Paartherapeut: Darum bringt Streit in toxischen Beziehungen so viel Leid
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Ein gepflegter Streit gehört durchaus auch ab und an zu einer gesunden Beziehung. Es gibt aber deutliche Anzeichen, dafür, wann solch ein Konflikt nicht mehr „gesund“ ist.
© Quelle: Jan-Philipp Strobel/dpa
Niemand streitet gern oder zumindest sind sich einige nicht bewusst darüber, dass sie es gern tun. Fair ausgetragene, ruhige „Streitigkeiten“ gehören in Beziehungen allerdings dazu, sie sind Teil eines normalen und gesunden Beziehungslebens. Wenn ein Paar nie streitet, kann dies auf eine unteraktivierte Beziehung hindeuten.
Das allerdings bedeutet dann meist auch, dass das Paar zwar freundschaftlicher agiert, aber im Bett dafür nicht ganz so viel los ist. Zudem deutet das Ausbleiben von Streit darauf hin, dass eine gewisse Konfliktscheue in der Beziehung herrscht und es wenig Raum für Individualität gibt. Wenn man die „heißen“ Themen verbal nicht anpackt, gilt das auch entsprechend beim Thema Körperlichkeit.
Ein Tanz zwischen Nähe und Distanz
Natürlich gibt es auch das andere Extrem, es ist meist bei den überaktivierten Paaren zu finden. Normale Konflikte eskalieren regelmäßig wegen Kleinigkeiten – oder aber die Angst vor Eskalation führt zur Streitvermeidung. In einem guten Streit über wichtige Themen lernt man sich besser kennen, man lernt etwas über die Grenzen des anderen und setzt selbst welche. Es geht um Polarität und um den Tanz zwischen Nähe und Distanz. An einer gesunden Streitkultur und guten Kommunikation können die meisten Paare allerdings noch arbeiten.
Worin unterscheidet sich nun also der Streit in (mehr oder weniger) gesunden Beziehungen zu dem in toxischen Beziehungen?
So, wie sich Paare durch Streit und Auseinandersetzung weiterentwickeln können, so kann in toxischen Beziehungen immer mehr Leid entstehen. Die Auseinandersetzungen können laut und aggressiv sein, der Partner kann aber auch durch Schweigen oder Liebesentzug bestraft werden.
Die Versöhnung nach heftigen Konflikten wird meist als besonders schön und intensiv wahrgenommen. Dabei kommt es auch nicht selten zu großen Liebesbekundungen. Genau dieses Wechselspiel aus heftigen Auseinandersetzungen und intensiven Versöhnungen macht den Suchtcharakter in toxischen Beziehungen aus.
Man kann sich durchaus auch mal anschreien
In gesunden Beziehungen schreien wir uns auch mal an oder ignorieren den anderen. Wenn die Beziehung einen dann irgendwann nicht mehr glücklich macht, dann trennen wir uns oder versuchen, an der Beziehung, gegebenenfalls auch mit professioneller Unterstützung, zu arbeiten.
Das Erkennen von toxischen Mustern ist allerdings meist ein längerer Prozess, der nicht selten von vielen On-off-Phasen geprägt ist. Das Bauchgefühl wird in diesen Beziehungen oft einfach ignoriert. Man geht über das Gefühl hinweg, dass der andere einem einfach nicht guttut. Eine gesunde Beziehung kann einen stärken und das beste aus einem rausholen. Die toxische Beziehung nimmt einem jedoch jeglichen Selbstwert und holt das schlechteste aus einem heraus. Oft zeigen wir in diesen Beziehungen Verhaltensweisen, die in anderen Beziehungen nie oder selten zum Vorschein kamen.
Über die individuellen Grenzen wird nicht gesprochen, sie werden permanent übertreten. An einer Beziehung kann man arbeiten und kleine oder größere Krisen durchaus überwinden, vor allem dann, wenn es ein stabiles Fundament gibt. In einer toxischen Beziehung lässt sich die Dynamik in der Regel nicht überwinden und man sollte auch nicht versuchen, den anderen zu ändern oder zu retten.
Familie oder Freunde sehen die Dinge von außen oft viel deutlicher
Jeder kann nur an sich selbst arbeiten und jeder sollte für sich selbst erkennen, ob und wann es besser ist, sich aus einer solchen Beziehung zu lösen. Wenn man das selbst nicht mehr deutlich sehen kann und immer wieder nach Entschuldigungen sucht und Erklärungen findet, kann es durchaus sinnvoll sein, mal das Umfeld zu fragen. Familie oder Freunde sehen von außen oft viel deutlicher, wie man sich in solchen Beziehungen verändert und ob sie einem guttun oder nicht.
In der Kolumne „Auf der Couch“ schreiben wechselnde Experten zu den Themen Partnerschaft, Achtsamkeit, Karriere und Gesundheit. Der Autor und seine Kurse sind zu erreichen über www.liebeschip.de. Sein neues Buch „Vom Opfer zum Gestalter – Raus aus toxischen Beziehungen, rein ins Leben“ ist in allen Buchhandlungen erhältlich.