Neues Album von Bruce Springsteen: Im Haus der tausend Gitarren

Neues Album: Bruce Springsteen rockt immer weiter.

Neues Album: Bruce Springsteen rockt immer weiter.

Kurz nachdem Bruce Springsteen sein erstes Album „Greetings from Asbury Park“ veröffentlicht hatte, erhielt Clive Davis, der Chef seiner Plattenfirma Columbia Records, einen Anruf: „Wenn er nicht aufpasst, dann wird er die komplette englische Sprache aufbrauchen“, sagte der Anrufer. Es war Bob Dylan.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Damals ärgerten Springsteen Vergleiche mit der Sixties-Ikone – obwohl sie nahelagen, textete er doch ähnlich wortreich und wild.

Für sein 20. Album „Letter to You“, das am heutigen Freitag erscheint, hat er nun drei bislang unveröffentlichte Songs aufgenommen, die er mit Anfang 20 schrieb. „Janey Needs a Shooter“, „If I Was the Priest“ und vor allem „Song for Orphans“ klingen, als hätte ihm Dylan die Lieder ins Ohr geflüstert.

Die Überwindung von Ängsten und Zweifeln

In den Stücken geht um einen jungen Menschen, der versucht, seine Ängste und Zweifel zu überwinden, um dessen Sehnsucht nach etwas, an das man glauben kann, und um die Schwierigkeiten, den eigenen Träumen zu folgen und nicht den Erwartungen anderer. Typisch Springsteen. Doch spielt da wirklich die E Street Band? Oder ist es The Band, die seinerzeit Dylan begleitete und dessen Sound prägte?

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Die Titel sind „wunderbar dylanesque“ geraten, findet Spring­steen selbst. „Heute kann ich diese Verbindung genießen“, sagt er in einem Interview, das er europäischen Journalisten per Videoschalte gibt. Man sieht ihn in seinem Studio auf seiner Pferdefarm vor dem Computer sitzen, dort, wo „Letter to You“ im vergangenen Jahr an fünf Novembertagen entstand; live eingespielt, ohne nachträglich etwas hinzuzufügen. „Ein Song in drei Stunden“, staunte Gitarrist Steven van Zandt bei den Aufnahmen. „Wie bei den Beatles.“

Es ist Mittag in New Jersey. Helles, herbstliches Licht fällt durchs Studiofenster. Beim Antworten schließt Springsteen manchmal die Augen. Hinter ihm steht eine Reihe Gitarren. Nach seiner Autobiografie „Born to Run“ und seiner One-Man-Show „Spring­steen on Broadway“ blickt der 71-Jährige mit „Letter to You“ erneut auf sein Leben zurück. Thema diesmal: das Musikmachen selbst und seine Beziehung zur Band und zu seinen Fans. Ein Lied, singt er in „The­ Power of Pra­yer“ wenig überraschend, kann für ihn eine befreiende, heilende Wirkung haben – wie ein Gebet.

Springsteens epische Konzerte sind Twist-and-Shout-Ereignisse. Er kann ganze Stadien voller Menschen von den Stühlen reißen oder zu Tränen rühren. Er will einerseits, dass sich seine Fans verausgaben, sich locker machen und ihren Alltag ausblenden. Andererseits kostet er die teilweise weit länger als drei Stunden dauernden Auftritte selbst bis zur eigenen Erschöpfung aus. Als fühle er sich nur dort, auf der Bühne, lebendig.

Die Protagonisten von „Western Stars“, seinem vorherigen Album, hatte Springsteen ins Provinzkaff, auf den Parkplatz eines traurigen Motels oder in karge Landschaft platziert. Sie fühlten sich isoliert, einsam und vergessen, haderten mit sich und der Welt, sie sehnten sich nach einem Zuhause.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Der Protagonist von „Letter to You“ ist Springsteen selbst. Er hat dieses Zuhause, diesen Platz im Leben, gefunden – eine eigene Stimme und einen eigenen Sound sowieso. Ihm scheint es zu gelingen, seine Träume zu verwirklichen.

Meint Springsteen mit dem „kriminellen Clown“ Donald Trump?

„House of a Thousand Guitars“ ist ein Song über den Zufluchtsort, den er zusammen mit seinen Fans und seiner Band erschaffen hat, und über Werte. „Dieses Haus wurde auf den Prinzipien von Liebe, Freiheit und Brüderlichkeit errichtet – uralten Ideen, die bis heute das Fundament für ein gutes Leben und eine menschliche Gesellschaft bilden“, sagt er in einem Dokumentarfilm über die Entstehung des neuen Albums.

Das Lied, das kurioserweise von einem Klavier bestimmt wird und nicht von Gitarren, ist auch ein Tritt gegen den „kriminellen Clown“. „The criminal clown has stolen the throne, he ­steals what he can never own“, heißt es in Strophe zwei. Ist damit Donald Trump gemeint? Vermutlich.

