Witze über Minderheiten: Dumm und aus der Zeit gefallen

Der Comedian Serdar Somuncu bei einem Auftritt bei Radio Eins. (Archiv)

Der Comedian Serdar Somuncu bei einem Auftritt bei Radio Eins. (Archiv)

Berlin. Der Kabarettist Serdar Somuncu ist in der vergangenen Woche mit einem Witz auf die Nase gefallen. In einer vielfach kritisierten Passage seines RBB-Podcasts mit dem Kabarettisten Florian Schroeder hatte Somuncu unter anderem das N-Wort benutzt und dann gegen diejenigen geschossen, die Rassismus anprangern. Das seien “meistens Frauen (...), miese, hässliche Schabracken”, wütete Somuncu, während Florian Schroeder mehrfach lauthals im Hintergrund lachte und in die Hände klatschte. Jeder, der Kolumnen dieser Frauen lese, wisse, dass man diese nicht einmal mit einer Pinzette anfassen wollen würde, hieß es da etwa.

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Wer Somuncus Programme kennt, den dürften solche Aussagen nicht sonderlich überraschen. Dennoch: Der Proteststurm wurde so groß, dass sich sowohl der Sender als auch die Kabarettisten später entschuldigten. In der zweiten Ausgabe des “Schroeder & Somuncu”-Podcasts taten dies beide noch mal ganz ausführlich. Und die Rechtfertigung ist auf vielen Ebenen interessant.

Kabarettisten entschuldigen sich

Die neue Ausgabe beginnt nämlich zunächst mit einer langen Eröffnungsrede Schroeders, der auch Somuncu zustimmt. Er entschuldigt sich für seinen Beifall und sein Lachen. Das sei in dem gekürzten Ausschnitt “unangenehm”, “nicht schön” und “widerlich” gewesen.

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Dann allerdings schwenkt die Unterhaltung um: Somuncu hakt mehrfach bei Schroeder nach, ob man sich denn eigentlich gerade “in der Rolle” befinde, und ob man seine Aussagen auf die Goldwaage legen könne. Als “Pegel für alle, die es nicht einschätzen können”. Schröder erklärt an einer Stelle, ab wann es sich bei seiner Aussage um eine “satirische Zuspitzung” handele. Und gegen Ende setzt Schroeder noch zu einer ganz eigenen Wutrede an, während Somuncu im Hintergrund schallend lacht. Alles im Kontext, alles mehrfach erklärt. Diesmal will man sich offenbar ganz sicher sein: Auch der dümmste Zuhörer soll verstehen, was hier eigentlich gespielt wird.

Das Publikum ist zu doof

Diese Form der Publikumsverachtung ist erstaunlich. Denn die Kabarettisten gehen offenbar davon aus, dass Somuncus inszenierte Hassrede vom Publikum schlichtweg nicht verstanden wurde, und deshalb den Proteststurm ausgelöst hat. War wohl einfach zu große Kunst, zu feinsinnig für die Masse – und am Ende hat man doch wieder allen den ganz großen Spiegel vorgehalten.

Tatsächlich haben sich in der vergangenen Woche auf Twitter vor allem Medienprofis zum Fall geäußert. Einige von ihnen arbeiten selbst im Unterhaltungsbereich, ja sogar für Satireformate, wie zum Beispiel Aurel Mertz. Sie sind die letzten, die jetzt Nachhilfestunden in Sachen Satire bräuchten. Serdar Somuncu tanzt zudem seit 35 Jahren über Bühnen, durchs Fernsehen und durchs Radio. Die allermeisten Zuhörer seines Podcasts dürften ziemlich genau wissen, wer er ist, was er macht, und wie er Dinge meint.

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Auch wenn Schroeder und Somuncu nun versuchen, die Diskussion aufs Publikum zu lenken: Die Frage sollte nicht lauten, ob das Publikum zu doof für Somuncus Witze ist. Sondern: Ist das, was Somuncu da tut, vielleicht einfach nicht mehr gut genug?

“Jeder Minderheit hat das Recht auf Diskriminierung”

Die “Rolle”, von der Somuncu immer wieder in seiner Rechtfertigung spricht, ist der sogenannte “Hassias”. Der pöbelnde Türke, der auf der Bühne gegen alles und jeden schießt. Damit ist Somuncu bekannt geworden.

In einem Interview mit seinem Haussender hatte Somuncu schon in der vergangenen Woche auf den zentralen Satz seiner Figur verwiesen: “Jede Minderheit hat ein Recht auf Diskriminierung.” Als er mit der Comedy angefangen habe, sei er absichtlich von der Opfer- in die Täterrolle gesprungen. Er habe angefangen, “selbst zu beleidigen und die Schuld des Täterseins auf mich zu nehmen”.

Genauer erklärt Somuncu das noch mal im neuen Podcast. Da zitiert er den Kabarettisten Matthias Beltz. Dieser sagte einst:

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“Erst wenn alle gemein und niederträchtig über die Schwächen aller anderen herziehen, wenn alle wegen ihres Geschlechts, ihrer Abstammung, ihrer Rasse, ihrer Sprache, Heimat und Herkunft, ihres Glaubens, der religiösen und politischen Anschauungen und natürlich auch der körperlichen Gebrechen ausgelacht werden und keiner und keine ausgespart bleibt und wenn alle mitmachen – dann ist endlich Ruhe und Frieden. Und dann geht die Party erst los. Dann wird nicht mehr gejammert und gejault, sondern gelebt und gestorben und gefeiert. Da ist der Teufel los, und selbst die Götter schauen noch mal vorbei bei dieser Revolution, die keine revolutionären Beamten und Henker mehr braucht.”

