Wenn der Partner zum Pflegefall wird, darf ich dann gehen?
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Den Partner pflegen: Für manch einen ist diese Herausforderung zu groß. Mitunter ist es dann besser, zu gehen.
© Quelle: Unsplash/Brooke Cagle
Dass der Partner erkrankt und gepflegt werden muss, ist eine bedrohliche Vorstellung. Aber zum Glück erst ein Thema jenseits der Rente, oder?
Ohne Ängste schüren zu wollen: Die Pflege des Partners kann auch schon mit 40 Jahren beginnen. Ein Hirntumor, ein Schlaganfall, ein Herzinfarkt – Schicksalsschläge dieser Art betreffen die Beziehung und werden gemeinsam durchlebt. Man fragt sich: Schaffe ich das? Will ich überhaupt bleiben, also bin ich bereit für das Leben als Pflegender?
In welchen Situationen sind Menschen nicht bereit, sich Tag für Tag um den kranken Partner zu kümmern?
Schwierig wird es beispielsweise, wenn der Pflegende berufstätig ist, aber für die Pflege seinen Beruf nicht aufgeben kann oder will. Auch kann es vorkommen, dass die körperliche Pflege eine Beziehung sehr strapaziert. Nicht jeder Mensch schafft es, dem eigenen Partner regelmäßig beim Toilettengang behilflich zu sein. Besonders überfordert fühlen sich Pflegende, wenn zu der körperlichen Erkrankung noch eine seelische hinzukommt, meistens eine Depression. Sie fragen sich: „Wo bleibe ich in dem Ganzen?“ Sie hatten sich die letzten Jahre vor der Rente unbeschwerter vorgestellt.
Hilfe holen, wenn die Kräfte nachlassen
Heißt das, sie lassen ihre pflegebedürftigen Partner dann einfach zurück?
Einfach macht es sich bestimmt niemand. Aber ja, es gibt Menschen, die nicht pflegen können und wollen. Und das Gegenteil. Kürzlich betreuten wir einen Herrn, dessen Frau an Demenz erkrankte. Er hatte zeitlebens viel gearbeitet und sagte: „Meine Frau hielt mir jahrelang den Rücken frei und kümmerte sich um unsere Kinder. Jetzt kann ich für sie da sein.“
Man fragt sich: Schaffe ich das? Will ich überhaupt bleiben, also bin ich bereit für das Leben als Pflegender?
Wie können Außenstehende solch tatkräftige Menschen bei der Pflege unterstützen?
Pflege sollte immer auf mehrere Schultern verteilt werden. Man kann für ein betroffenes Paar das Mittagessen kochen, einkaufen, eine Putzhilfe organisieren, sich zwei, drei Stunden um die pflegebedürftige Person kümmern, damit der Partner mal rauskommt. Auch Hinweise auf öffentliche Angebote zur Unterstützung von Pflegenden wie den Wohlfahrtsverband, die Tagespflege oder die Kirchengemeinde sind oft nützlich.
Was kann der Pflegende tun, damit er nicht irgendwann erschöpft zusammenbricht?
Über seinen Schatten springen, offen um Hilfe bitten und Hilfe dann auch annehmen. Und sich von Anfang an pflegefreie Zeiten zugestehen, mindestens einen freien Tag in der Woche. In dieser Zeit können Familienmitglieder, ehemalige Vereinskollegen, Nachbarn, Freunde, Profis helfen. Für Menschen, die in eine Depression schlittern, sind niedergelassene Psychotherapeuten, die Videosprechstunden anbieten, eine gute Idee.
Aus Überforderung kann Gewalt entstehen
Sie sind Leiterin einer gemeinnützigen Beratung in Berlin und begleiten Angehörige zusammen mit anderen Psychologinnen ausschließlich über das Internet. Ist es nicht für pflegende Menschen einfacher, zu telefonieren statt zu mailen?
Unsere kostenlose passwortgeschützte Onlineberatung www.pflegen-und-leben.de ist für die Ratsuchenden vollkommen anonym. Damit möchten wir Menschen zur Kontaktaufnahme ermutigen, die sich aufgrund ihrer Überforderung oder wegen bereits vorgefallener Gewaltsituationen schämen.
