Nach einer toxischen Beziehung: Hat sich mein Partner bewusst so verletzend verhalten?
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Der Paartherapeut Christian Hemschemeier stellt sich in der Kolumne „Auf der Couch“ der Frage, ob Menschen sich in einer Beziehung bewusst verletzend verhalten.
© Quelle: Kinga Cichewicz/ Unsplash
Seit dem Jahr 2014 beschäftigt sich der Psychologe Christian Hemschemeier als Paartherapeut mit toxischen Beziehungen. Immer wieder kommt dabei die Frage auf, ob der Partner sich eigentlich bewusst so verletzend verhält.
Dafür muss erst mal definiert werden, was genau so schrecklich war. Darüber gehen häufig die Meinungen in einer Partnerschaft erheblich auseinander. Wenn jemand ein großes Empathieproblem hat, kann er oder sie zum Beispiel häufiges Geflirte direkt vor der Nase als „lustig“ oder „normal“ empfinden, während der Partner zutiefst getroffen ist – wegen andauernder Grenzüberschreitung und Respektlosigkeit etwa. Oder vielleicht empfindet ein Partner ständige Kritik auch sehr anstrengend und bewertet sein Gegenüber als „zu empfindlich“.
Grenzüberschreitungen in toxischen Beziehungen
Letzten Endes muss man ganz klar sagen: Sie allein definieren, was eine rote Linie in Beziehungen ist, sprich an welcher Stelle Ihre Grenzen überschritten sind. Wenn man unsicher ist, kann man Freunde um ihre Meinung bitten. In toxischen Beziehungen gibt es oft haarsträubende Dinge, die wohl die meisten Menschen als Grenzüberschreitung empfinden. Also zurück zu der Eingangsfrage: Passieren diese massiven Grenzüberschreitungen „bewusst“?
Wenn man sich eine giftige Beziehung etwas intensiver anschaut und die ganze Manipulation offenbar wird, kommt man oftmals nicht umhin, das Verhalten als einen bewussten Akt einzustufen. Bewusst in dem Sinne, dass zum Beispiel eine heimliche Affäre schlecht unbewusst ablaufen kann.
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Menschen bemerken ihr Empathieproblem oft nicht
In vielen Fällen ist es wohl aber nicht bewusst in dem Sinne, dass man dem anderen absichtlich wehtun will. Was ich stattdessen in meiner Praxis oft erlebe, ist, dass Menschen ihr Verhalten rechtfertigen mit Sätzen wie: „Ich kann nicht anders“, „Ich bin halt so“ oder „Das steht mir jetzt zu“. Und das entspricht dann eben auch ihrer Realität. Oft entsteht dieses Verhalten aus mangelnder Empathie. Und tatsächlichen bemerken die Betroffenen oft nicht, dass sie ein Empathieproblem haben.
Es gibt natürlich auch Fälle, bei denen ganz bewusst verletzt wird, aus einer tiefen Wut heraus. Wenn zum Beispiel aus Wut nach dem Ende einer Beziehung ein Rosenkrieg angezettelt wird, dann kann das nur ein bewusster Vorgang sein.
Partner hat keine Distanz zu sich selbst
Entscheidend ist, dass man sich als unter dem toxischen Partner „Leidender“ nichts vormacht. Menschen sind teils so „gemein“, wie sie wirken, und scheinen das mitunter sogar zu genießen. Man sollte dieses Verhalten einfach so unemotional wie nur möglich zur Kenntnis nehmen und dann auch seine Schlüsse daraus ziehen. Insbesondere sollte man sich die Frage stellen, ob man wirklich in einer solchen Beziehung sein möchte.
Ist damit zum Thema Bewusstheit alles gesagt? Nein. Ich denke, wir müssen noch mal tiefer hinschauen. Menschen, die so verletzend agieren, sind häufig selber mal verletzt worden. Oder sie sind einfach völlig in ihrem Ego gefangen und haben keinerlei Distanz zu sich selbst. Wenn man so will, könnte man das „spirituell unbewusst“ nennen. Es sind Menschen, die (noch) keinen Zugang zu ihrer echten Selbstliebe haben und aus einem ständigen Mangel agieren. Das heißt nicht, dass sie nicht Verantwortung übernehmen müssen für sich und ihr Verhalten – früher oder später. Das müssen wir alle, davon bin ich überzeugt.
Nicht zum Retter aufspielen
Insofern hat jeder Mensch grundsätzlich unser Mitgefühl verdient. Dieses Mitgefühl kann man aber durchaus aus einer sicheren Entfernung ausüben, es braucht dafür keinen Kontakt und schon gar nicht brauchen wir uns zum Retter aufzuschwingen. Jeder Mensch geht in seinem ganz eigenen Tempo weitere Entwicklungsschritte. Jemanden immer gleich retten und belehren zu wollen hat mehr mit dem eigenen Ego zu tun, als man manchmal wahrhaben will.
Der Autor und seine Kurse sind zu erreichen über www.liebeschip.de. Sein neues Buch „Vom Opfer zum Gestalter – raus aus toxischen Beziehungen“ ist gerade erschienen.
In unserer Kolumne „Auf der Couch“ schreiben wechselnde Experten zu den Themen Partnerschaft, Achtsamkeit, Karriere und Gesundheit.