Die Realität hat die Satire eingeholt

Das Problem an der ganzen Sache: Dieses Zitat ist schon ziemlich alt. Beltz verstarb im Jahr 2002, Somuncu wurde mit seinen Wutauftritten irgendwann in den 2000er-Jahren bekannt, als es noch als lustig galt, im “Quatsch Comedy Club” Witze über Veganer zu machen oder Frauen im Publikum als “Tittenmaus” zu bezeichnen.

2015 folgte dann noch mal ein Comeback des gepflegten Beleidigens von Minderheiten – und zwar mit einem 13 Millionen Mal geklickten TV-Total-Auftritt des Nachwuchscomedians Chris Tall, der in 6.22 Minuten erklärte, warum man eigentlich über Randgruppen lachen darf. “Weil man sich sonst über sie stellt”, meinte er und ebnete damit den Weg für seine Erfolgskarriere. Stichwort: “Darf er das?”.

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Mit anderen Worten: Das Zitat von Beltz, die Quatsch-Comedy-Club-Auftritte Somuncus, der Karrierebeginn von Chris Tall – sie alle geschahen lange bevor Donald Trump Präsident wurde. Ein Präsident, der in seinen Reden ganz selbstverständlich Witze über Behinderte macht, der sich immer wieder rassistisch äußert und Hass schürt. Sie geschahen auch lange bevor mit der AfD eine rechte Partei in den Bundestag einzog, und lange bevor Rechtsextreme in den sozialen Netzwerken Hass gegen Minderheiten salonfähig machten – teilweise auch mit den Mitteln von Humor und Satire.

Man könnte also sagen, die Realität hat die Satire der 2000er-Jahre längst eingeholt. Wäre es nicht an der Zeit, die eigene Kunst dahingehend anzupassen? Was vor 30 Jahren noch als gut galt, muss heute nicht mehr gut sein. Das gilt auch für Witze und den Mythos, das jede Minderheit gepflegt beleidigt gehört. Comedy muss auch mit der Zeit gehen können. Sonst ist es vielleicht einfach schlechte Comedy.

2020 als Kontext

Wenn Figuren wie Somuncu heute gegen Schwarze, Frauen oder Juden pöbeln, dann ist es völlig egal, ob die Auswürfe von einer Kunstfigur stammen oder nicht. Es trifft die Falschen. Und: Es ist in der Form, wie Somuncu es dargeboten hat, für viele Menschen Alltag. Bittere Realität, keine Satire.

Gleichzeitig bekommt die Provokation Applaus von der falschen Seite – eine Seite, die es vor 20, 30 Jahren in der Form noch nicht gab. Von Spinnern, die nun wieder in Großbuchstaben MEINUNGSFREIHEIT in die Kommentarspalten spucken, nur um dann irgendeinen rassistischen Quatsch von sich zu lassen – der Somuncu macht’s ja auch. Der Kontext eines Witzes ist wichtig – das wissen auch Schroeder und Somuncu. Aber der zeitliche Kontext, der Kontext des Jahres 2020, der gehört eben auch dazu.

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Man kann sicherlich darüber streiten, ob es im Rahmen von Satire sinnvoll ist, den türkischen Präsidenten zu beleidigen oder die Institution der Polizei. Aber das Beleidigen von Frauen und Schwarzen bringt uns ganz sicher nicht weiter. Was sollen Sie von einer Beleidigung in einem Radiopodcast haben? Dass sie sich, frei nach Chris Tall, nicht diskriminiert fühlen, weil ja auch Männer und Weiße beleidigt werden? Ganz ungewöhnlicher Gedanke: Wie wäre es eigentlich, wenn überhaupt niemand beleidigt und diskriminiert würde? Wäre doch auch irgendwie Gleichberechtigung.

“Somuncu, lass das!”

Aber klar, Satire darf bekanntlich alles. Lassen wir darum zum Abschluss noch mal jemanden sprechen, der hauptberuflich Satire macht, und kürzlich ebenfalls einen Proteststurm über sich ergehen lassen musste. Der schwarze Comedian Aurel Mertz twitterte nach Somuncus Rechtfertigung im Radio: “Weil die beiden hier wie Schuljungen zum Rapport geladen werden und Somuncu dann erklärt, dass er das N-Wort inflationär benutzt, um dem Wort die Macht zu nehmen. Lass das! Das ist nicht deine Aufgabe. Du repräsentierst nicht die Menschen, die es verletzt!”

Somuncu glaubt derweil offenbar bis heute, dass sein inszenierter Wutausbruch die größte Kunstaktion des laufenden Jahres war. In Minute 19 seines neuen Podcasts meint er, die Öffentlichkeit verschwende ihre Energie in Scheindebatten, statt sich mit den wirklich wichtigen Problemen zu befassen – etwa dem Rechtsradikalismus. Das müsse sich ändern. Kollege Schroeder fragt: “Wie willst du das hinkriegen?” Somuncu: “Indem wir genau das tun, was wir letzte Woche gemacht haben. Nämlich den Adolf in dir, in mir, in Ihnen zu wecken und zu sagen: ‘Guck mal, so funktionieren die Mechanismen, so schnell wird man intolerant, obwohl man Toleranz fordert.’” Na dann.

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