Deutsche haben weniger Sex: Sind Smartphones und beruflicher Stress schuld?

Ein Paar liegt gemeinsam im Bett. Sie sieht ihn mit verschränkten Armen an und schmollt.

Nur 52 Prozent der Bundesbürger haben wenigstens einmal pro Monat Sex. „Der Aufwand, mit einem Partner Sex zu haben, ist mittlerweile schon zu anstrengend“, sagt Münchner Sexual- und Paartherapeutin Heike Melzer.

München. „Sexuelle Lustlosigkeit ist ein Standardthema in meiner Praxis", sagt die Münchner Sexual- und Paartherapeutin Heike Melzer. Der jüngst veröffentlichte „Freizeit-Monitor 2019" offenbart: Nur 52 Prozent der Bundesbürger haben wenigstens einmal pro Monat Sex. Fünf Jahre zuvor waren es noch 56 Prozent. Die Lustlosigkeit sei aber partnerbezogen, betont Melzer. Enormer Pornokonsum sowie unendliche Online-Angebote für unverbindlichen und käuflichen Sex führten dazu, dass sich die triebhafte Seite der Sexualität von verbindlichen Partnerschaften entkoppelt. Ein fortwährend gleichbleibender Partner hingegen werde mit der Zeit unattraktiv, erläutert die Expertin.

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Viele empfinden es als aufwändig, mit dem Partner Sex zu haben

Ähnlich sieht es Sexualwissenschaftler Volkmar Sigusch: „Aus meiner Sicht ist entscheidend, dass heute die permanenten digitalen Möglichkeiten des sexuellen Erregens und Handelns den Reiz des Sexuellen in dem Sinne gedämpft haben: ‚Ich muss das jetzt ja nicht machen, ich kann das ja jederzeit nachholen'", erklärt er. „Je leichter etwas zu erreichen ist, desto mehr verliert es an Reiz."

Je leichter etwas zu erreichen ist, desto mehr verliert es an Reiz.

Volkmar Sigusch, Sexualwissenschaftler

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Melzer unterscheidet davon die generelle Lust. „Die Anzahl von Orgasmen ohne Partner, zumindest ohne verbindlichen Partner, haben in den vergangenen Jahren durch die online ständig verfügbaren starken sexuellen Reize zugenommen", sagt sie. „Der Aufwand, mit einem Partner Sex zu haben, ist mittlerweile schon zu anstrengend. Es geht aus der Retorte der Pornografie oder mit leistungsstarken Sex-Toys um vieles einfacher." Der Aspekt der Bindung komme dann aber zu kurz.

Heike Melzer, Sexual- und Paartherapeutin aus München, schaut in die Kamera.

Heike Melzer ist Sexual- und Paartherapeutin in München. Der jüngst veröffentlichte „Freizeit-Monitor 2019“ offenbart: Nur 52 Prozent der Bundesbürger haben wenigstens einmal pro Monat Sex.

Studie: Am wenigsten Sex haben Singles und Ruheständler

Die Studie der Stiftung für Zukunftsfragen, die den „Freizeit-Monitor" veröffentlicht hat, differenziert in viele Untergruppen: 59 Prozent der Eltern in der Altersgruppe der 25- bis 49-Jährigen haben demnach wenigstens einmal die Woche Sex, 82 Prozent mindestens einmal im Monat. Am wenigsten Sex haben den Angaben nach Singles (27 Prozent wöchentlich, 49 Prozent monatlich) und Ruheständler ab 65 Jahre: 7 Prozent beziehungsweise 23 Prozent.

