Warum sollen wir richtig schreiben?

Ist es nicht egal, wie wir schreiben, solange wir einander verstehen? Kathrin Kunkel-Razum, Leiterin der Duden-Redaktion, ist anderer Meinung.

Ist es nicht egal, wie wir schreiben, solange wir einander verstehen? Kathrin Kunkel-Razum, Leiterin der Duden-Redaktion, ist anderer Meinung.

Berlin. Früher zählte gute Rechtschreibung noch etwas. Sie war Ausdruck von Bildung und Wissen, sie war quasi die Visitenkarte des gebildeten Bürgers. Aber auch in Handwerksbetrieben, bei Fabrikarbeitern und anderen nicht akademischen Berufen war es nicht egal, ob man richtig oder falsch schrieb.

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Heute hingegen fragt man sich bei der Lektüre von Texten oft, ob es mittlerweile vollkommen gleichgültig ist, ob jemand die deutsche Rechtschreibung beherrscht. Manchmal gehen Sie abends in ein Restaurant und denken sich, hoffentlich kochen die hier nicht so, wie sie schreiben. Die Form sagt immer auch viel über den Inhalt aus.

Natürlich ist es nicht immer einfach, gut und regelkonform Texte zu verfassen: In den vergangenen Monaten bin ich oft gefragt worden, ob ich eigentlich immer alles richtig schreiben würde beziehungsweise ob ich auch mal nachschlagen müsse. Meine Antwort hat wohl viele Journalistinnen und Journalisten verblüfft: Nein, ohne Nachschlagen würde ich nicht alles richtig schreiben.

200 Menschen schreiben freiwillig ein Diktat

Besonders deutlich wurde mir das wieder auf der letzten Frankfurter Buchmesse, als die Polytechnische Gesellschaft dort einen öffentlichen Diktatwettbewerb veranstaltet hat. Und weil das Gastland der Buchmesse Frankreich war, fanden sich in dem Diktat viele sogenannte Gallizismen, also Wörter, die aus dem Französischen stammen. Meine Französischkenntnisse sind begrenzt, und so hätte ich nicht alles richtig geschrieben.

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Normalerweise werde ich auch nicht mehr Diktaten ausgesetzt, aber in meiner Arbeit als Leiterin der Dudenredaktion gilt es jeden Tag, möglichst fehlerfrei an Wörterbüchern zu arbeiten und zu korrespondieren, und mindestens jeden dritten Tag, knifflige Rechtschreibprobleme zu lösen. Dann heißt es nachschlagen, Parallelfälle heranziehen, sich mit Kolleginnen und Kollegen zu beraten.

Wer aber setzt sich nun freiwillig an einem Sonnabendmittag auf der Buchmesse hin und schreibt ein Diktat? Es waren 200 Menschen, Besucher der Buchmesse, die der Einladung der Polytechnischen Gesellschaft gefolgt waren und sich dieser Herausforderung gestellt haben. Und – das hat mich besonders beeindruckt – mindestens noch einmal 200 standen als Publikum drum herum und waren während des Diktierens so still, dass man eine Stecknadel hätte zu Boden fallen hören können.

Ehrgeiz als Motivation

Umso lauter waren bei der Auflösung der Jubel oder das Entsetzen, je nachdem, ob man falsch oder richtig lag mit seiner eigenen Schreibentscheidung. Können denn Diktate wirklich ein Mittel sein, um gegen den immer wieder konstatierten und beklagten Verfall der Rechtschreibleistungen vorzugehen?

Ja und nein, finde ich. Bei den Diktatwettbewerben der Polytechnischen Gesellschaft (Frankfurt schreibt, Hessen schreibt, Die Wirtschaft schreibt, Die Buchmesse schreibt) macht es den Teilnehmerinnen und Teilnehmern Spaß, sich dem Wettkampf auszusetzen. Viele von ihnen kommen sogar zu den Trainingssonnabenden, die im Vorfeld angeboten werden. Es geht also um Ehrgeiz, Wettkampf und gute Ergebnisse. Und genau das könnte doch ein Weg sein, das Thema Rechtschreibung wieder mehr in den Fokus der gesellschaftlichen Wahrnehmung zu rücken.

