary Fashion, Unisex Sportswear sowie Mode und digitale Medien.
Laut dem aktuellem Lyst-Index, der die begehrtesten Modemarken der Welt anhand ihres Suchvolumens im Internet listet, liegt Gucci auf Platz eins. Ist das in erster Linie der Verdienst von Kreativchef Alessandro Michele, der seit seiner Inthronisierung 2015 das angeschlagene Luxuslabel wieder nach vorn gebracht hat?
Alessandro Michele ist in der Öffentlichkeit das personifizierte Aushängeschild von Gucci. Und tatsächlich wird er von seinen Fans heute als eine Art Heilsbringer gefeiert, der Gucci davor bewahrt hat, in der Bedeutungslosigkeit zu versinken. Die Marke stand bei seiner Übernahme finanziell mit dem Rücken zur Wand, und wurde eher als „prollig“ wahrgenommen. Michele war vorher nur für Accessoires zuständig, kam also aus der zweiten Reihe des Modehauses, und war so mit der DNA der Marke bestens vertraut. Die Konzernleitung von Kering hat ihm alle Freiheiten gelassen, denn noch schlimmer konnte es kaum werden. Diese Chance hat Michele genutzt. Doch sein charismatisches Auftreten und "messiasähnlicher" Look, der von ihm auch sicher ein Stück weit ironisch gemeint ist, sowie seine wild zusammengemixten Kollektionen sind gewiss nicht das alleinige Erfolgsrezept. Vielmehr ist es das enge Zusammenspiel von Kreativpart und Business bei Gucci. Im Tandem zwischen Alessandro Michele und Marco Bizzarri, dem CEO von Gucci, versteht es die Marke heute im Omnichannel-Management besser als andere geschickt in das klassische Offline-Geschäft in ihren Läden zu integrieren.
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Alessandro Michele lässt der Fantasie freien Lauf. Seit er Kreativchef von Gucci ist, hat sich der Umsatz verdoppelt.
© Quelle: dpa/Daniel Dal Zennaro
Welche Rolle spielt denn das Internet?
Ende der Neunzigerjahre wurde aus dem Beruf des klassischen Couturiers der eines Kreativdirektors. Das begründete den Niedergang der hohen Schneiderkunst in der Luxusmode. Für revolutionäre Schnitte und Ideen fehlt es seitdem an Zeit. Man hält sich an Grundformen und zeitlose Modeklassiker. Das macht auch die Produktion der Teile einfacher und schneller. Das Internet hat alles komplett verändert, und ein Heraufsetzen von Kollektionsrhythmen beschleunigt. Gab es früher zwei oder vier Schauen mit großen Kollektionen im Jahr, sind es heute sechs oder mehr kleinere Kollektionen über das ganze Jahr verteilt, die im Internet permanent per Livestream präsentiert, und im Anschluss zeitnah über den eigenen Online-Shop angeboten werden, sofort neue Kundschaft generieren. Auf den Modehäusern lastet aber nach wie vor ein enormer Erwartungsdruck. Sie sollen, wie zu Zeiten großer Modeschöpfer, stets Neues und Außergewöhnliches präsentieren. Kreativdirektoren wie Michele können aber unter den heutigen Bedingungen gar nicht mehr als klassische Designer wirken, die sich über eine Schnittführung und jedes Detail Gedanken machen. Es werden nur noch einzelne Teams koordiniert, die das für sie tun und nicken die Ergebnisse am Ende lediglich nur noch ab. Nicht umsonst spricht man heute in der Luxusmode von der sogenannten High Fast Fashion. Es geht heute mehr denn je von Kollektion zu Kollektion nur noch um die permanente Gewinnmaximierung aktiendotierter Marken, die primär Stakeholderinteressen wahren müssen – auf Kosten der Kreativität.
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Dabei hat sich Gucci Anfang des Jahres eher geschäftsschädigend verhalten: Es gab Rassismusvorwürfe und Boykottaufrufe von Prominenten - wie dem Rapper 50 Cent nach einer Gucci-Schau, bei der die Models Pullover mit Blackfacing-Anmutung trugen. Daraufhin setzte das Unternehmen eine Expertin für Diversität und Inklusion ein.
Es geht heute mehr denn je von Kollektion zu Kollektion nur noch um die permanente Gewinnmaximierung aktiendotierter Marken, die primär Stakeholderinteressen wahren müssen – auf Kosten der Kreativität.
Prof. Johannes Assig, Studiengang Modedesign Hannover
Ich könnte mir vorstellen, dass die Sache mit den Pullovern eine bewusste Provokation war. Von der Entwicklung bis zur Vorstellung einer neuen Kollektion sind eine Vielzahl von Menschen involviert. Ich halte es fast für unwahrscheinlich, dass es nicht mindestens einer Person aufgefallen ist. Mit Protesten hat man also sicherlich gerechnet. Auf dem Höhepunkt eines selbst provozierten Shitstorms entschuldigt man sich, gibt sich divers, und ist fein raus. So bleibt man im Gespräch, generiert im Internet über Retweets hohe Klickzahlen, steigert seine Reichweite und rutscht am Ende im Lyst-Ranking ganz nach oben. Der Beliebtheit hat es am Ende ja eher genutzt als geschadet, wie die Zahlen beweisen.