Gewalt ist ein großes Tabu in der Pflege. Ich meine ausdrücklich auch seelische Gewalt, also anschreien, unter Druck setzen, entwerten. Der Grund ist häufig Überforderung.
Welche Art von Gewalt meinen Sie?
Ursprünglich haben wir uns gegründet, um einen anonymen Raum zu schaffen für Menschen, die gewalttätig wurden gegenüber ihren pflegebedürftigen Angehörigen. Gewalt ist ein großes Tabu in der Pflege. Ich meine ausdrücklich auch seelische Gewalt, also anschreien, unter Druck setzen, entwerten. Der Grund ist häufig Überforderung.
Liebe ist der Schlüssel
Sich Überforderung eingestehen ist nicht einfach. Noch schwerer ist, dem Partner die Überforderung zu gestehen. Man möchte ja nicht, dass er Schuldgefühle bekommt.
Zu einer wertschätzenden Beziehung gehört aber, dass man über seinen Kummer spricht. Der eine lernt mit der Zeit, mit sich und seinen Kräften liebevoll umzugehen, der andere, sein Schicksal zu akzeptieren, statt es zu lange zu beweinen. Kürzlich suchte eine Pflegende Zuspruch bei uns, weil ihr Mann seine Traurigkeit über seine unheilbare Erkrankung mit Alkohol betäubte. Seine Pflege hätte die Frau noch geschafft, das Alkoholproblem aber nicht auch noch. Sie hat ihn schweren Herzens verlassen.
Die meisten Angehörigen bleiben. Warum?
Manchmal ist es das schlechte Gewissen, mal die finanzielle Situation, aber meistens Treue, Loyalität und Liebe. Wir ermutigen Ratsuchende, aufzuschreiben, warum sie pflegen. Oft wird ihnen dann erst klar: Weil ihnen der andere so viel bedeutet. Liebe ist der Schlüssel.
Der eine lernt mit der Zeit, mit sich und seinen Kräften liebevoll umzugehen, der andere, sein Schicksal zu akzeptieren, statt es zu lange zu beweinen.
All der Liebe zum Trotz entsteht durch Pflege ein Ungleichgewicht in der Beziehung.
Ja, die ursprünglich gleichberechtigten Kräfte gehen verloren, wenn einer vom anderen abhängig ist. Man kann sich aber weiterhin um Augenhöhe bemühen und als Team zusammenarbeiten. Früher besprach man den gemeinsamen Urlaub, jetzt überlegt man gemeinsam, ob man sich das Mittagessen liefern lässt und wer einspringen könnte am freien Tag des Pflegenden. Selbstbestimmtheit ist auch eine Form von Würde, und die sollte erhalten bleiben.
Sich gemeinsame schöne Momente gönnen
In welcher Situation raten Sie einem pflegenden Angehörigen, sich zu trennen?
Wir geben grundsätzlich keine Ratschläge, wir unterstützen die Menschen herauszufinden, ob und wie sie Pflege leisten können. Vor Wochen kontaktierte uns ein Mann um die 50, der sich um seine an MS erkrankte Partnerin kümmert. Er war hin und her gerissen zwischen seinem Bedürfnis, in seiner Freizeit mit dem Motorrad durch die Berge zu brettern, und seinem Wunsch, für seine Frau da zu sein. Gemeinsam arbeiteten wir heraus, dass er die Auszeiten für sich braucht, um Kraft zu schöpfen für die Pflege. Nur leider reagierte die Frau auf seine Touren mit Angst, es könne ihm etwas zustoßen. Wir fanden dann eine ambulante Pflege für zwei Tage die Woche und die Frau lernte, mit ihrer Angst umzugehen.
Wir ermutigen Ratsuchende, aufzuschreiben, warum sie pflegen. Oft wird ihnen dann erst klar: Weil ihnen der andere so viel bedeutet. Liebe ist der Schlüssel.
Wie kann man die von Krankheit betroffene Beziehung stabilisieren, abgesehen von offenen Gesprächen miteinander?
Sich bewusst gemeinsame schöne Momente gönnen. Das kann eine gegenseitige Handmassage sein, Blumen für den Partner, ein gemeinsamer Filmabend zu Hause, ein Gesellschaftsspiel, gegenseitiges Vorlesen – und unbedingt auch immer wieder Abende mit Freunden.