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Ein gelungenes Beispiel dafür, wie das Engagement vieler zu einer Neubewertung von Kompetenzen und ihrer besseren Aneignung führen kann, sind für mich all die Aktivitäten rund um das Vorlesen, einschließlich des Vorlesewettbewerbs. Hiervon können wir uns hinsichtlich des Schreibens einiges abschauen.

Richtiges Schreiben ist eine lebenslange Anstrengung

Nicht geeignet sind für mich Diktate, wenn sie in puren Drill ausarten – damit wird sicher nichts gewonnen. Aber: Richtiges Schreiben ist eine lebenslange Anstrengung, und es erfordert ganz sicher viel Übung – ein Aspekt, der wohl in den vergangenen Jahren bei all den Dingen, die Schule heute leisten soll, dort zu kurz gekommen ist.

Aber: Ist denn nicht vielleicht doch egal, wie wir schreiben, solange wir einander verstehen? Ganz und gar nicht. Rechtschreib- und Zeichensetzungsregeln und ihre Einhaltung sind ein gesamtgesellschaftlicher Konsens, auf dem ein Großteil unserer schriftlichen Verständigung fußt.

Deshalb sind zum Beispiel die Anforderungen an Bewerberinnen und Bewerber für den Polizeidienst auch im Fach Deutsch hoch: Ein Polizeibericht muss nicht nur inhaltlich, sondern auch orthografisch korrekt erstellt werden. Deshalb ärgert es viele Menschen, wenn sie Zeitungen, Bücher, Briefe, Broschüren, Webseiten und Geschäftskorrespondenz mit vielen Fehlern lesen müssen. Und es stiehlt ihnen Zeit, weil ihre Wahrnehmung durch die Fehler gestört wird.

Man kann nur Regeln brechen, die man kennt

Aber wie verhält es sich mit den Konsequenzen der Digitalisierung? Auf der Webseite des Bayrischen Rundfunks meint der Journalist Christian Alt in einem Kommentar zu unserem Buch, der Duden habe die digitale Kommunikation nicht verstanden. Weil wir nicht sehen würden, dass es eben in den sozialen Netzwerken gerade darum ginge, nicht korrekt zu schreiben, sondern Regeln der mündlichen Kommunikation in die schriftliche zu übertragen, Nähe zu erzeugen und anderes.

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Das ist durchaus richtig, aber man kann nur die Regeln bewusst brechen, die man überhaupt kennt und beherrscht. Zum einen. Und zum anderen bleibt es natürlich jedem beziehungsweise jeder selbst überlassen, wie er privat schreibt, aber eben nicht, wie er oder sie es öffentlich tut.

Anstoß zu einer Debatte

Es ist das große Verdienst von Konrad Duden, den Grundstein für eine einheitliche Orthografie im deutschen Sprachraum gelegt zu haben, deren Einhaltung uns die Verständigung erleichtert und von Respekt dem Empfänger unserer Nachrichten gegenüber zeugt. Das spricht nicht gegen die kreative Weiterentwicklung von Normen – die sehen wir im Augenblick zum Beispiel bei der Einbeziehung von Emojis in geschriebene Texte oder bei der Entwicklung neuer Formen für das Gendern.

Momentan findet in Hannover die Didacta, die größte Bildungsmesse Europas, statt. Ich bin sicher, dass es auch weiterhin viele Diskussionen zum Thema richtiges Schreiben geben wird und diese sich nicht nur auf die in den vergangenen Monaten so stark kritisierte Methode “Schreiben durch Hören“ beschränken werden. Es ist zu hoffen, dass hier der Anstoß zu einer großen Auseinandersetzung gegeben werden kann, wie wichtig uns das richtige Schreiben ist.

Zur Person: Kathrin Kunkel-Razum ist Leiterin der Duden-Redaktion in Berlin. Gemeinsam mit Ulrike Holzwarth-Raether, Peter Gallmann und Burghart Klaußner hat sie vor Kurzem das Buch “Warum es nicht egal ist, wie wir schreiben“ (Duden. 64 Seiten, 8 Euro) veröffentlicht.

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Von Kathrin Kunkel-Razum

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