Im Frühjahr gab es wieder eine Provokation: Guccis Cruise Collection stand im Zeichen der „Pro Choice“-Bewegung, die sich für das Recht auf Abtreibung einsetzt. Unter anderem waren Kleider mit aufgesticktem Uterus zu sehen. Ist das aus Ihrer Sicht gutes Marketing, echtes Engagement für die Rechte von Frauen – oder einfach nur geschmacklos?
Ich bin skeptisch, ob es im Luxusmarkensegment heute tatsächlich noch um eine Haltung geht. Die wurde meines Erachtens mit Ende der Anti-Fashion-Bewegung Mitte der 2000er-Jahre endgültig zu Grabe getragen.
Viele Modedesigner geben sich gern politisch. Doch gerade vor dem Hintergrund, was ihre Entwürfe kosten, wirken vor allem sozialkritische Statements oft wohlfeil. Sind Mode und Politik überhaupt miteinander vereinbar?
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Ein Model trägt ein Kleid mit einem aufgestickten Uterus bei einer Modenschau von Gucci in den Kapitolinischen Museen. Mit der Show hat die italienische Luxusmarke ein Statement für das Recht auf Abtreibung gemacht.
© Quelle: Andrew Medichini/AP/dpa
Politische Statements sollen in der Mode heute Emotion, Glaubwürdigkeit und Authentizität von Marken suggerieren, und indirekt bestehende Imageprobleme überdecken. Bei Donna Karan in den Achtzigerjahren waren Slogans sicherlich noch als ernst gemeintes Statement zu verstehen. Heute werden politische Aussagen als Mittel zum Zweck auf dem Laufsteg ad absurdum geführt. Denken Sie nur an die Chanel-Schau 2014 mit Transparenten zu Frauenrechten und Weltpolitik, während zeitgleich auf der Straße gegen Produktionsbedingungen und die Ausbeutung von Textilarbeiterinnen protestiert wurde. Ein Jahr zuvor waren beim Einsturz einer Textilfabrik in Bangladesch mehr als tausend Textilarbeiterinnen umgekommen. Daran konnte man erkennen, wie abgekoppelt von der Realität Luxusmarken mittlerweile sind.
Für Modenschauen im Live-Stream wird ein Teil der Kollektionen vorproduziert, um anschließend per Mausklick in Echtzeit sofort gekauft werden zu können.
Prof. Johannes Assig, Studiengang Modedesign Hannover
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Was meinen Sie mit der Überdeckung von Imageproblemen?
In Zeiten von Nachhaltigkeit dominiert paradoxerweise auch in der Luxusmode das Fast Fashion Prinzip. Es gibt keine revolutionäre Schneiderkunst mehr und leider auch sehr viel Überproduktion, zum Teil sogar auf Kosten der Qualität in Billiglohnländern gefertigt. Gleichzeitig findet in den eigenen Online-Stores eine permanente Entwertung von Kreativität statt. Für Modenschauen im Live-Stream wird ein Teil der Kollektionen vorproduziert, um anschließend per Mausklick in Echtzeit sofort verkauft werden zu können. Begehrlichkeit und Exklusivität werden durch künstliche Verknappung und Limitierung erzeugt. Verkauft sich etwas nicht, kann man mitverfolgen, wie die Preise für ein teures Designerstück Woche für Woche vom Sale, bis zum Super-Super-Super-Sale wie Aktienkurse in den Keller gehen. Design wird vor den Augen des Konsumenten im wahrsten Sinne des Wortes zeitnah verramscht. Eine bedauerliche Entwicklung für die Wertschätzung von Mode, und der Arbeit des Modedesigners.
Michele mixt Schnitte, Farben und Muster unterschiedlicher Epochen bunt zusammen. Sein Credo lautet: „Ich bereite einen Fruchtsalat der Schönheit zu.“ Ist das nicht revolutionär?
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Michele arbeitet wie ein Stylist. Revolutionär in Bezug auf das Design ist da nichts. Auf mich wirken seine Kollektionen immer so, als wenn er im Gucci-Museum in Florenz die Ausstellungsstücke aus der 90-jährigen Geschichte der Marke in einen Einkaufswagen gepackt und dann mit seinem Team neu kombiniert hätte. Es wird dabei weniger um Fragen der Ästhetik, einem Hinterfragen nach dem Schönen oder Hässlichen, als vielmehr um einen kurzlebigen Schockeffekt, eine Irritation für den Laufsteg. Aber wir dürfen nicht vergessen; wir sehen auf den Laufstegen immer nur Momentaufnahmen der subjektiven Sicht eines Designers, die eine Möglichkeit als Angebot beschreibt. Aber das ist heute ja das Schöne an der Mode. Es gibt nicht nur die eine Mode, sondern viele Moden. Die Zeit des Modediktats ist lange vorbei. Wem dieser „Fruchtsalat“ nicht schmeckt, greift dann eben nach etwas anderem vom großen Buffet.
