Robert Redfords Leinwandabschied – „Ein Gauner und Gentleman“
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/53B7IY3SGKQRAJUOMSUFVIQQ2Y.jpg)
Jewel (Sissy Spacek) und Forrest Tucker (Robert Redford)
© Quelle: Foto: DCM
Hannover. Wenn Forrest Tucker eine Bank betritt, dann fragt er zuerst höflich nach dem Direktor, und der eilt gern herbei: Über einen so solide wirkenden Neukunden freut sich schließlich jedes Geldinstitut. Im feinen Anzug, mit getupfter Krawatte und brauner Aktentasche steht Tucker lächelnd da und erkundigt sich nach dem Befinden seines Gegenübers. Gar keine Frage, dieser in Würde gealterte Herr im Bankfoyer hat Stil und offensichtlich eine gute Erziehung.
Der Bankdirektor kann sich nicht an eine Pistole erinnern
Nur handelt es sich nicht um einen gewöhnlichen Kunden: Forrest Tucker bittet den Direktor sodann, die braune Aktentasche bis zum Rand mit Dollarscheinen zu füllen. So ausgesucht freundlich tut er dies, dass der Direktor sich hinterher bei der Befragung durch die Polizei nicht einmal genau erinnern kann, ob Tucker nun eine Pistole dabei hatte oder nicht.
Man kann verstehen, dass Robert Redford angekündigt hat, mit diesem entspannten Auftritt sein Leinwand-Leben zu beschließen. Es sei genug nach bald sechs Jahrzehnten als Schauspieler, hat er gesagt. Angefangen hatte er als Fernsehschauspieler in Serien wie „Maverick“ oder „Die Leute von der Shiloh Ranch“. Seinen ersten großen Kinoerfolg landete er 1967 in der Verfilmung der Theaterkomödie „Barfuß im Park“ an der Seite von Jane Fonda. Wenn überhaupt, hat Redford gesagt, dann würde er lieber noch mal hinter der Kamera stehen. Oscars für den besten Film und die beste Regie regnete es für ihn bereits 1981 bei seinem Debüt „Eine ganz normale Familie“.
Tucker verkörpert in seniorengerechter Form noch einmal vieles von dem, was Redfords Rollenprofil ausgemacht hat: Ein sympathischer Outlaw räubert sich lässig durch die Welt und folgt dabei seinen eigenen moralischen Maßstäben. Unverkennbar schwingen da Reminiszenzen an den Western „Butch Cassidy und Sundance Kid“ mit, in dem Redford und Paul Newman vor einem halben Jahrhundert ein romantisches Ganovenleben führten.
In Robert Redfords Gesicht ist noch immer der Jungencharme zu finden
Newman ist seit knapp zehn Jahren tot, sein Kumpel aus den großen Tagen Hollywoods ist noch in prächtiger Verfassung. In Redfords von tiefen Furchen durchzogenem Gesicht ist immer noch der Jungencharme zu entdecken, der ihn unwiderstehlich für Frauen und Männer macht.
Regisseur David Lowery (“A Ghost Story“) ist klug genug, Tucker keine lästige Romanze anzudichten - auch wenn Jewel (Sissy Spacek) genau im richtigen Moment bei Tuckers beinahe schon missglückten Flucht mit ihrem kaputten Truck am Highway steht und ihm so ungeahnt zur rettenden Tarnung verhilft. Lediglich eine zärtliche Nähe entwickelt sich zwischen den beiden. Einmal küsst Trucker Jewel zum Abschied an der Haustür. Er nimmt dafür den Hut ab, so wie sich das gehört.
Manches weise Wort über das Altwerden tauschen die beiden aus. Sie reden über Dinge, die man noch erledigen muss und solche, die im Rückblick gar nicht so entscheidend waren. Und was Tucker da über sein angebliches Bankräuberleben erzählt, nimmt Jewel ihm sowieso nicht ab. Der Clou ist, dass Tucker gar nicht anders kann, als sein Räuberleben fortzusetzen. Die Beute braucht er nicht, nur den Kick. Im obersten Schrankfach bei ihm zu Hause stapeln sich die Dollarbündel. Trotzdem zieht Tucker immer wieder mit seiner braunen Aktentasche los. Es gehe ihm bei seinem räuberischen Job nicht um seinen Lebensunterhalt, sondern um das Gefühl zu leben, sagt er.
Ein alter Mann, der es liebt, Banken auszurauben
Niemand versteht das besser als der Polizist John Hurt (Casey Affleck), der Tucker bald auf den Fersen ist und ihn und dessen Helfer Teddy (Danny Glover) und Waller (Tom Waits) „Over-the-Hill-Gang“ tauft. Das ließe sich wohl am besten übersetzen mit einer Bande, die das Beste schon hinter sich hat.
Seiner Frau beschreibt Hurt den Gesuchten so: „Er ist ein alter Mann, der einmal jung war, und der es liebt, Banken auszurauben.“ Hurt seinerseits liebt es, dem Bankräuber nachzuspüren. Wie sagt doch Hurts kluge Tochter: „Wenn du ihn kriegen würdest, könntest Du ihn nicht mehr jagen.“ Respekt für den jeweils anderen verbindet Jäger und Gejagten. Mehr als einmal begegnen sie sich zufällig.
Große Actionszenen sollte hier niemand erwarten. Die Autoverfolgungsjagden haben vor allem den Zweck, Dollarnoten durch die Luft wirbeln zu lassen. Eine feine Nostalgie durchzieht den Film, auch das passt zu einem Abschied.
Der echte Forrest Tucker wurde immer wieder eingefangen
Forrest Tucker hat es wirklich gegeben. Berühmt war er als Ausbrecher-König. Nach eigener Rechnung ist er 18 Mal erfolgreich aus einem Gefängnis ausgebrochen und zwölf Mal weniger erfolgreich. Allerdings wurde er auch jedes Mal wieder eingefangen. 2004 starb er hinter Gittern.
Aber dieser Bezug zur Wirklichkeit ist gar nicht wichtig. Wichtig ist, was Hurt auf den Bildern einer Überwachungskamera entdeckt: Wenn Tucker eine Bank überfällt, dann lächelt er. Sollte Redford die Schauspielerei immer noch genauso lieben wie Tucker seine Banküberfälle, könnte es gut sein, dass wir sein Jungenlächeln irgendwann doch wieder auf der Leinwand entdecken.
Von Stefan Stosch