Neues Album: Haben Die Ärzte den Punk verraten?
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Die Ärzte: Farin Urlaub (v.l.), Rodrigo Gonzalez und Bela B.
© Quelle: Jörg Steinmetz/Die Ärzte/dpa
Ich tippe mal, „Hell“ ist das Album, das sich Fans im nostalgiefähigen Alter von Die Ärzte erhoffen. Ein Statement für die Liebe und gegen den Hass. Sie zitieren sogar John Lennon, ganz ohne Ironie. Kurz gesagt: Mehr Sorgen, weniger Spaß.
Farin Urlaub: Mehr Sorgen, weniger Spaß? Das ist Ihr Empfinden? Die Reaktion von anderen Leuten war komplett anders. Es ist interessant, dass man sich immer selbst mitbringt. Man bringt sich mit und guckt dann: Was triggert mich? Was bestätigt mein Grundgefühl?
Apropos Lennon: Haben Sie Ende der vorerst letzten großen Ärzte-Tour 2013 eine Art Spätphase der Beatles durchlebt? Sie sollen nach dem abschließenden Konzert in Zürich wortlos auseinandergegangen sein.
Bela B: Aber am nächsten Tag hab' ich am Züricher Flughafen mit Farin noch einen Tee getrunken – und das nicht wortlos.
Farin Urlaub: Vereinfacht gesagt: Wir sind uns auf den Geist gegangen, und jeder von uns dachte, dass er jetzt gerade recht hat und die anderen beiden doof sind.
Bela B: Deine blonde Freundin mit dem Tamburin, die hat doch voll genervt.
Farin Urlaub: Yoko war gar nicht da. (Lachen) Dann hatten wir viel Abstand voneinander, und der war auch sehr nötig. Das hätte auch ewig so weitergehen können, wenn nicht Bela B, der junge Held in unserer Erzählung, resolut dagegen gewesen wäre. Er war da sehr hinterher, über die Probleme zu reden.
Bela B: Anderthalb Jahre nach dem letzten Kontakt – ausgenommen von gewissen Gag-SMS, die wir uns sowieso immer schreiben – habe ich gefragt, ob wir uns nicht mal zum Essen treffen wollen. Ohne den Hintergedanken an ein Comeback. Es müsste doch möglich sein, dass wir uns wenigstens einmal im Jahr treffen. Letztendlich habe ich die beiden überredet, mit mir zusammen „Schrei nach Liebe“ in Jamel zu spielen.
Beim „Jamel rockt den Förster“-Festival gegen Rechts, wo Sie 2016 mit Ihrem Gypsy-Projekt Danube’s Bank sowieso auftraten.
Bela B: Da gehört der Song ja auch hin.
Hat „Schrei nach Liebe“ Sie letztendlich wieder zusammengeführt?
Farin Urlaub: Das Lied ist größer geworden als wir selbst.
Bela B: Der Song hat uns nicht unbedingt zusammengebracht, sondern die Reaktion des Publikums in Jamel.
Farin Urlaub: Die haben sich jetzt nicht unbedingt geärgert.
Bela B: Man konnte nichts mehr hören. Die 1000 Leute haben so laut geschrien, das hatte Beatles-mäßige, Quatsch, Take-That-mäßige Ausmaße. Und sogar Nazis am Gartenzaun haben sich gefreut. Oder doch nicht?
Farin Urlaub, Sie sagten mal, „Schrei nach Liebe“ sei Ihr mit Abstand wichtigstes Lied. Gilt das noch?
Farin Urlaub: Na klar.
Bela B: Das müssen wir immer spielen. Es war das erste Lied, mit dem wir 1993 zurückkamen, als wir uns als Band manifestierten.
Farin Urlaub: Das und „Monster Party“. (Lachen)
Bela B, ein neuer Song, den Sie singen, heißt „Clown aus dem Hospiz“. Ist der Song ein Selbstporträt?
Bela B: In all meinen Texten steckt was von mir drin. Ist ja klar, ich bin ja kein Auftragstexter. In den Anfangszeiten der Ärzte habe ich viele Songs über Verlierer geschrieben, weil ich finde, es gehört dazu, dieses ...
Farin Urlaub: ... born to lose.
Bela B: Ja, das Scheitern. Ein Rockstar muss irgendwie gebrochen sein. Vorbild Johnny Thunders und solche Leute, ohne jetzt Heroin verherrlichen zu wollen. Ich behaupte einfach mal: Nur ein unglücklicher Künstler ist ein wirklich toller Künstler. Ich finde auch Komik ohne Tragik nicht vorstellbar.
Robin-Williams-mäßig?
Bela B: Fips Asmussen war der König des untragischen Humors. Deswegen habe ich auch keine Fips-Asmussen-Kassette zu Hause. Ja klar, Robin Williams ist ein ziemlich gutes Beispiel für einen traurigen Clown. Sein Gesicht auf einer hypothetischen „Clown-aus-dem-Hospiz“-Single, das würde passen.