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Gucci ist mit 33 Millionen Instagram-Followern das meist verlinkte Label der Welt. Wie stünde die Marke ohne Internet da?
Influencermarketing funktioniert bei Gucci sehr gut. Michele hat Kontakte zu vielen bekannten Prominenten, auf die er aber im Vergleich zu anderen Luxusmarken nicht ausschließlich setzt. Kooperationen mit eher unangepassten Künstlern wie Billie Eilish, Jared Leto, Helen Downie oder Trevor Andrew aka Gucci Ghost und Diet Prada, die auf Instagram bereits eine große Fanbase haben, verleihen der Marke Glaubwürdigkeit und Authentizität bei den Millenials. Das hilft enorm, um die Beliebtheit der Marke zu pushen – vor allem auch in Japan und China, wo eine junge, extrem kaufkräftige Kundschaft sitzt, für die Luxusmode aus dem Westen buchstäblich anziehend ist. Ohne Internet wäre es sicher schwieriger, sich am Markt zu behaupten.
Welchen Einfluss hat der Stil von Gucci auf unsere Alltagsmode?
Gucci hebt die Geschlechtergrenzen auf, und feiert hauptsächlich die Mode der Siebziger- und Achtzigerjahre, die in der Unternehmenshistorie außerordentlich erfolgreich waren. Die sind bei den vertikalen Marken wie Zara oder H&M in abgeschwächter Form bei Silhouetten, Farben und Mustern massenmarkttauglich ebenso präsent. Alltäglich und für alle tragbar ist die Mode von Gucci deshalb aber trotzdem nicht, insbesondere nicht für jene, die diese Dekaden selbst miterlebt haben. Denn der Look von Gucci ist im Styling bewusst sehr radikal und damit auf ein extrem junges Publikum ausgerichtet, das sich damit endlich wieder von der Elterngeneration abheben kann, was gleichzeitig die Beliebtheit der Marke weiter erhöht.
Gucci hebt die Geschlechtergrenzen auf, und feiert hauptsächlich die Mode der Siebziger- und Achtzigerjahre, die in der Unternehmenshistorie außerordentlich erfolgreich waren.
Prof. Johannes Assig, Studiengang Modedesign Hannover
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Hat Alessandro Michele Vorbildfunktion für Ihre Studierenden?
Klar! Leider finden sie insbesondere diese runtergebürsteten Basicschnitte in wildem Farb- und Mustermix von ihm immer gut. Jemand wie Michele ist aber weniger Designer als vielmehr ein Imagemaker, der im Sinne eines Erzeugens von Bildern nur die „Oberfläche“ von Mode abbildet. Dabei wirkt sich das eher nachteilig auf das eigentliche Berufsbild des Modemachers aus, und nicht jeder wird später im High Fashion Segment arbeiten. Im Studiengang Modedesign an der Hochschule Hannover konfrontieren wir die Studenten deshalb bewusst auch mit Realitäten einer in Verruf geratenen Branche, und stellen gleichzeitig die Frage, welche Verantwortung sie über eine Gestaltung von Mode hinaus als zukünftige Designer in Zeiten fortschreitender Digitalisierung und Klimawandel einnehmen wollen. Wie lassen sich durch das Internet und neue Technologien als Chance im Modedesign positive Veränderungen mit Blick nach vorne herbeiführen? Im Forschungsprojekt "Use-Less" zum Beispiel, das in dieser Form einzigartig in Deutschland ist, vermitteln wir den Studenten unter anderem auch nachhaltige Designstrategien bereits beim Entwerfen von Mode. Kernziel ist die Entfaltung individueller Handlungsspielräume und Entscheidungsfreiräume angehender Gestalterpersönlichkeiten, die mit einer eigenen Haltung selbstbestimmt das Modedesign von morgen entwickeln und Position beziehen. Ein spürbares Interesse an der Notwendigkeit, Dinge anders machen zu wollen, die Begeisterung und Leidenschaft für Mode, sowie ein großes Engagement unserer Student*innen lassen uns Lehrende an der Hochschule Hannover im Studiengang Modedesign auch in Anbetracht bisheriger Ergebnisse voller Zuversicht in die Zukunft blicken.
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Prof. Johannes Assig findet, dass der Look von Gucci im Styling bewusst sehr radikal und damit auf ein extrem junges Publikum ausgerichtet ist.
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