Der Rockstar, der Barack Obama zum Abschied aus dem Weißen Haus ein Privatkonzert gab, ist selbst eine Art Präsident – der Präsident eines fairen, sensiblen Amerikas. In seinem E-Street-Haus gibt es kein Schwarz-Weiß-Denken, keine Ungleichheit und Spaltung, keine Hetze und Lüge. Immer wieder besingt er in seinen Liedern die Kluft zwischen dem amerikanischen Traum und der Realität.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

„Der Tod wird zu einem Teil deines Lebens, wenn du älter wirst“

Auf dem Albumcover steht Springsteen vor dem Dakota Building in New York. In dem Apartmenthaus lebte einst John Lennon. Davor wurde er erschossen. Gegenüber liegt der Central Park. Auf dem Foto schneit es. Es ist Winter. Wieder ist ein Jahr vorbei. Auf „Letter to You“ geht es auch um Vergänglichkeit.

„Der Tod wird zu einem Teil deines Lebens, wenn du älter wirst“, sagt Springsteen. Mit dem Song „Ghosts“ erinnert er an George Theiss, der 2018 im Alter von 68 Jahren an Lungenkrebs starb. Der Gitarrist und damalige Freund seiner Schwester hatte ihn zu den Castiles geholt. Es war Springsteens erste Band. Der 71-Jährige verweilte mehrere Tage am Bett des todkranken Theiss. Nun ist er das letzte noch lebende Castiles-Mitglied. Ein Gedanke, der ihn nicht losließ, der ihn schließlich dazu brachte, Songs darüber zu schreiben, wie es ist, in einer Band zu spielen.

Bei den Castiles, erzählt er, habe er gelernt, wie man eine Band führt, eine Show aufbaut und sich auf der Bühne bewegt. „Ich lernte, dass ich zwar eine Band haben möchte, aber nicht in einer Band sein will.“

Die E Street Band aktiviert er, wenn er sie braucht. Sie ist für den Born-to-Run-Mann Fluchtvehikel und Familie. Seine Frau Patti Scialfa hat er mithilfe der Band kennengelernt; sie war zunächst seine Backgroundsängerin. „Die E Street Band lässt mich groß träumen, denken und schreiben.“, sagt Springsteen.

Die Sänger Bruce Springsteen und Patti Scialfa in einer Szene der Dokumentation „Bruce Springsteen's Letter to You“. Diese begleitet den „Boss“ und die E Street Band bei den Aufnahmen für das jüngste Album „Letter To You“ im Studio.

Die Sänger Bruce Springsteen und Patti Scialfa in einer Szene der Dokumentation „Bruce Springsteen's Letter to You“. Diese begleitet den „Boss“ und die E Street Band bei den Aufnahmen für das jüngste Album „Letter To You“ im Studio.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Vor einigen Jahren schon starben seine E-Street-Freunde Clarence Clemons und Danny Federici. Durch den Tod wird ihm bewusst, „wie viel Glück man hat, hier zu sein“. Der Sinn des Lebens, so die Erkenntnis, ist das Leben selbst.

Wohin, fragt Springsteen, verschwinden wir, wenn wir sterben? Vielleicht besteigt man dann den „Burnin' Train“, den allerletzten Zug. Seine Gitarre glüht in C-Dur. ­C-Dur-Optimismus. Der typische ­E-Street-Sound. Springsteen von der Stange, werden ein paar Kritiker vielleicht urteilen. Fans dagegen werden die neuen Songs lieben, das Glockenspiel, das Melodramatische, das himmelwärts kletternde Klavier und das „Darkness on the Edge of Town“-Aroma.

Wie viele Alben, wie viele Tourneen wird es wohl noch geben? Fans des 79-jährigen Dylan beschäftigt diese Frage schon länger. Spring­steen-Fans stellen sie sich inzwischen auch. „Ich fühle mich vitaler als jemals zuvor in meinem Leben“, sagt er. „Die Band ist auf der Höhe ihrer Kunst.“

Bis heute habe er das tiefe Bedürfnis, eine Verbindung zu seinen Fans herzustellen, mit ihnen zu kommunizieren, erzählt er im Film. Warum? Den genauen Grund kenne er nicht. „Ich weiß nur: Da ist dieser Impuls in mir.“ Er braucht Bühne und Publikum wohl auch, um seine Songs wirklich zu vollenden.

Wahrscheinlich macht er weiter, bis es nicht mehr geht – wie Dylan. Dessen Anruf bei der gemeinsamen Plattenfirma habe er damals ziemlich ernst genommen, sagt Springsteen: „Bob war immer mein Mentor und der Bruder, den ich nie hatte.“

Mehr aus Kultur

 
 
 
 
 
Anzeige
Anzeige

Verwandte Themen

Letzte Meldungen

 
 
 
 
 
 
 
 
 

Spiele entdecken