Gelungene Zumutung: Ulrich Seidls umstrittener Film „Sparta“
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Rattenfänger in Rumänien: Ewald (Georg Friedrich) schafft für die Jungen aus dem Dorf einen Spielplatz, der für sie zum Zufluchtsort wird.
© Quelle: -/Neue Visionen Filmverleih/dpa
Anfang September preschte der „Spiegel“ mit Vorwürfen und anonymen Aussagen gegen den österreichischen Filmemacher Ulrich Seidl vor – mit dem Erfolg, dass dessen Film „Sparta“ beim Festival Toronto wieder ausgeladen wurde und das Filmfest Hamburg den Douglas-Sirk-Preis für Seidl aussetzte. Es ging weniger um den Film, den die „Spiegel“-Journalisten gar nicht gesehen hatten, sondern um die Dreharbeiten in Rumänien. Gemunkelt wurde von problematischen Szenen mit Kindern am Set, mangelnden Informationen der Eltern über das Thema Pädophilie, Ausbeutung von Armut und Nichtwissen.
Ulrich Seidl wehrt sich gegen die Vorwürfe. Es handele sich um „unzutreffende Darstellungen, Gerüchte oder aus dem Kontext gerissene Vorkommnisse“ und ein daraus montiertes „Zerrbild“. Seinen Worten zufolge wurden die jugendlichen Darsteller permanent pädagogisch betreut, die Eltern wussten über den Inhalt des Films Bescheid. Später bestätigten Recherchen des österreichischen Magazins „Profil“ beides.
Jetzt endlich lässt sich auch der Film bewerten: Mit „Sparta“, dem zweiten Teil seines filmischen Diptychons über zwei Brüder und ihre schmerzhafte Selbstfindung, liefert der wegen seiner eigenwilligen Arbeitsmethoden mit Laiendarstellern umstrittene Regisseur ein einfühlsames und doch schwer verdauliches Werk. Im Zentrum steht Ewald (Georg Friedrich in überzeugender Gebrochenheit), der Bruder des abgehalfterten Schlagersängers Ritchie aus dem Bruderfilm „Rimini“. Der in Rumänien arbeitende Ingenieur verlässt seine auf Heirat dringende Partnerin, mit deren kleinen Brüdern er gern rauft. Bald muss er sich einer verdrängten Wahrheit stellen: seiner pädophilen Neigung.
Das Verbotene spielt sich im Kopf des Betrachters ab
In der tristen Provinz zieht Ewald wie der Rattenfänger von Hameln los und rekrutiert Dorfjungen, um ihnen in einer umgebauten und bald zur Festung „Sparta“ ausgebauten Schule Judo beizubringen oder sie als römische Krieger herummarschieren zu lassen. Ein Refugium scheinbarer Unbeschwertheit, weit weg von strengen Eltern und einem prügelnden Vater, der seine Söhne zwingt, ihr Kaninchen zu schlachten. Sie sollen lernen, „böse und brutal“ zu sein.
Ewald lebt seine Gefühle nicht aus. Er fotografiert die pubertierenden Jungs mit nacktem Oberkörper und projiziert die Aufnahmen abends an die Wand. Grenzwertig ist eine Szene, in der er nackt und mit schlaffem Penis unter der Dusche steht und die Kinder fröhlich in Unterhosen herumhüpfen.
Das Verbotene spielt sich im Kopf des Betrachters ab, so wie das Begehren im Kopf Ewalds. Fast hat man Mitleid mit ihm, wenn er tieftraurig auf einer Kinderschaukel sitzt. Er ist ein in sich Gefangener, herausgeschleudert aus dem Kokon der Lebenslüge.
Seidl konfrontiert uns mit menschlichen Unwägbarkeiten und wagt bewusst eine Gratwanderung, die Unbehagen hinterlässt. Eine Zumutung und Herausforderung. Es lohnt sich, sie anzunehmen.
„Sparta“, Regie: Ulrich Seidl, mit Georg Friedrich, 99 Minuten, FSK 16