J. K. Rowling und ihre polarisierenden Aussagen

Darf man Harry Potter noch gut finden?

J. K. Rowling prägte mit Harry Potter die Kindheit vieler Menschen – doch dürfen wir ihre Geschichten nach ihren umstrittenen Aussagen gegenüber trans Menschen noch gut finden?

J. K. Rowling prägte mit Harry Potter die Kindheit vieler Menschen – doch dürfen wir ihre Geschichten nach ihren umstrittenen Aussagen gegenüber trans Menschen noch gut finden?

Es sind wundervolle Erinnerungen: Die Stimme meiner Mutter, als sie meiner Schwester und mir die ersten Harry-Potter-Bücher vorlas. Der magische Anblick der als Hexen und Zauberer verkleideten Kinder, als der „Stein der Weisen“ ins Kino kam. Mein Besuch im nordenglischen Alnwick Castle, der Kulisse für das Zauberschloss Hogwarts. Meine zwecklosen Versuche, mir das Ende der damals neuen Bücher nicht verraten zu lassen, als die ersten Klassenkameraden schon damit durch waren und darüber diskutierten.

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Meine Kindheit mit Harry Potter zaubert mir so manches Mal noch ein Lächeln ins Gesicht. Ich zähle mich zu den Glücklichen, die mit Harry Potter groß geworden sind, als die Geschichte noch nicht auserzählt war. Wie so viele in meinem Alter habe ich jahrelang mit Harry und seinem Kampf gegen Voldemort mitgefiebert. Es war manchmal fast so, als wären er und ich zur selben Zeit zur Schule gegangen – auch wenn er die deutlich coolere Schule besuchte.

Das Erwachsenwerden hat meiner Freude an Harry Potter keinen Abbruch getan. Hogwarts lebte auch nach dem letzten Buch weiter, und zwar nicht nur in meinem Herzen: Ein Theaterstück, Spin-off-Filme und nun auch das Videospiel „Hogwarts Legacy“, das uns Hogwarts von einer ganz anderen Seite zeigt – denn es lässt uns selbst Schülerin oder Schüler der magischen Schule werden. Und doch ist es seit einigen Jahren nicht mehr das Gleiche, wenn ich mal wieder in die Zauberwelt eintauchen möchte. Die Debatten um J.K. Rowling, die immer wieder mit Aussagen über trans Menschen polarisierte, stellte meine vermeintlich unantastbare Liebe zur magischen Potter-Welt infrage: Darf ich den Zauberlehrling und seine Gefährten trotz Rowlings Ansichten immer noch mögen?

Der Ärger um JK Rowling erklärt

Fans rufen zum Boykott des Spiels "Hogwarts Legacy" auf. Aber warum eigentlich? Was JK Rowling gesagt hat - und warum sie in der Kritik steht.

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J.K. Rowling: von der Heldin zur umstrittenen Figur

Mit ihren Aussagen brach sie in den vergangenen Jahren vielen langjährigen Fans das Herz. Erst stellte sie sich 2019 auf Twitter an die Seite von Maya Forstater, einer Wissenschaftlerin, die ihren Job bei einem britischen Think Tank wegen ihrer Aussage zum Thema Transsexualität verlor. Trans Menschen könnten nicht einfach das Geschlecht ändern, mit dem sie geboren wurden, behauptete Forstater – und dieser Meinung war offenbar auch Rowling, wie ihr Tweet damals suggerierte.

In den Jahren danach wetterte sie immer wieder gegen einen Gesetzesvorschlag in Schottland, der erst vor Kurzem von der britischen Regierung blockiert wurde. Das Gesetz sollte es für Menschen einfacher machen, ihre Geschlechtsidentität ändern zu lassen. Als Frau, die sexuelle Gewalt erlebt hat, zeigte sich Rowling in einem 2020 veröffentlichten Essay aber besorgt darüber, dass trans Frauen Zugang zu Orten ermöglicht werde, die exklusiv für Frauen bestimmt seien – etwa öffentlichen Toiletten. Wortwörtlich schrieb sie damals: „Wenn man die Türen von Badezimmern und Umkleidekabinen für jeden Mann öffnet, der sich als Frau fühlt oder glaubt, eine zu sein ... dann öffnet man die Tür für alle Männer, die hereinkommen wollen.“

Für sie bin ich der sprichwörtliche Fuchs im Hühnerstall, der Wolf im Schafspelz, der Voldemort im Kleid.

