Sex nach der Schwangerschaft: Wenn die Müdigkeit siegt
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Nach der Schwangerschaft sind Mütter vor allem müde. Sex mit dem Partner kommt da oft zu kurz.
© Quelle: Maddi Bazzocco on Unsplash
Eigentlich müssten sich auf den Spielplätzen des Landes ewige Einzelkinder tummeln, so erledigt wie junge Mütter abends sind nach Kita-Suche, Pastinakenbrei-Experimenten oder Job-Wiedereinstiegsgesprächen. Aber irgendwann scheint die Lust auf Sex doch zurückzukehren. Anders lässt sich nicht erklären, dass das zweite Kind statistisch gesehen etwa zweieinhalb Jahre nach dem ersten auf die Welt kommt. Wobei Sex zum Glück nicht mehr hauptsächlich der Familienvergrößerung dient. Sex könnte tatsächlich Spaß machen, wäre da nicht die Müdigkeit.
Bei vielen Müttern ist durch das Stillen der Bedarf an Körperlichkeit einfach gedeckt.
Anika Bökenhauer, Systemische Paar- und Sexualtherapeutin
Anruf bei Anika Bökenhauer, Mutter von zwei kleinen Kindern und beruflich Systemische Paar- und Sexualtherapeutin in Göttingen. Ihre Praxis suchen häufig Paare auf, denen die Lust abhandengekommen ist, zum Beispiel nach der Geburt eines Babys. Warum ist das überhaupt so? Frau Bökenhauer sagt: „Bei vielen Müttern ist durch das Stillen der Bedarf an Körperlichkeit einfach gedeckt. Stellt man sie vor die Wahl 'Schlaf oder Sex?' nehmen sie Schlaf. Verständlicherweise. Ich rate Müttern im ersten Jahr nach der Geburt, sich maximale Entlastung im Alltag zu organisieren. Wenn Sex keine Priorität hat, ist das total in Ordnung. Wichtig ist, die Partnerschaft im Blick zu behalten. Zeigen Sie ihm durch Blicke, Worte und liebevolle Berührungen, dass er geliebt wird und ein attraktiver Mann ist.“
Das Problem ist aber: Die meisten Männer finden es eher langweilig, einfach nur gut gefunden zu werden. „Viele Männer haben ein größeres Bedürfnis nach körperlicher Liebe, das stimmt“, sagt die Therapeutin. „In meine Praxis kommen Paare oft mit unterschiedlichem Fokus: Die Frau will erst die Streitigkeiten beenden, dann klappt es auch wieder mit dem Sex, vermutet sie. Der Mann will sich erst körperlich geliebt fühlen, bevor er wieder ins Gespräch kommen kann. Aus dieser Situation kommt man am ehesten raus, wenn man anerkennt, dass auch die Sicht des Anderen in Ordnung ist und indem man miteinander über intime Bedürfnisse spricht und den Partner nicht mit Wir-müssen-mal-wieder-Sex unter Druck setzt. Im Übrigen läuft Sex nie linear. Manche Paare haben zwei Tage hintereinander und dann wieder wochenlang keinen Sex. Das ist okay.“
Verabredungen zum Sex können helfen
Wenn Frauen während der Schwangerschaft und erst recht nach der Geburt wochenlang abstinent leben, gewöhnen sie sich offenbar anders als Männer daran. Sie vermissen Sex nicht mehr so. Der Mann aber schon. In dem Fall sind Verabredungen zum Sex die rettende Idee. Man darf nur nicht den intensivsten und spektakulärsten Sex erwarten, sondern erst mal eine körperliche Annäherung, die einstimmt auf die Leidenschaft, die mal da war. Oft kommt die Lust ja auch erst, wenn man den Körper des Partners wieder spürt. Dafür könnte man auch einfach mal spontan sein und die Gelegenheit nutzen: Das Baby ist beim Spaziergang eingeschlafen? Nichts wie nach Hause, Kinderwagen auf dem Flur parken und den Partner einfach aufs Sofa schubsen. Man könnte die Oma Sonntagvormittags mit dem Buggy um den Block marschieren lassen, um Zeit für einen Quickie raus zu schinden. Aber kaum ist man in Fahrt, kräht das Baby schon wieder. Oder die Oma klingelt Sturm.
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„Selbst wenn man beim Akt gestört wird, schafft es ja auch Begehrlichkeiten, besonders weil er nicht vollendet wurde. Außerdem geht es vielen Frauen gar nicht nur um die Frage, ob sie einen Orgasmus haben oder nicht. Auch ohne Orgasmus ist Sex oft ein lustvolles Erlebnis“, sagt Frau Bökenhauer. Auf jeden Fall sei es ganz normal, dass es zuhause im wohltemperierten Ehebett nach einigen Beziehungsjahren nicht mehr so knistert. Und natürlich ist es doof, mit baumelndem BH, herunter gelassener Hose und glasigen Augen auf dem Sofa vom Nachwuchs erwischt zu werden.
Sex gehört nicht auf die To-Do-Liste
Ein anderes Problem ist aber gravierender. „Viele Paare einigen sich mit den Jahren sexuell auf den kleinsten gemeinsamen Nenner. Jeder macht ein paar Abstriche, verzichtet auf sein eigentliches Kapital, die erotischen Phantasien, und man trifft sich bei einer Art Mittelmaß-Sex und langweilt sich. Allerdings müssen nicht nur Eltern, sondern alle Langzeitpaare aktiv etwas tun für ihr Sexleben und sich fragen, was ihrer Lust im Weg steht. Würde ein besser trainierter Beckenboden das Lustzentrum unterstützen? Dann ist eine Extrarunde Rückbildung eine Idee. Könnten Kerzen, Musik oder eine Massage, ein gemeinsames Bad oder erotische Wäsche für sie und ihn wieder Anreize geben? Jeder braucht etwas anderes.“ Und wenn die Müdigkeit am Ende doch alle Sex-Pläne torpediert, ist Schlafen sowieso die beste Idee. Denn Sex gehört nicht auf die To-Do-Liste. Mit dem Sex ist es wie mit dem Aufräumen: alles kann, nichts muss! Hauptsache, man fühlt sich wohl dabei.
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