Etiketten ohne Schwindel

Kratzig und wenig informativ: Etiketten in Kleidung werden oft von Kunden herausgeschnitten.

Kratzig und wenig informativ: Etiketten in Kleidung werden oft von Kunden herausgeschnitten.

Drin ist, was draufsteht. Wenn das nur immer so einfach wäre. Denn auf Etiketten an Kleidung steht allerhand. Aber aufschlussreich ist das selten. Wozu braucht es dann aber zum Teil achtlagige Pflege- und Materialhinweise?

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Die am häufigsten auftauchende Frage im Zusammenhang der textilen Zettelwirtschaft ist sicherlich: dranlassen oder abschneiden? Die Etiketten kratzen, zeichnen sich ab oder scheinen bei hellen Kleidungsstücken durch. Auf der anderen Seite braucht man ja vielleicht doch mal den Hinweis, wie dieses oder jenes Kleidungsstück korrekt gewaschen wird. Auch Herstellerinformationen zur Verarbeitung und zum Material machen gerade vor dem Hintergrund des Nachhaltigkeitsgedankens Sinn. Doch die Angaben sind entweder dürftig oder verwirrend.

Ein absurder Etikettendschungel

Was ursprünglich zum Schutz der Verbraucher gedacht war, hat sich inzwischen in einen nahezu absurden Etikettendschungel verwandelt. Für Hersteller gibt es klare Anweisungen. Die europäische Textilkennzeichnungsverordnung regelt auf 64 Seiten, was die Unternehmen ausweisen müssen und wie sie es zu tun haben. Danach muss “die Etikettierung und Kennzeichnung von Textilerzeugnissen dauerhaft, leicht lesbar, sichtbar und zugänglich und (...) fest angebracht sein”. Es müssen Informationen über Materialzusammensetzung und Waschbarkeit zu finden sein. Eine Information über das Ursprungsland hingegen ist in Deutschland und der EU – im Gegensatz zu manch anderen Ländern – nicht verpflichtend.

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Verbrauchern wird es jedoch zunehmend wichtiger zu wissen, wo und vor allem wie ihre Kleidung produziert wurde. In einer Mitteilung des Europäischen Parlaments von 2017 ist zu lesen, dass mehr als 70 Prozent der Bekleidungsimporte aus Asien kommen – primär aus China, Bangladesch, Indien, Vietnam, Kambodscha und Indonesien. Die meisten Käufer seien weltweit vertretene Markenhersteller “auf der Suche nach niedrigen Preisen und kurzen Produktionszeiten”. Viele der dort ansässigen Produktionsstätten sind in der Kritik wegen unmenschlicher Arbeitsbedingungen, Löhnen weit unter dem Existenzminimum und Kinderarbeit. All dies kann man anhand des Etiketts jedoch nicht erkennen. Ebenso wenig, wo die zur Produktion verwendeten Materialien herkommen.

Bereits 2014 beschloss das Europäische Parlament eine Änderung der EU-Verbraucherschutzverordnung, die die Kennzeichnung von Ursprungsland, Rückverfolgbarkeit von Kleidungsstücken sowie vereinheitlichte Pflegehinweise, Größenangaben und Hinweise auf allergene Stoffe gewährleisten sollte. Eine Sperrminorität im Europäischen Rat legte die Regelung jedoch wieder auf Eis.

So haben wir es auch weiterhin mit bis zu achtlagigen Zetteln zu tun, auf denen in allen möglichen Sprachen Pflegehinweise stehen, die aber Informationen zur Herstellung auslassen. Das hat vor allem finanzielle Gründe.

Absicherung gegen Reklamationen

Viele Hersteller klammern sich regelrecht an die EU-Vorgaben. Aber nicht aus Gründen des Verbraucherschutzes, sondern als Absicherung gegenüber Reklamationen. Aus diesem Grund werden Waschhinweise auch meist eher streng formuliert. Die neue Bluse muss vielleicht nicht unbedingt per Hand gewaschen werden, aber für den Hersteller ist der Hinweis sicherer, um sich vor Reklamation zu schützen. Denn in der Waschmaschine kann dann doch mehr schief gehen.