„Wir haben uns das Ärzte-Konzept als 19-Jährige an einer Bushaltestelle ausgedacht“
Sie entwickelten schon früh eine Art Antihaltung zur Antihaltung Punk. Mit Ihrem Song „Bravopunks“ machten Sie sich über sich selbst lustig. Hadern Sie mit dem Vorwurf, mit zunehmendem Erfolg die Punkidee verraten zu haben?
Bela B: Farin und ich haben uns das Ärzte-Konzept als 19-Jährige an einer Bushaltestelle ausgedacht, während wir ewig auf den Nachtbus warteten. Wir waren einfach müde, irgendwelchen Regeln zu folgen und irgendwelchen Klischees, wir wollten kein Korsett – zumal Punkrock Anfang der Achtziger das Neue schon abgeworfen hatte.
Farin Urlaub: Da gab es diese Punkerpolizei. Ich stand mal in einem Punkrockkonzert und trug einen roten Wollpullover. Da guckte mich ein Mitpunk ganz entsetzt an und fragte: „Was trägst du denn da? Das sind doch Popperklamotten.“
Bela B: Mich sprach mal so ein Typ beim Social-Distortion-Konzert an. „Was machst du denn hier? Magst du Social Distortion?“ – „Nee, man hat mich dazu gezwungen, du Honk!“ – „Und Turbonegro, wie findest du die?“ – „Auch gut.“ – „Wieso spielst du dann bei den Ärzten?“ Wir hadern nicht mit solchen Vorwürfen, wir wehren uns dagegen. Wir fühlen uns noch immer als Teil dieser Punkidee, die irgendwann mal entstanden ist.
Farin Urlaub: Punk hat uns sozialisiert, zu dem gemacht, was wir später geworden sind. Ich bin jetzt 56, ich bin kein rebellischer Jugendlicher mehr. Aber Punkrock hat mich auf den musikalischen Weg gebracht, den ich bis heute beschreite. So gesehen schulden wir Punk etwas. Ich bin Punk dankbar, dass er mir diese Pocke (deutet auf Bela B, Anm. d. Red.) in mein Leben gespült hat. Wir haben uns nur durch Punk kennengelernt. Ein Freund und ich sind eine Stunde mit dem Moped zur Punkstunde in die von Frohnau nächstgelegene Diskothek – in Spandau – gefahren, nur um Punk zu hören und dazu rumzuspringen.
„Alu ist kein Punk, Alu macht krank, geisteskrank“
Mit „Morgens Pauken“ stellen Sie klar, was Punk auf keinen Fall ist: „Alu ist kein Punk, Alu macht krank, geisteskrank“. Eine kurze Anspielung auf die Proteste gegen die Corona-Regeln.
Farin Urlaub: Das Kleingedruckte.
Punk hat nichts mit Haarschnitt oder Haarfarbe zu tun. Punk bedeutet doch eigentlich: Man muss sich nicht an Regeln halten, man legt einfach los, um sein eigenes Ding zu machen.
Farin Urlaub: Genau. Du wartest nicht, du machst es einfach. Das ist genau das, warum ich mich mit der Sache immer noch verbunden fühle.
„Das letzte Lied des Sommers“ klingt wie ein „Westerland“-Remake, wie eine erwachsene Version davon.
Farin Urlaub: Das sind halt Surfakkorde. Surflieder folgen bestimmten Gesetzen. Wir haben uns im Studio vor der Aufnahme tatsächlich die Barracudas angehört: „His Last Summer“, „Summer Fun“ und noch ein drittes Lied. „Westerland“ war unser erstes Surflied, das ein Hit geworden ist. Es gab vorher schon eins: „Wegen dir“.
Bela B: Und „Sommer, Palmen, Sonnenschein“.
Farin Urlaub: Stimmt. In den Achtzigern habe ich viele Surflieder versucht zu schreiben.
Bela B: Als wir die Ärzte-Idee hatten, wollten wir offen sein, uns nicht verschließen. Wir haben auch viel Rockabilly und so ein Zeug gehört. Wir waren die einzige Punkband Berlins, die seltsamerweise bei den Teddyboys sehr beliebt war wegen Songs wie „Buddy Holly’s Brille“, „Erna P.“ und „Kopfhaut“. „Das letzte Lied des Sommers“ ist ein Song über einen Menschen, der im Stau steht, der raus will.
Farin Urlaub: Der sich wegträumt.
Bela B: Das ist die Maxime deines Lebens.
Farin Urlaub: Nicht da zu sein?
Bela B: Nee. Dafür zu sorgen, dass ein Großteil deines Lebens nicht so ist.
Farin Urlaub: Nicht im Stau stehen. Ja, das stimmt schon.
Heißen Die Ärzte darum Die Ärzte?
Selbstironie gehört zum Ärzte-Sound. „Drei Poperzen singen ihre Terzen“ heißt es in Ihrer 2019 erschienenen Single „Rückkehr“. Wird durch Humor Schreckliches weniger schrecklich?
Farin Urlaub: Stell dir vor, es gibt eine Medizin, die dein Leben rettet, die aber so bitter ist, dass du sie nicht runterkriegst. Was macht die Pharmaindustrie? Sie packt sie in ein ganz süßes Bonbon. Das ist der Humor. Es gibt Ärzte-Lieder, die sind einfach nur albern. Und es gibt Ärzte-Lieder, die sind lustig, du singst mit, und irgendwann wird dir klar, was du da gerade gesungen hast.
