Hallo Staat, hiermit zähle ich mich selbst
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So sieht er aus, der Ausweis den die Erhebungsbeauftragten mit sich führen. Unser Kolumnist übernimmt die Rolle gleich selbst.
© Quelle: Polizeidirektion Lübeck
Es ist Volkszählung. Der Staat will wissen, wer in ihm wohnt und was er so treibt. Das hat mich verwirrt. Ich hätte schwören können, der Staat wisse bereits so ungefähr, wie viele wir sind und was wir so treiben. Schließlich schicken ihm viele von uns einmal im Jahr unsere Rechnungen und Bons.
Die vorige Volkszählung ist allerdings schon eine Weile her. Das war damals, als Quirinius Statthalter in Syrien war. Es könnte also sein, dass das Statistische Bundesamt noch immer davon ausgeht, dass wir in Holzhütten hinter dem Limes wohnen und die Römer bekämpfen.
Bei der letzten Volkszählung sind 1,5Millionen Deutsche aus der Statistik verschwunden. Ich bin schon sehr gespannt, wie viele es diesmal sind.
Bei der letzten Volkszählung sind 1,5 Millionen Deutsche aus der Statistik verschwunden. Bis dahin hatte man angenommen, dass sie existieren. Doch das war offenbar nicht der Fall. Ich bin schon sehr gespannt, wie viele Deutsche diesmal verschwinden – oder ob die Statistiker jetzt neue, bisher unbekannte Einwohner entdecken. Vielleicht haben drei Millionen von uns bisher unter einem Stein geschlafen und werden jetzt erst zur Kenntnis genommen.
Zensus in Deutschland ist gestartet: Erste Volkszählung seit über zehn Jahren
Beim Zensus 2022 handelt es sich um die erste Zählung des deutschen Volkes dieser Art seit mehr als zehn Jahren.
© Quelle: dpa
Wo haben Sie im Mai gearbeitet?
Ich habe mir mal angeguckt, was die Statistiker im Fragebogen zum Zensus 2022 nicht wissen wollen. Das sind: Sozialversicherungsnummer, Personalausweis, Unterschrift, Einkommen, Passwörter, Bank- und Kreditkarten, Kontoinformationen, E‑Mail-Adresse, geplante Urlaube, Teilnahme an Gewinnspielen, Impfstatus, Haustiere und zuletzt erhaltene größere Geschenke. Falls also ein Mann mit einem selbst gemalten „Zensus“-Schild am Hut bei Ihnen klingelt, der wissen will, ob Sie in jüngster Zeit irgendwelche Diamantencolliers geschenkt bekamen, wo Sie Ihr Geld versteckt haben und wann Sie im Urlaub sind, sollten Sie misstrauisch sein.
Mein Bildungsstand ist beklagenswert, mein Wissen basiert hauptsächlich auf Twitter und Monitoren an U‑Bahn-Stationen („News: Pietro Lombardi findet sich zu dick“). In meiner Freizeit esse und wohne ich gern.
Was die Statistiker dagegen abfragen: Alter, Geschlecht, Staatsbürgerschaft, Bildungsstand, wie und wo Sie wohnen und ob Sie zwischen dem 9. und 15. Mai 2022 gearbeitet haben. Dazu schickt man Ihnen einen Brief. Ich fasse zusammen: Um zu erfahren, wo Sie wohnen, schickt man Ihnen einen Brief.
Mein Brief ans Statistische Bundesamt
Ich helfe als vorbildlicher Staatsbürger natürlich, wo ich kann. Deshalb schicke ich hier bereits meine Antworten:
„Liebe(r/x) Herr/Frau/divers Staat,
mein Name ist Imre Hieronymus Grimm, ich bin Mitte/Ende 20 und deutscher Staatsbürger und wohne am Stadtrand einer größeren Stadt in Norddeutschland. Wenn du es genauer wissen willst, schick mir einfach einen Brief. Mein Bildungsstand ist beklagenswert, mein Wissen basiert hauptsächlich auf Twitter und Monitoren an U‑Bahn-Stationen („News: Pietro Lombardi findet sich zu dick“). In meiner Freizeit esse und wohne ich gern.
Ich lebe in einem Zimmer mit Bett und Schrank. Bonusinfo: Beim Anziehen meiner Hose falle ich regelmäßig um. Zwischen dem 9. und 15. Mai 2022 war ich beim Eurovision Song Contest in Turin. Viele Menschen glauben, das sei keine Arbeit. Dem möchte ich energisch widersprechen. Zudem bin ich dort insgesamt 76.481 Schritte gegangen, um meinem Arbeitgeber (Lob und Preis!) Kosten zu ersparen. Ich arbeite in der besten Redaktion der Welt und erhalte dafür ein Entgelt, von dem ich mir hauptsächlich Toffifee und Netflix kaufe.
Ich möchte bitte keinen Newsletter abonnieren und habe keine Paybackkarte. Wenn du mehr wissen willst, schreib mir einfach zurück, vielleicht können wir ja Brieffreunde werden. Viel Glück noch mit der Volkszählung.
Ich möchte es dir möglichst leicht machen, deshalb zähle ich mich einfach selbst: eins. Dann ist das schon mal erledigt.
Herzliche Grüße,
Dein Imre
In seiner Kolumne „Über Leben in Deutschland“ wirft Imre Grimm einen satirischen Blick auf den deutschen Alltag – dazu gehören persönliche Erlebnisse, aber auch Kuriositäten aus Politik, Gesellschaft und Kultur.