Schauspieler Merab Ninidze: „Ein Held zu sein, bedeutet Schmerz“
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Wanderer zwischen Ost und West: Merab Ninidze als sowjetischer Geheimdienst-Oberst Oleg Penkowski in „Der Spion“.
© Quelle: Liam Daniel&Telepool
Das Filmdrama „Der Spion“, das seit dem 1. Juli läuft, ist mit seinen historischen Kulissen wie gemacht für die große Leinwand: Anfang der Sechzigerjahre schlittert die Welt während der Kuba-Krise an den Rand eines Atomkrieges. Um diesen zu verhindern, füttert der sowjetische Geheimdienstler Oleg Penkowski (gespielt von Merab Ninidze) den britischen und amerikanischen Nachrichtendienst mit essenziellen Informationen zur Schlagkraft sowjetischer Nuklearwaffen auf Kuba. Um die extrem wertvolle Quelle zu schützen, beschließen MI6 und CIA, ihr einen unverdächtigen Kontaktmann zur Seite zu stellen: Greville Wynne (Benedict Cumberbatch) ist als harmloser britischer Geschäftsmann der Spionage unverdächtig. Erstaunlicherweise freundet sich der Brite mit dem Russen an.
Herr Ninidze, nachdem Sie den wertvollsten Spion gespielt haben, den der Westen im Kalten Krieg jemals hatte: Was denken Sie, welche Motivation treibt Spione generell an?
Es gibt kaum eine Tätigkeit, die der menschlichen Ambivalenz zwischen gut und böse so sehr entspricht. Für die einen ist ein Spion ein Held, für die anderen ist er der größte Verräter aller Zeiten. Diese Herausforderung anzunehmen, ist für manche Menschen ein großer Stimulus. Denn zum Held wird man ja nur, wenn man etwas Außergewöhnliches leistet. Bei einem Spion ist das die Angst vor Entdeckung, die er aushalten muss. Genauso wie den Horror, sich allein gegen die ganze Gesellschaft zu stellen. Dabei immer wissend, dass ein sehr hoher Preis zu bezahlen sein könnte – bis hin zum eigenen Leben. Ein Held zu sein, bedeutet Schmerz.
Ein Held zu sein, bedeutet Schmerz.
Merab Ninidze
Gilt das auch für Oleg Penkowski? Ein Mensch, der ein Held sein will und dafür bereit ist, sich einer großen Gefahr auszusetzen?
Ich denke schon. Es gibt eine einzige filmische Aufnahme von ihm. Die ist auf Youtube zu sehen. Sie zeigt, wie er sich während des Prozesses nach seiner Enttarnung an das Gericht wendet. Er wirkt sehr unpersönlich und förmlich, gleichzeitig eisern und militant. Obwohl er in einer sehr schwachen Position ist, versucht er, ehrenhaft aufzutreten. Diese Haltung hat mich sehr beeindruckt. Und das ist auch das an ihm, was ich in meiner Weise versucht habe, für die Rolle zu übernehmen.
Das heißt, er war vor allem von Narzissmus angetrieben?
Zumindest spielte seine Selbstbezogenheit eine große Rolle, was auch an seiner Biografie liegt. Denn er hatte sich im Zweiten Weltkrieg als großer Kriegsheld bewährt, dem sehr viel Glanz und Gloria zuteilgeworden war. Nach dem gewonnenen Krieg dachten viele Menschen in der Sowjetunion, dass nun alles besser werden würde. Ich weiß das von meinem Großvater. Der Gedanke war, dass sich all die Opfer, die gebracht worden waren, und all das vergossene Blut auszahlen würden. Doch dem war nicht so, besonders für Penkowski. Denn er wurde auf einen Bürojob beim Militärgeheimdienst GRU abgeschoben und seine Heldentaten waren plötzlich vergessen. Da regte sich bei ihm der Wunsch, wieder relevant zu sein. Außerdem hat ihm der Gedanke gut gefallen, nach der erfolgreichen Agententätigkeit in den Westen überzulaufen. Das betrachtete er als seine Abrechnung mit dem sowjetischen Regime. Er sagte sich selbst: „Ich mache das so, dass ich hier nie vergessen werde.“
Dieser egomanische Antrieb kommt im Film kaum zum Ausdruck. An einem Punkt sagen Sie als Penkowski: „Ich bin schlauer als alle anderen“, aber viel mehr Ego bekommt man von ihm eigentlich nicht mit. Vielmehr steht sein Idealismus im Mittelpunkt, einen Atomkrieg vermeiden zu wollen.
Dieser Idealismus gehörte ja auch zu ihm. Es mag sein, dass das im Drehbuch etwas überhöht ist. Er war eine gespaltene Persönlichkeit. Es gab nicht diese eine Motivation. Es ist komplexer. Aber wenn er im Film sagt: „Chruschtschow (Sowjetischer Staatsführer 1958 – 1964, Anm. d. Red.) bereitet mir Sorgen. Er ist impulsiv und chaotisch. Ein Mann wie er sollte nicht auf den Atomknopf drücken können“, dann war das sicher auch einer seiner Beweggründe.