Valentijn De Hingh, trans Frau und jahrelanger Harry-Potter-Fan, über J. K. Rowling

In ihren teilweise kryptischen Aussagen und Tweets zum Thema gibt sie immer wieder zu verstehen, dass trans Frauen für sie keine Frauen sind. Die Worte waren schmerzhaft für diejenigen, die seit etlichen Jahren Rowling und ihre Werke liebten – und Harry Potters Welt als Ort jenseits von Geschlechterrollen und derartigen Debatten erlebten. Es war ein Schock für alle, die sich mit der marginalisierten Gruppe der queeren Menschen solidarisieren, aber vor allem für trans Menschen selbst. „Für sie bin ich der sprichwörtliche Fuchs im Hühnerstall, der Wolf im Schafspelz, der Voldemort im Kleid“, bedauerte Valentijn De Hingh, trans Frau und jahrelanger Harry-Potter-Fan, auf der niederländischen Nachrichten-Website „De Correspondent.“

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Die Sache mit den Kobolden

Kritisiert wird Rowling auch für ihre Darstellung der Kobolde in Harry Potter. Einige Menschen, darunter der US-Komiker und -Moderator Jon Stewart, warfen Rowling vor, die Kobolde in der Zaubererbank Gringotts nach einem antisemitischem Vorbild erdacht zu haben. Sie hätten starke Ähnlichkeit mit Karikaturen von Juden, meinte Stewart, etwa ähnelten sie stark einer Zeichnung aus dem Jahr 1903 in dem antisemitischen Buch „Protokolle der Weisen von Zion“.

Wie so viele Harry-Potter-Fans war auch ich erschüttert über Rowlings Aussagen, gerade weil ich so lange Zeit ein ganz anderes Bild von ihr hatte. Sagt das die gleiche Person, die einen großen Teil ihres Vermögens für wohltätige Zwecke spendete? Die ein Vorbild für alle Menschen ist, die ebenso wie sie Armut und Ablehnung erfahren haben? Die mit der Aussage, dass Hogwarts‘ Schulleiter Albus Dumbledore schwul ist, eine prominente Identifikationsfigur für viele schwule Männer geschaffen hat? Wieso zeigt sich ein eigentlich weltoffener Mensch plötzlich von so einer engstirnigen Seite?

Die verflixten Widersprüche

Ich halte J. K. Rowling nicht für einen schlechten Menschen und schätze sie nach wie vor für all die guten Dinge, die sie getan hat. Aber ich lehne Rowlings Ansichten über Transgeschlechtlichkeit ab – und seitdem sie diese so oft und so deutlich geäußert hat, haben auch ihre eigentlich so zauberhaften Harry-Potter-Geschichten einen etwas bitteren Beigeschmack bekommen. Es ist für mich leider kaum mehr möglich, diese unschuldige, kindliche Liebe für die von ihr geschaffene Welt beizubehalten, ohne immer wieder darüber zu grübeln, ob ich angesichts ihrer problematischen Aussagen noch Fan von Rowlings Werken sein sollte.

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Rupert Grint (links), Daniel Radcliffe (mitte) und Emma Watson (rechts) lehnen J. K. Rowlings Aussagen über trans Menschen ab.

Rupert Grint (links), Daniel Radcliffe (mitte) und Emma Watson (rechts) lehnen J. K. Rowlings Aussagen über trans Menschen ab.

Diese Frage ist dabei nur Teil eines größeren Problems: Wir leben in einer sehr komplexen, von Ambivalenzen geprägten Welt. Inzwischen reden wir immer offener über unangenehme Themen, die unsere Ansichten und Lebensweisen infrage stellen. Das betrifft auch viele meiner Interessen und Hobbys, die ich schon seit der Kindheit pflege. Ich bin Fan des Fußballvereins Newcastle United, seitdem mir meine Oma, die selbst ihr Leben lang den Verein unterstützte, im Alter von sieben Jahren erstmals ein Trikot schenkte. Doch kann ich wirklich weiterhin für einen Verein jubeln, der seit 2021 einem Konsortium um Mohammed bin Salman gehört – dem saudi-arabischen Kronprinzen, der den Journalisten Jamal Khashoggi umbringen ließ?

Auch der Klimawandel stellt vieles infrage. Als Kind wollte ich immer um die ganze Welt reisen – doch kann ich es in diesen Zeiten überhaupt noch verantworten, Hunderte oder Tausende Kilometer weit zu fliegen? Wie so viele Menschen stehe ich also immer wieder vor der Wahl, entweder an Interessen, Hobbys, Lebensweisen festzuhalten oder sie aufzugeben, weil ich sie nicht mehr mit meinem Gewissen vereinbaren kann. Irgendeine Lösung muss ich schließlich für den inneren Konflikt finden.

