Diese Merkmale entlarven toxische Beziehungen
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/3JPAK5ETSFGV3BM7CNDVUTTHPA.jpg)
Verbale Eskalationen können Beziehungen aus der Balance bringen.
© Quelle: imago images/Ikon Images
Hannover. Als Paartherapeut werde ich immer wieder mit der Frage konfrontiert, woran eine toxische Beziehung denn erkennbar sei. Eine Standardantwort gibt es leider nicht. Und da auch meist kein roter Punkt auf deren Stirn klebt mit der Aufschrift „Achtung, toxisch”, führt kein Weg daran vorbei, es zu testen.
Aber beginnen wir von vorne. Was genau bedeutet denn eigentlich toxisch? Im Duden steht an erster Stelle „giftig”, an zweiter „sehr bösartig, gefährlich, schädlich, zermürbend”. Leider treffen alle Erläuterungen ziemlich ins Schwarze. Natürlich sind die Ausprägungen von Paar zu Paar unterschiedlich, aber für gewöhnlich erleidet mindestens einer der Partner seelische Schmerzen.
In toxischen Beziehungen fehlt es an Empathie
Oft wird der Begriff der toxischen Beziehung in Zusammenhang mit Narzissmus, Borderline oder einer anderen psychischen Persönlichkeitsstörung beziehungsweise mit Anteilen davon genannt. Diese haben gemein, dass es ihnen unter anderem oft an Empathie für ihr Gegenüber fehlt. Diese wiederum ist jedoch einer der wichtigsten Bestandteile, um eine gesunde und erfüllende Partnerschaft zu leben.
Die „Meilensteine“ gesunder Beziehungen gilt es zu beachten
Das „Schöne” an toxischen Beziehungen ist, dass sie sich in den meisten Fällen direkt als solche outen. Nur sehen wir dies manchmal nicht, rosarote Brille sei Dank. Doch wenn wir unseren Verstand ebenfalls an den Dates teilhaben lassen, können wir sie recht schnell entlarven. Es gibt einige wichtige Punkte, auf die wir achten sollten. Ich nenne sie die Meilensteine einer gesunden Beziehung. Fehlt eines oder gar mehrerer dieser Kennzeichen, ist Vorsicht geboten.
Konsistenz: Die Stimmung sollte nicht zu sehr schwanken
Das erste Merkmal ist die Konsistenz. Die Treffen sollten konsistent sein, sprich in regelmäßigen Abständen stattfinden und nicht immer wieder aufgrund irgendwelcher Vorkommnisse verschoben werden. Auch die Stimmung sollte konsistent sein. Natürlich rennen wir nicht immer alle wie ein Honigkuchenpferd herum. Doch wenn unser Gegenüber das eine Mal aus dem Schwärmen nicht herauskommt und beim anderen Mal völlig kalt und unnahbar ist, sollten wir wachsam den weiteren Verlauf beobachten.
Nicht aus der Balance bringen lassen
Weiter geht es mit der Balance, die eng mit der Konsistenz verknüpft ist. Eine gesunde Beziehung sollte mich nicht aus der Balance bringen. Verbale Eskalationen, unnatürliches Verhalten oder das Verlieren in völliger Verlust- oder Bindungsangst sind hierbei nicht hilfreich.
Progression: „Nach vorne“ ist die beste Richtung
Ein weiteres Kennzeichen für eine gesunde Beziehung ist die Progression. Der Verlauf einer Partnerschaft sollte in einem angenehmen und gesunden Tempo geschehen und eine Weiterentwicklung deutlich erkennbar sein. „Auf der Stelle stehen zu bleiben” ist daher eher ungünstig. Lernt man beispielsweise zwar die Freunde kennen, die Familie jedoch nicht oder darf man nie in die Wohnung des Partners, ist das kein gutes Zeichen. Die Geschwindigkeit ist natürlich sehr variabel, doch es sollte sich immer in die eine Richtung entwickeln: nach vorne.
Sexuelle und emotionale Intimität zulassen
Das vierte Kennzeichen ist die Intimität. Darunter ist nicht nur der sexuelle Aspekt zu verstehen, sondern auch oder sogar vor allem der emotionale. Nur wenn sich beide Partner öffnen, dem anderen vertrauen und sich somit verwundbar machen, kann echte Nähe und irgendwann Liebe entstehen. Verschließt sich einer der Partner vor dieser Intimität, kann sich daraus keine gesunde und erfüllende Beziehung entwickeln.