Das erste Mal: Das Einstiegsalter bleibt etwa gleich

Sexualwissenschaftler Heinz-Jürgen Voß von der Hochschule Merseburg hat zwar Zweifel, dass die Studie für die einzelnen Gruppen wegen kleiner Fallzahlen noch repräsentativ ist. Die Tendenz aber, etwa im Bezug auf Singles, stimme, „anders als es populär gemeinhin erwartet wird." Gemäß den Studien aus der Leipziger und Merseburger Sexualwissenschaft und der Hamburger Sexualforschung würden lediglich fünf Prozent des „Sexaufkommens" von Singles erbracht, formuliert er. Für junge Leute gelte: „Die einen immer früher, die anderen immer später." Für das Mittel betrachtet bleibe das Einstiegsalter in den Sex, also der erste Geschlechtsverkehr, somit etwa gleich.

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Im Alltag wirken Smartphones und beruflicher Stress oft als Lustkiller

Die Gründe für die zunehmende Lustlosigkeit sind unterschiedlich. Ulrich Reinhardt, wissenschaftlicher Leiter der repräsentativen Untersuchung für den „Freizeit-Monitor", etwa nannte ausgeprägtere Smartphone-Nutzung als Beispiel: „Wenn der Partner die ganze Zeit am Telefon ist, ist das nicht gerade eine romantische Stimmung, die da entsteht." Voß nennt vor allem beruflichen Stress als Lustkiller: „Kurz nach der Arbeit nach Hause kommen und sexuell funktionieren zu sollen, geht nicht beziehungsweise nur schwer. Für guten Sex und gutes Miteinander insgesamt sollte man sich Zeit nehmen."

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Auch die Anzahl der Jungfrauen steigt – womöglich durch den Leistungsdruck

Hinzu komme Leistungsstress durch die Pornoindustrie und Social Media, wie Melzer es nennt: „Dauererigierte Penisse, multiple Orgasmen, knackige Körper auch dank entsprechender Filter – der von uns wahrgenommene Soll-Wert beim Sex stimmt nur noch selten mit dem tatsächlichen Ist-Wert überein." Dabei sei der Trend, dass wir weniger Sex haben, nicht nur ein deutsches Phänomen, sondern finde sich auch in vielen anderen Ländern. Gleichzeitig steige die Anzahl an Unberührten. So hätten in Japan rund vier von zehn der 18- bis 36-Jährigen noch überhaupt keine sexuellen Erfahrungen.

Männer vergleichen sich in Sachen Geschlechtsverkehr häufig

Dass wir uns in Sachen Sex vergleichen, ist aus Melzers Sicht kein Problem – sondern völlig normal. „Dabei sind besonders Männer leistungsorientierter und vergleichen sich gerne kompetitiv mit ihrem Umfeld", sagt sie. Jedoch seien Umfragen zu Sex-Themen mit Vorsicht zu genießen, weil Männer dazu neigten, zu übertreiben und zu prahlen, während Frauen eher weniger erzählten als sie wirklich erleben.

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Wie viel Sex gilt als „normal" und „richtig"?

Auf die Frage, wie viel Sex „richtig" ist, gibt es allerdings keine allgemeingültige Antwort: „Ich habe Menschen, die auf Sex vollständig verzichten und darin auch kein Problem sehen, und andere, die dreimal täglich Sex haben und dies für normal empfinden", so Melzer. Dabei könne man mit zu wenig als auch mit zu viel Sex Probleme bekommen.

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„Sex entwickelt sich zu einem Konsumprodukt"

„Die größten Sorgen bereitet mir aktuell die Vielzahl an Menschen, die in eine Sexsucht abgleiten mit allen klassischen Symptomen der Toleranzentwicklung, Dosissteigerung bis hin zum Kontrollverlust und starken negativen Auswirkungen in dem Leben", sagt Melzer. Erst in diesem Jahr hat die Weltgesundheitsorganisation zwanghafte sexuelle Störungen als Krankheit anerkannt. „Sex entwickelt sich immer mehr zu einem Konsumprodukt und ebenso wie in der Ernährung gibt es bei einem Zuviel Nebenwirkungen, die vielen noch gar nicht so bewusst sind", sagt Melzer – von Beziehungsproblemen bis zu Erektionsstörungen.

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RND/dpa

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