Wie beeinflusst die Fatwa Ihren Alltag?
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Zwischen Parabel, Mythos und Märchen: Salman Rushdies Bücher sind von “1001 Nacht“ inspiriert
© Quelle: dpa
Hannover. Ihr aktueller Roman “Golden House“ ist eine eindeutige Anspielung auf das Amerika von Donald Trump, gleichzeitig erinnert die Geschichte an einen antiken Mythos. Wie ziehen Sie die Linie zwischen Realitätsbeschreibung und Überhöhung?
Trump kam erst sehr spät in den Roman. Ich habe mit dem Schreiben zwei Jahre bevor Trump auf die Bildfläche trat begonnen. Doch als er sich erhoben hatte, musste ich das irgendwie einbauen. Man muss sich als Schreiber diese Freiheit bewahren, auf Dinge zu reagieren. Ich wollte Trumps Namen allerdings nicht im Roman haben. Also habe ich ihn zur satirischen Figur des Joker, des Bösewichts aus den Batman-Comics, gemacht. Abgesehen davon wollte ich eine moderne Tragödie schreiben. Der Protagonist Nero Golden ist ein sündiger alter Mann, der sich selbst und seine Söhne retten will und grandios scheitert. Darin spiegelt sich der shakespearsche Gedanke von Verhängnis: Man kann seinem Schicksal nicht entrinnen, so wie Orestes in der Mythologie den Rachegöttinnen nicht entkommen kann. Ich verbinde also etwas ganz Altes mit etwas Hochaktuellem.
Sie teilen den Heimatort Bombay mit Nero Golden. Identifizieren Sie sich mit diesem Tyrannen?
Oh ja, ich mag ihn sehr gerne. Es ist ja bei Romanen gängig, dass man die dunklen Charaktere oft genauso faszinierend findet wie die Helden. Das ist selbst bei Vasilisa so, Neros junger zweiter Ehefrau. Ich dachte, die kann man eigentlich nur hassen, so gerissen und selbstsüchtig wie die ist. Aber die Leser lieben sie! Manchmal fällt es leichter, das böse Mädchen zu lieben als das gute.
Ist Nero Golden ein Nachfahre des Großen Gatsby?
Beide Figuren haben gemeinsam, dass sie sich selbst erfinden, inklusive ihres Namens. Sie inszenieren sich als Playboy, um Frauen zu gewinnen. Mein Kollege F. Scott Fitzgerald verrät irgendwann im Roman den wahren Namen Gatsbys. Ich habe eine sehr genaue Vorstellung davon, wie Nero eigentlich heißt. Aber ich werde ihn sein Geheimnis wahren lassen.
Die Geschichte wird von einem jungen Filmregisseur erzählt, einige Episoden sind wie ein Drehbuch geschrieben. Ist Realität heute auch nur eine Art von Inszenierung?
Ich wollte den Erzähler auf diese Weise unzuverlässig machen. Er gibt vor, eine Dokumentation über die Goldens zu drehen, aber weil er nicht genug über seine Nachbarn weiß, denkt er sich Dinge aus.
Einmal schreiben Sie im Roman “Wahrheit ist so 20. Jahrhundert“. Wie bewerten Sie den Aufschwung von Fake News als Geschichtenerzähler?
Es gibt einen Bruch im Vertrauen der Menschen in die Welt. Sie glauben nicht mehr an das, was in den Zeitungen steht. Eine paranoide Sicht auf unsere Umgebung greift um sich, die Überzeugung, dass wir immerzu angelogen werden. Paranoiker sind in gewisser Weise optimistisch: Sie glauben immerhin daran, dass es eine geheime Wahrheit gibt. Sie sind nur der Ansicht, dass diese vor ihnen verborgen wird. Dieser Gedanke findet sich auch in den Romanen von Thomas Pynchon. Es ist sehr viel deprimierender, gar nicht mehr zu glauben, dass es eine Wahrheit gibt. Im Internet existieren wahre und falsche Aussagen parallel nebeneinander, Menschen können das kaum auseinanderhalten. Große Menschen wie Gandhi werden immerzu zitiert mit Aussagen, die im Netz kursieren, die sie aber niemals gesagt haben. Die aktuelle Regierung der USA nutzt diese Unsicherheit für ihre Zwecke und macht die Sache so noch schlimmer.
Trump sprach in Zusammenhang mit dem Iran-Deal jüngst von dem “schlechtesten Deal aller Zeiten“. Denken Sie, ihm werden die Superlative jemals ausgehen?