Boykott ist keine Lösung

Ist es nun die richtige Lösung, alles rund um Harry Potter zu boykottieren, um ein Zeichen gegen J.K. Rowling zu setzen? Es ist eine Frage, die Fans schon seit Langem beschäftigt. Im Netz wimmelt es aktuell regelrecht vor Diskussionen dazu. Der aktuelle Anlass der Debatte ist der Start von „Hogwarts Legacy“ – ein Videospiel, in dem so ziemlich alle Wünsche eines Fans erfüllt werden: Mit dem Besen über das Schulgelände fliegen, mit magischen Tierwesen interagieren, etliche Zaubersprüche lernen. Welcher Fan kann ernsthaft von sich behaupten, davon nie geträumt zu haben? Ich wartete jedenfalls Jahre auf ein solches Spiel.

Ein Traum für viele Harry-Potter-Fans: In „Hogwarts Legacy“ können Gamerinnen und Gamer mit magischen Tierwesen interagieren.

Ein Traum für viele Harry-Potter-Fans: In „Hogwarts Legacy“ können Gamerinnen und Gamer mit magischen Tierwesen interagieren.

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Doch das war in Zeiten, bevor die Diskussionen um Rowling begannen. Inzwischen hält sich meine Begeisterung für Harry Potter und für das vielversprechende Videospiel in Grenzen, die Magie ist verpufft. Es fühlt sich für mich falsch an, weiterhin Harry Potter zu genießen, als ob nichts gewesen ist. So geht es vielen: Die Rufe nach einem Boykott werden auf Twitter kurz vor dem offiziellen Start des Spiels immer lauter. „Wenn ihr diesen Titel kauft, schließt ihr euch einigen sehr abscheulichen transphobischen Werten an“, argumentierte ein Nutzer. „‚Hogwarts‘ Legacy ist kein Spiel. Es ist ein Charaktertest. Und viele Menschen stehen kurz davor, durchzufallen“, kritisiert eine andere.

Kulturellen Einfluss minimieren

„Hogwarts Legacy“ boykottieren – das klingt nach einer naheliegenden Lösung, um ein Zeichen gegen Rowling zu setzen. Die Frage ist nur: Hat das überhaupt einen großen Effekt? Wir sollten uns keine Illusionen machen: Nur weil sich einige gegen das Spiel entscheiden werden, wird sich Rowlings Einfluss noch nicht reduzieren. Der anhaltende Erfolg ihrer Bücher, der Filme und auch des Theaterstücks „Harry Potter und das verwunschene Kind“ zeigen: Ihre Aussagen haben ihr nicht großartig geschadet. Ein Ende vom Hype um Harry Potter zeichnet sich bei Weitem nicht ab. Das zeigt allein das neue Videospiel, das auf Twitch den Rekord des meistgestreamten Einzelspieler-Games gebrochen hat – und das bereits vor dem offiziellen Release.

Ein Boykott, der mit Harry Potter zu tun hat, scheint mir auch deshalb nicht der richtige Weg zu sein. Aber ich halte es trotzdem für wichtig, dass Fans wie ich, die Rowlings Ansichten ablehnen, nicht mehr einfach ihre Geschichten unreflektiert und bedingungslos lieben – und die Augen vor den Aussagen ihrer Erfinderin verschließen. Auch die non-binäre Aja Romano – ein Fan von Harry Potter, seitdem es die Bücher gibt – betont in einem Beitrag für „Vox“ , dass wir Rowlings Rolle nicht einfach ignorieren dürfen und sollten. Das gelte auch für andere Formen der Kunst: Wenn wir beispielsweise weiterhin Gefallen an der Musik von Michael Jackson finden wollen, so Romano, sei es nicht mehr akzeptabel, die Vorwürfe des sexuellen Kindesmissbrauchs gegen ihn außer Acht zu lassen. Es gehe nicht darum, die umstrittenen Künstlerinnen und Künstler zu bestrafen. Sondern darum, den kulturellen Einfluss einer Person zu minimieren.

