„Werk ohne Autor“: Im Mahlstrom der Geschichte
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Morbide Figur: Professor Carl Seeband (Sebastian Koch) hat im Nationalsozialismus Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen.
© Quelle: Foto: Disney
Hannover. In seinem Stasi-Drama "Das Leben der Anderen" reichte Florian Henckel von Donnersmarck noch die DDR als historischer Rahmen. "Werk ohne Autor" nimmt den erzählerischen Faden im Nationalsozialismus auf und begleitet den Helden bis in die Anfangsjahre von DDR und Bundesrepublik. Donnersmarcks Oscar-Film dauerte 137 Minuten, der nun von deutscher Seite nominierte Oscar-Kandidat 188 Minuten. Der erste Film spielte im Literatenmilieu, nun geht es um die ganz große Malerei.
Bei „Werk ohne Autor“ gibt es von allem ein bisschen mehr
Man könnte also sagen: Bei Donnermarcks Comeback im deutschen Kino (nach der misslungenen Hollywood-Krimi-Romanze "The Tourist") gibt es von allem ein bisschen mehr. Sowohl hier wie dort aber steht ein Thema im Mittelpunkt: der Kampf um moralische und künstlerische Wahrhaftigkeit im Mahlstrom der deutschen Geschichte.
In Interviews betont Donnersmarck, dass er sich inspirieren ließ vom Leben des Malerstars Gerhard Richter – worüber dieser im Nachhinein gar nicht glücklich sein soll. Richter will nichts mehr zu dem Film sagen.
Die Bearbeitung von Geschichte ist bis zu einem gewissen Grad bei jeder Fiktionalisierung unvermeidlich – hier aber stößt diese Haltung unangenehm auf. Donnersmarck instrumentalisiert die Geschichte, bis sie sich seinem Drehbuch fügt.
Donnersmarck liefert in „Werk ohne Autor“ unreflektierte Schnitte
Einem Euthanasieopfer folgt er wie selbstverständlich bis in die Gaskammer, so als hätte er von der Debatte um „Schindlers Liste“ noch nie gehört. Und dann schneidet er ganz unreflektiert diese Szene gegen den alliierten Bombenhagel auf Dresden am Ende des Zweiten Weltkrieges. Kann man beide Ereignisse einfach gleichsetzen? Der Umgang hier wirkt wie eine historische Relativierung, wenn auch wohl eine eher unbeabsichtigte, was die Sache keinesfalls besser macht.
Den Protagonisten Kurt Barnert (Tom Schilling) lernen wir zunächst als kleinen Jungen (Cai Cohrs) kennen. Er besucht in den Dreißigerjahren in München die von den Nazis zusammengestellte Ausstellung „Entartete Kunst“. Seine kunstbegeisterte Tante Elisabeth hat ihn in die Schau mitgenommen. Durch sie lernt er die Malerei lieben, vor der hier die Nazis doch eigentlich warnen wollen.
Wenig später muss Kurt miterleben, wie die schwelgerische Elisabeth mit Gewalt in einen Krankenwagen verfrachtet wird. Er wird sie nie wiedersehen. Dieses Trauma wird ihn die nächsten Jahrzehnte verfolgen, aber Elisabeth hat ihm auch einen Rat mitgegeben: „Schau niemals weg!“ – weshalb der englische Filmtitel „Never Look Away“ lautet. Und das ist wohl auch das Motto dieses Films.
Der Maler wird zum Ankläger
Ein paar Jahre quält sich der talentierte Künstler Kurt in der DDR mit den Zwängen des sozialistischen Realismus. Beim Wandbildmalen verliebt er sich in Ellie (Paula Beer) und damit ausgerechnet in die Tochter jenes Medizinprofessors Carl Seeband (Sebastian Koch), der die Ermordung von Kurts Tante Elisabeth mit einem simplen roten Aktenkringel veranlasst hatte – was Kurt nicht weiß, aber tief in seinem Innern irgendwie zu ahnen scheint.
Seeband wacht auch noch nach 1945 über das gesunde deutsche Erbgut. Besonders über das seiner Familie. Als seine verbrecherische Vergangenheit aufzufliegen droht, muss der Herr Professor in die Bundesrepublik fliehen. Kurt und Ellie folgen ihm wenig später.
An der Düsseldorfer Kunstakademie ereilt Kurt dank eines Joseph Beuys nachempfundenen Filz-und-Fett-Professors (Oliver Masucci) die Erleuchtung: Sein Malerpinsel dringt unbewusst zur Wahrheit über Seeband vor. Künstler sollen Priester, Revolutionäre, Befreier sein, hat sein Düsseldorfer Professor gesagt. Kurt findet noch eine weitere Berufung: die des Anklägers.
Womöglich ist „Werk ohne Autor“ das richtige Drama für die Oscars
Die interessante Figur hier ist nicht der zur Passivität verdammte Maler Kurt, sondern der „Herrenmensch“ Seeband. Sebastian Koch (schon dabei in „Das Leben der Anderen“) lässt Kultiviertheit und Brutalität gefährlich verschmelzen. Die Verachtung seines Schwiegersohns spielt er mit stiller Brutalität.
Der Regisseur scheint selbst ergriffen von seinem Film. Ironiefreies Pathos durchzieht die drei Kinostunden, angereichert mit vielsagendem Blätterrauschen. Noch dazu delektiert sich der Regisseur an nackten Frauenkörpern, wie man es in Zeiten von „#MeToo“ nicht mehr erwartet hätte. Immerhin: Die Spannung hält über die gesamten drei Stunden.
Womöglich ist dies trotzdem genau das richtige Drama für den Oscar: In Hollywood geht es ja nicht darum, den besten Film vorzulegen – sondern denjenigen, für den die Oscar-Academy am empfänglichsten ist. Und bei deren Mitgliedern steht das Thema deutscher Totalitarismus, egal ob in NS- oder in DDR-Kulissen, hoch im Kurs.
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Von Stefan Stosch / RND