Kino-Kuckucksnest 2023

„Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war“ - Tragikomödie über ein Aufwachsen in der Psychiatrie

Das ganz normale Leben mit den „Irren“: Devid Striesow als Anstaltsleiter Meyerhoff und Laura Tonke als seine Ehefrau Iris in der Tragikomödie „Wann wird es endlich wieder so wie es nie war?“.

Das ganz normale Leben mit den „Irren“: Devid Striesow als Anstaltsleiter Meyerhoff und Laura Tonke als seine Ehefrau Iris in der Tragikomödie „Wann wird es endlich wieder so wie es nie war?“.

Was ist schon normal? Das kommt ganz auf die Perspektive an. Für Joachim Meyerhoff, genannt Josse, ist es zum Beispiel normal, wenn plötzlich ein schweigsamer Riese mit Glocken in der Hand vor ihm steht. Spitzname: Der Glöckner. Das passiert auf wundersame Weise besonders dann, wenn Josse gerade traurig ist. Und er ist ziemlich oft traurig, weil ihn seine beiden älteren Brüder so triezen.

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„Der Glöckner“ trabt mit Josse durch den Tag

Der Glöckner hebt Josse auf seine Schultern und trabt mit ihm stundenlang durch die Gegend. Spätestens wenn es dunkel wird, setzt er den Jungen wieder wohlbehalten und ganz vorsichtig vor Josses Wohnungstür ab, so als sei er für den Jungen der Heilige Christophorus persönlich.

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Andere Eltern würde bei diesen ungewöhnlichen Ausflügen vermutlich ein Herzkasper ereilen, Josses Vater nicht. Richard Meyerhoff (Devid Striesow) ist Direktor der Kinder- und Jugendpsychiatrie in Schleswig-Hesterberg. Er wohnt mit Ehefrau Iris (Laura Tonke) und den drei Söhnen mitten auf dem Anstaltsgelände.

Richard umgibt sich lieber mit „Irren“ als mit Ärzten

Die „Irren“ gehören sozusagen zur Familie. Bei seinen Geburtstagskaffeekränzchen umgibt sich Richard lieber mit ihnen als mit weniger geschätzten Kollegen. Die „Irren“ werden hier von Josse (beim allmählichen Heranwachsen nacheinander dargestellt von den drei Schauspielern Camille Loup Moitzen, Arsseni Bultmann, Merlin Rose) und den anderen auch so genannt. Und das hat gar nichts Abfälliges an sich.

Dennoch hält man zunächst den Atem an: In politisch überkorrekten Zeiten ist eine Tragikomödie wie „Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war“ beinahe schon ein Wagnis. Wie lässt sich psychische Krankheit darstellen, ohne die Gefühle von psychisch Kranken zu verletzen?

Grundlage sind die Memoiren eines Schauspielers

Zuerst einmal gründet „Wann wird es endlich wieder so ...“ auf einem gesicherten Fundament: Die Verfilmung orientiert sich an den Erinnerungen des Schauspielers Joachim Meyerhoff, der erst auf der Bühne des Wiener Burgtheaters und dann in Buchform in seine Kindheit eintauchte – in beiden Fällen mit ausgesprochenem Publikumserfolg.

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Regisseurin und Drehbuchautorin Sonja Heiss („Hotel Very Welcome“, „Hedi Schneider steckt fest“) hat die Nebenrollen mit Menschen mit Behinderung besetzt. „Wir haben viel von dem angenommen, was die Darsteller mitgebracht haben. Ich musste ihnen Raum geben, ihnen nicht von vornherein fertige Texte, Figuren überstülpen, die gar nicht zu ihnen passen. Ich musste ihnen vielmehr den Rahmen geben, aus sich selbst heraus zu spielen“, so Heiss. Tatsächlich hat man in keinem Moment das Gefühl, dass hier jemand aufgrund seines irgendwie Andersseins vorgeführt oder gar verlacht wird.

Der Film erinnert an „Einer flog übers Kuckucksnest“

Zumindest was die Besetzung betrifft, erinnert dieser Film an einen Kinoklassiker: „Einer flog über das Kuckucksnest“ (1975) mit Jack Nicholson als renitentem Psychiatrieinsassen entstand sogar in einer echten psychiatrischen Klinik in Salem im US-Bundesstaat Oregon. Deren Leiter sah die Dreharbeiten als eine Art Therapie für die Patienten. Und er verfolgte noch einen weiteren Plan: er wollte mit dem später mit den wichtigsten Oscars ausgezeichneten Werk eine Debatte über die miserablen Zustände hinter Anstaltsmauern anzetteln.

Im Zentrum bei Regisseurin Heiss steht Josse und dessen Blick auf den anfangs bewunderten Vater, einen seinen Patienten jederzeit zugewandter Experte. Doch Richards Privatleben bekommt immer mehr Risse. Da ist seine Unfähigkeit, eigene Unzulänglichkeiten zu akzeptieren, und da sind seine dauernden Seitensprünge, die Josses Mutter tief verletzen.

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Es geht auch um die Entzauberung der Vaterfigur

„Wann wird es endlich wieder so …“ ist ebenso eine Emanzipationsgeschichte. Der Film erzählt von der Entzauberung Richards, ohne ihn deswegen zu verdammen.

Ach ja, um Teenagerliebe geht es selbstverständlich auch: Josse verknallt sich bald schon in die suizidgefährdete Marlene (Pola Geiger), die eine Zeit lang auf dem Anstaltsgelände wohnt. Tragödien sind in diesem Film gewissermaßen programmiert.

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Jedes Unglück wird mit gleichem Ernst wahrgenommen, egal ob eine Amsel, ein Hund oder auch ein Mensch stirbt. Die Traurigkeit hat ihren Platz in diesem vom Grundton komischen Film. Vor allem aber hilft er, den Wahnsinn als etwas ganz Normales zu begreifen – und vielleicht sogar, Berührungsängste abzubauen.

Ein Ministerpräsident landet im Matsch

Wehe dem, der sich mit den Psychiatriebewohnern nur aus PR-Gründen ausstaffieren will: Der für einen schnellen Fototermin herbeigeeilte schleswig-holsteinische Ministerpräsident (Axel Milberg in einer Gastrolle) landet ruckzuck mit dem Gesicht im norddeutschen Matsch. An der Kaffeetafel mit Josses erweiterter Familie nimmt er dann selbstverständlich nicht mehr Platz.

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„Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war“, Regie: Sonja Heiss, mit Devid Striesow, Laura Tonke, Camille Loup Moitzen, Arsseni Bultmann, Merlin Rose, 116 Minuten, FSK 12

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