Zwölf Anzeichen für eine toxische Beziehung
Fakt ist: Der Beziehungsalltag ist nicht immer leicht. Bei toxischen Partnerschaften kommt es aber zu emotionalen Verletzungen, die über die Streitigkeiten einer „normalen“ Beziehung deutlich hinausgehen. Diese Beziehungen führen zu einer Abwärtsspirale, aus der man erstaunlich schwer wieder hinausfindet – und sie können sogar regelrecht krank machen.
Wie immer gilt, dass jede Beziehung ihre ganz eigene Dynamik hat und ein Überstülpen eines Schema F nicht zielführend ist. Dennoch sind diese Merkmale ein gutes Indiz dafür, ob sich die Partnerschaft in eine gesunde und damit gute Richtung entwickelt. Sind wir achtsam und haben die Meilensteine im Hinterkopf, erkennen wir toxische Beziehungen trotz rosaroter Brillen oder fehlender roter Punkte. Wenn Sie das Gefühl haben, in einer toxischen Beziehung zu stecken, sollten Sie auf diese Anzeichen achten:
- Der Selbstwert wird immer schwächer. Die Beziehung gibt einem keine Kraft. Stattdessen zweifelt man immer mehr an sich selbst, was paradoxerweise dazu führt, dass man sich noch schlechter trennen kann.
- Alle Freunde und die Familie raten vehement ab von der Beziehung, aber man selbst kann nicht wirklich sehen, was passiert. Es ist wie ein blinder Fleck.
- Die Beziehung beschäftigt einen obsessiv Tag und Nacht. Ständig denkt man über Gespräche nach und überlegt, was man anders machen könnte. Im Extremfall kann man kaum noch schlafen, essen, arbeiten.
- Egal was passiert, man bekommt immer die Schuld an allem. Praktisch nie bekommt man eine Entschuldigung, auch nicht in ganz klaren Fällen.
- Die Beziehung ist geprägt von extremen Hochs und Tiefs, starker emotionaler Kälte und dann heftigen, innigen und emotionalen Wiederversöhnungen. Die guten Zeiten werden aber immer weniger, die schlechten immer mehr.
- Es findet extreme Kontrolle statt. Das Handy wird kontrolliert, es wird bestimmt, wer getroffen werden darf, was angezogen wird, was gegessen wird, wie Geld ausgegeben wird und so weiter.
- Es finden regelmäßig verbale (oder sogar körperliche) Grenzübertritte statt. Persönliche Grenzen werden generell nicht eingehalten. Auch wenn man darum bittet, dass bestimmte verletzende Dinge nicht wieder passieren, geschieht dies doch in „schöner“ Regelmäßigkeit. Wenn man sich beschwert, bekommt man zusätzlich oft die Schuld dafür („Ich konnte ja nicht anders, weil du…“).
- Man wird immer mehr isoliert von Freunden, Bekannten und Familie. Entweder geschieht das direkt oder es passiert dadurch, dass andere die immer gleichen Geschichten nicht mehr hören können.
- Was man auch probiert, um die Beziehung zu verbessern – nichts nützt etwas. Man möchte gern „den Karren aus dem Dreck ziehen“, aber das geht allein nicht. Die Themen, über die diskutiert wird, sind immer gleich. Auch wenn scheinbar ein Punkt erschöpfend besprochen wurde, taucht er trotzdem wieder auf. Die Beziehung entwickelt sich nie weiter.
- Das gegenseitige Interesse scheint sehr ungleich verteilt. Real oder im übertragenen Sinne „zahlt man immer drauf“.
- Gespräche und Begebenheiten werden im Nachhinein ganz anders dargestellt.
- Man fühlt sich weniger wie ein einzigartiges, in sich wunderbares Wesen, sondern mehr wie ein Objekt, an dem leider noch gearbeitet werden muss, damit es gut genug ist. Insbesondere zeigt sich ein ständiges einseitiges Kritisieren von teilweise total alltäglichen Dingen, zum Beispiel der Kleidung oder dem Aussehen.
Was macht man nun, wenn man feststellt, dass man in einer solchen Beziehung ist? Auf jeden Fall sollte man sich klarmachen, dass das auf Dauer alles andere als gesund ist, auch wenn man es noch „aushält“. Man kann sich ein Zeitlimit setzen und es in dieser Zeit noch einmal mit Gesprächen oder einer Paarberatung versuchen. Oft haben Betroffene aber schon zig Chancen gegeben. Am Ende bleibt deshalb oft nichts anderes übrig, als das Gelernte mitzunehmen und zu gehen.
Der Autor und seine Kurse sind zu erreichen über www.liebeschip.de. Sein Buch „Der Liebescode“ ist 2019 im Handel erschienen.