Harry Potter ist mehr als nur J. K. Rowling

Harry Potter ist ohnehin schon zu groß geworden, meint Romano, die Fantasiewelt lässt sich nicht mehr aus der realen Welt schaffen. Die Geschichte des schmächtigen Waisenjungen, der nach einem schwierigen Leben mit seiner fiesen Tante sowie seinem fiesen Onkel und Cousin in einer Zauberwelt zum Helden avanciert, berührt Millionen Menschen weltweit. Und zwar unabhängig von ihrem Geschlecht oder ihrer sexuellen Orientierung. Das lassen sich viele queere Fans auch nach Rowlings Aussagen nicht nehmen.

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Auf Reddit stellte ein Mensch in einem queeren Unterforum mit fast einer Millionen Mitgliedern eine Frage, die wohl vielen (queeren) Menschen auf der Zunge liegt: „Bin ich ein Idiot, weil ich immer noch ihre [Rowlings, Anm. d. Red.] Geschichten mag, obwohl ich sie hasse?“ „Nein“, sind sich die allermeisten Userinnen und User einig: Man dürfe ein Werk mögen, auch wenn man die oder den Erfinder nicht mag. Denn „Harry Potter ist mehr als die Summe von J.K. Rowlings scheiß Ansichten“, schrieb eine weitere Person.

Harry Potter ist wahrlich schon längst mehr als ein Produkt von J. K. Rowling geworden. Ihre zauberhafte Welt existiert auch jenseits ihrer Geschichten: Quidditch ist zu einer realen Sportart, „Muggel“ zu einem realen Wort geworden, das sogar im Duden Platz findet. Zudem finden Menschen immer Wege, ihre Welt weiterzuentwickeln und noch positiver zu gestalten. Queere Menschen machen beispielsweise zahlreiche Charaktere zu Vorbildern, indem sie sie als schwul, lesbisch lesen und darüber in Foren diskutieren. Schließlich ist die sexuelle Orientierung und Geschlechtsidentität einiger Figuren nicht bekannt – das lässt viel Interpretationsspielraum. Auch die Entwickler vom neuen Videospiel machen Hogwarts zu einem noch inklusiveren Ort, indem sie erstmals einen trans Charakter in Harry Potters Welt gebracht haben.

Damit setzen sie gleichzeitig ein Zeichen gegen Rowling. Auch ein Großteil der Harry-Potter-Community betont immer wieder, dass ihre Ansichten in Harry Potters Welt keinen Platz haben. Darunter Daniel Radcliffe, Emma Watson und Rupert Grint, die Harry, Ron und Hermine in den Filmen verkörperten und öffentlich ihre Aussagen ablehnten. Auch zwei der größten Fanseiten, „The Leaky Cauldron“ und „Mugglenet“, haben sich zur Debatte um Rowling deutlich geäußert: „Wir haben eine klare Haltung: Transgender Frauen sind Frauen. Transgender Männer sind Männer. Nonbinäre Menschen sind nonbinär“, schrieben sie auf ihren Webseiten.

Die Welt von Harry Potter ist zu wertvoll, um sie aufzugeben

Wer Fan von Harry Potter bleiben möchte, muss mit den verbalen Entgleisungen seiner Erfinderin leben. Auch mir ist klar, dass ich nie wieder so unbeschwert über die Geschichten denken werde, wie ich es als Kind getan habe: Das Werk und die Autorin werden sich nie vollständig voneinander trennen lassen. Aber die Welt von Harry Potter bleibt für mich trotz Rowlings Polemik gegen trans Menschen ein inklusiver Ort für alle Menschen, die Teil davon sein möchten. Und so etwas können wir nicht einfach aufgeben – dafür ist es viel zu wertvoll.

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Zudem lässt sich auch innerhalb dieser Welt ein deutliches Zeichen gegen Rowling setzen. „Hogwarts Legacy“ geht hierbei einen ersten wichtigen Schritt, indem es neue Identifikationsfiguren für queere Menschen schafft. Aber trotzdem gilt es, die Welt immer weiter zu reflektieren – etwa bei der Darstellung der Kobolde, die sich auch im Videospiel antisemitischer Stereotype bedient.

Das Ziel muss sein, die Fantasiewelt mit jeder neuen Produktion und auch abseits davon immer besser zu machen – denn damit können wir im Idealfall auch wichtige Akzente für mehr Gleichberechtigung und weniger Diskriminierung in der realen Welt setzen. Und damit zeigen wir, dass aus einer Geschichte, die einst ein einziger Mensch kreiert hat, eine Welt geworden ist, die von vielen Menschen geprägt wird und ihre Werte vertritt. Und von so einer Welt kann ich am Ende guten Gewissens Fan bleiben.

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