Auch die Kleidungsindustrie hat inzwischen gemerkt, dass Verbraucher Wert auf fairen Handel und Nachhaltigkeit legen. Oft ist auf den Etiketten etwas von Biobaumwolle oder von nachhaltiger Mode in der “Conscious-Kollektion” zu lesen. Das ist immerhin ein Schritt in die richtige Richtung. Aber solche Bezeichnungen wirken zwar nachhaltig, sagen jedoch nichts darüber aus, wie die Biofasern oder recycelten Materialien weiterverarbeitet werden. Oder – wie auch schon beim “made in” – unter welchen Arbeitsbedingungen die Materialien gewonnen und verarbeitet wurden. So etwas nennt sich “Greenwashing”. Unternehmen wollen sich also mit möglichst wenig Aufwand ein möglichst sauberes Image verschaffen.

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Anerkannte Textilsiegel geben da schon mehr Aufschluss. Jedoch moniert die Stiftung Warentest: “Es gibt Dutzende Siegel für Kleidung am Markt, manche taugen etwas, manche weniger.” Die Verbraucher wissen also nicht, auf welche sie sich verlassen können und welche nicht. Der Weg zu einem allgemein anerkannten und bekannten Textilsiegel ist lang. Der aktuelle Versuch der Bundesregierung ist der “Grüne Knopf”, der Unternehmen auszeichnet, die 26 soziale- und Umweltkriterien erfüllen. In Deutschland tragen aktuell 39 Firmen das Gütesiegel.

Mikrochips statt Etiketten

Unterdessen gehen Designer oder Unternehmen eigene Wege. Der afrikanische Jungdesigner Thebe Magugu zum Beispiel baute in die Markentags seiner Sommerkollektion 2020 Mikrochips ein, die nicht nur Informationen über Material und Herstellung abrufbar machen, sondern auch die Geschichte hinter dem Design zeigen sowie die Gesichter all der Menschen, die an der Produktion beteiligt waren.

Andere setzen auf QR- oder Barcodes. Die Marke American Eagle launchte 2019 eine Kollektion, die einen QR-Code enthielt, der zum Spenden animieren sollte. Wenn solche Technologien bereits Einsatz für Kampagnen und Werbung finden, warum nicht auch als Etikettenersatz?

Noch einen Schritt weiter geht Designer Samgmin Bae. Auch er setzt auf smarte Etiketten. Seine Pflegehinweise sind in einen RFID-Chip integriert, der nicht nur Informationen anzeigt, sondern auch mit einer RFID-fähigen Waschmaschine kommunizieren kann. Diese wäscht die Kleidung automatisch wie vom Hersteller empfohlen.

So innovativ solche Technologien auch anmuten, gibt es jedoch auch Kritik: Technik setzt Technik voraus. Im Extremfall wüsste jemand ohne Smartphone also nicht, wie er seine Wäsche zu waschen hat. Und auch Verbraucherschützer sehen smarte Etiketten kritisch. Durch RFID-Chips zum Beispiel würden Käufer zu gläsernen Kunden. Wie das Verbraucherinformationsportal der hessischen Landesregierung erläutert, ermögliche so ein Chip nicht nur das Auslesen von Pflegehinweisen, sondern aus bis zu zwölf Metern Entfernung auch von Details zu Kaufverhalten oder Bewegungsprofilen der Kunden.

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Einen massentauglichen Fortschritt gibt es bei der Zettelwirtschaft immerhin: Inzwischen greifen viele Hersteller auf Etiketten zurück, die aus Baumwolle gewebt sind oder verwenden Textilstempel, die den Einsatz von langen Polyesterschnipseln erübrigen.

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