Wie ist dieser Idealismus aus Ihrer Sicht zu bewerten? Einerseits ist es ohne Zweifel ehrenhaft, der Menschheit aufopferungsvoll etwas Gutes tun zu wollen. Aber ist es berechtigt, das Wohlergehen von Leuten zu gefährden, die nicht einmal wissen, dass sie in Gefahr sind? Also zum Beispiel die Familie oder andere Leute, mit denen man in Kontakt kommt, wenn man Verrat begeht.
Ich glaube, wer so weit geht, für den wird die Familie unwichtig, oder sie war es vielleicht vorher schon. Penkowski stand seiner Familie nicht sehr nah. Wie Zeitzeugen in Dokumentarfilmen erzählen, versteckte er Geld vor seiner Frau, er war sehr schweigsam und strahlte überhaupt keine Wärme gegenüber seinen Angehörigen aus. Kurz vor seiner Enttarnung hat er sich offensichtlich auch zu einem Eigenbrötler entwickelt und war für seine Mitmenschen nur noch schwer einzuordnen. Man muss dazu sagen, dass er im Krieg zwei Kopfschüsse abbekommen hatte. Wohl aus diesem Grund geriet er ab und zu aus dem Gleichgewicht, was sich etwa durch Ausbrüche von Größenwahn äußerte.
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Im Film stellen sie ihn ganz anders dar – als in sich ruhender Mensch und liebender Familienvater, der am Schluss sagt, dass er in den Verhören seine Taten gestanden hat, um seine Familie zu retten.
Das ist richtig. Denn „Der Spion“ ist kein dokumentarisches Biopic über Penkowski, das den Anspruch hat, den historischen Fakten möglichst genau gerecht zu werden. Der Film versucht vielmehr, die Freundschaft zu beleuchten, die zwischen Penkowski und Greville Wynne entstanden war. Und zwar in einer Art und Weise, die den Zuschauer berührt. Letztendlich geht es ja auch um Unterhaltung. Und Tom O’Connor ist ein großartiger Drehbuchautor, der weiß, dass Figuren nicht überfrachtet werden dürfen, damit die Zuschauer nicht gedanklich aussteigen.
Eine gute Zeit zwischen Ost und West hat es nie gegeben.
Merab Ninidze
Der von Ihnen gespielte Penkowski sagt im Film: „Es ist keine gute Zeit für Ost und West“. Wie beurteilen Sie die Relevanz des Films für die derzeitige Situation zwischen Ost und West?
Eine gute Zeit zwischen Ost und West hat es nie gegeben. Vielleicht war das Verhältnis mal ein bisschen besser als im Augenblick, aber gut war es nie. Ehrlich gesagt verstehe ich nicht, warum es diese Spannungen gibt. Bestehen sie tatsächlich nur wegen des Ölpreises oder wegen der Börse? Das wäre blödsinnig, aber anders kann man es sich fast gar nicht erklären. Denn es gibt ja „den Osten“ und „den Westen“ gar nicht mehr. Wenn sie heute in Moskau sind, dann mögen die Menschen vielleicht ein bisschen anders als in Berlin sein – wie überall auf der Welt. Aber das ist nicht mehr der Osten von einst. Das Leben für die Menschen dort ist vielmehr eins zu eins zum Leben im Westen. Das ist inzwischen eine Welt.
Sie als Wanderer zwischen Ost und West können das ja gut beurteilen. Sie sind Georgier, sie haben noch in der Sowjetunion gearbeitet und seither in Russland, Österreich, Deutschland und den USA. Wenn jemand beide Welten kennt, dann Sie. Was waren aus Ihrer Sicht die Unterschiede zwischen dem sozialistischen Osten und dem Westen?
Ich habe als junger Mensch meiner Regierung und den Politikern oft zugehört, was die zu sagen gehabt haben. Ich habe das nie geglaubt, so wie andere auch nicht. Aber wir haben nie widersprochen, sondern es geduldet, dass dem Volk und der Gesellschaft Befehle erteilt wurden. Im Westen funktioniert das anders. Es werden zwar keine Befehle in dieser Form gegeben, aber auch das westliche System ist nicht frei. Vielmehr werden die Bürger darin einer strengen Struktur unterworfen, in der Geld das entscheidende Kriterium ist. Der Mensch hat nicht den Wert, der ihm in der Verfassung zugesprochen wird. Was da niedergeschrieben ist, entspricht nicht der gesellschaftlichen Realität. Diese Diskrepanz, die heute in Russland, Westeuropa und den USA besteht, lag in der Sowjetunion genauso vor.