Er spricht nur in Extremen, er hat kein Gefühl für Bescheidenheit. “Der schlechteste Deal aller Zeiten“ war für ihn also noch ziemlich mild.
Der iranische Revolutionsführer Ajatollah Khomeini rief 1989 Muslime in der ganzen Welt auf, Sie zu ermorden, weil er in Ihren “Satanischen Versen“ eine Beleidigung des Propheten Mohammed sah. Die bis heute bestehende Fatwa zwang Sie ins Exil. Wie beeinflusst Ihre Geschichte mit dem Iran Ihre Gedanken über die aktuellen Entwicklungen?
Ich bin kein großer Fan des Irans, im Gegensatz zu Trump wähle ich eine Untertreibung. Aber es gab und gibt keine Anzeichen dafür, dass der Iran den Deal gebrochen hat. Wenn es also eine Vereinbarung gibt, die die Gefahr von Atombomben verringert, ohne dafür einen Krieg initiieren zu müssen, dann ist das für mich nicht der “schlechteste Deal aller Zeiten“. Und das scheint ja auch Trump selbst eingesehen zu haben, weil er den Deal am Ende doch nicht aufkündigte wie zuvor gewarnt.
Die Fatwa gilt für immer, weil nur der inzwischen verstorbene Khomeini sie hätte widerrufen können. Das Kopfgeld wurde sogar immer wieder erhöht, doch Sie verzichten seit einiger Zeit auf Polizeischutz. Welche Rolle spielt die Bedrohung in Ihrem Alltag?
Keine, seit 20 Jahren nicht mehr. Das ist nur noch ein Thema, wenn ich mit Journalisten spreche. Diese Wolke ist an meinem Leben vorbeigezogen.
Aber vor zwei Jahren hat der Iran aus Protest gegen Ihre Teilnahme seinen Auftritt bei der Frankfurter Buchmesse abgesagt ...
Das ist deren Problem, nicht meins. Also müssen Sie die fragen und können mich in Ruhe lassen. Das Thema spielt in meinem Leben keinerlei Rolle mehr – außer, wie gesagt, in Fragen von Journalisten.
Dann kehren wir noch mal ins “Golden House“ zurück: Die Geschichte spielt in dem verwunschenen Garten in New York, den der Erzähler mit den Goldens teilt. Haben Sie auch solch einen persönlichen Rückzugsort?
Ja, es gibt diesen Ort tatsächlich. Freunde von mir wohnen dort, und ich gehe dort immer wieder hin, seit ich in dieser Stadt lebe. Es ist eine magische, geheime Oase mitten in Manhattan, mit Kolibris und Stille.
Ist New York für Sie jetzt Heimat?
Eine der Freuden dieser Stadt ist es, dass viele Menschen oft auswärts essen, auch weil ihre Wohnungen nicht besonders groß sind. Es ist eine Stadt mit Millionen von Restaurants. Man kann jede Art von Essen binnen einer 15-minütigen Taxitour bekommen. Aber: Ich bin ein Junge aus einem heißen Land, und ich mag die Kälte nicht. In New York haben wir sehr extreme Jahreszeiten: Der Sommer kann sehr heiß sein, der Winter sehr kalt, und viele Menschen beschweren sich über beides. Ich denke, man muss sich entscheiden. Und ich beschwere mich über die Kälte.
Ihr vorletzter Roman “Zwei Jahre, acht Monate und achtundzwanzig Nächte“ spielt mit dem Mythos von “1001 Nacht“. Diese Nächte sind gefüllt mit Geschichten, die das Leben der Erzählerin Scheherazade retten sollen. Identifizieren Sie sich mit ihr?
Scheherazade ist eine große Heldin für Autoren, denn sie verkörpert die Hoffnung, dass Kunst Gewalttäter zivilisieren kann. Am Ende der Geschichte ist ihr Mann nicht mehr der tyrannische und mörderische König wie zu Beginn.
Eine der Romanfiguren ist der Philosoph Ibn Rushd. In Ihrer Autobiografie enthüllen Sie, dass Ibn Rushd der muslimische Gelehrte des 13. Jahrhunderts ist, nach dem sich Ihr Vater Rushdie nannte. Gibt es noch mehr dieser versteckten Selbstporträts in Ihrem Werk?
Rushd war seiner Zeit weit voraus, eine interessante Figur. Ich kann sehr gut nachvollziehen, weshalb sich mein Vater mit ihm identifizierte. Aber das hat seine Grenze. Die Menschen versuchen immerzu, Selbstporträts in meinen Büchern zu finden. Aber sie sind nicht da.
Von Nina May