Bela B: Jetzt weiß ich auch, warum wir Die Ärzte heißen.
Farin Urlaub: Ich kann mich jetzt nicht allen Ernstes hinstellen und sagen, dass mein Leben so unerträglich bitter ist, dass ich es nur mit Witzen aushalte. Nee, echt nicht, sorry.
Das meine ich nicht. Den Ärzten gelingt es, eine gewisse Leichtigkeit zu erschaffen – im Gegensatz zum Beispiel zu den düsteren und introvertierten Radiohead, die das Sorgenvolle, Melancholische noch verstärken.
Farin Urlaub: Wir sind nun mal beide nicht so düster und introvertiert. Düster vielleicht noch so ein bisschen. Wie war das? „Licht am Ende des Sarges“ (Ärzte-Song, Anm. d,. Red.). Wir haben uns ja auch beim Pogen und Punken kennengelernt und nicht auf einer Beerdigung.
Bela B: Wir wollten immer eine Rockband sein, die relevante Texte schreibt. Der Humor entsteht durch die Brüche, die wir durch die Wortwahl, eine Formulierung oder einen Reim einbauen, um die Sache nicht zu schwer werden zu lassen. Deswegen habe ich den Begriff Fun-Punk immer abgelehnt. Fun-Punk war Musik für Punks, die Polonaise mögen statt Pogo. Das waren wir nicht. Wir rebellierten schon auf dem Sampler „Schäumende Stimmungshits“, auf dem unsere ersten Songs erschienen, gegen den Mist. Wir lieferten nur Songs ab, die nichts mit Alkohol zu tun hatten.
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Auf der Bühne: Bela B. (l) und Farin Urlaub von der Punkrock-Band Die Ärzte.
© Quelle: Kirsten Neumann/dpa
Sie singen „Wir lachten über jede Autorität, denn wir glaubten daran, dass das ewig weitergeht“. Fühlen Sie sich ausweglos erwachsen? Sind Die Ärzte Ihr Fluchtvehikel aus dem Käfig der Erwartungen, die auf Erwachsenen lasten?
Bela B: Ich bin wohl derjenige von uns, der am meisten unter Leute geht. Oft höre ich von Leuten, die das Gespräch suchen: „Die Ärzte fand ich früher ganz gut, jetzt bin ich aber zu alt dafür. Jetzt höre ich eher Radiohead oder so was.“ Das zeigt mir, wie unreif diese Leute sind. Du muss die Ärzte ja nicht mögen, aber sie als Kinderkram abzutun – Ich fühle mich nicht zu erwachsen für so einen Kinderkram. Ein reife Haltung ist, wirklich alles zuzulassen, auch das Kind, es nicht zu verbannen, weil es sich angeblich nicht gehört.
Mit mehreren neuen Liedern beziehen Sie Stellung gegen Rassismus und Fremdenhass, gegen Rechts.
Farin Urlaub: Das war keine bewusste Entscheidung. Das kam einfach raus. Es gab noch deutlich mehr Songs, als letztlich auf dem Album sind.
Bela B: Seit 1993, seit „Schrei nach Liebe“, ist uns klar, dass wir zu bestimmten Themen Stellung beziehen.
Farin Urlaub: Und das auch wollen.
Bela B: Aber nicht mit bitterer Miene und erhobenem Zeigefinger, der uns nach wie vor fernliegt, wenn nicht sogar zuwider ist.
Glauben Sie, dass man diese Protestsongs von Ihnen erwartet?
Farin Urlaub: Die Erwartungshaltung ist uns wirklich egal. Das ist vielleicht kaum zu glauben, aber wenn ich Songs schreibe, dann sind nur Bela und Rod mein Publikum. Den beiden geht es genauso, glaube ich.
Bela B: Ich bin mir sicher: Bei „Woodburger“ war Farin nur wichtig, wie wir beide auf den Refrain reagieren.
Farin Urlaub: So sieht’s aus.
In „Woodburger“ heißt es: „Ich habe einen Plan, doch der ist noch nicht ganz fertig, ich trete ein in die AfD, und dann werde ich schwul (...) Ich leg die hässlichen Leute über die Plenarsaalbrücke.“ Wie haben Sie denn reagiert?
Bela B: Mir liefen die Tränen. Nachdem ich ausgelacht habe, habe ich mich gefragt: Kann man das bringen? Doch schon zehn Sekunden später war mir klar: Das kann man nicht nur bringen, das muss man sogar. Das ist diese erwachsene Infantilität, wie sie nur von den Ärzten kommen kann. Wer würde sich das sonst trauen?
Spüren Sie so eine Art Narrenfreiheit?
Farin Urlaub: Die haben wir uns erarbeitet, denke ich mal. Früher gab es ja Indizierungen und Demonstrationen gegen uns. Ich glaube, dass uns „Schrei nach Liebe“ ein Siegel gegeben hat: Die Jungs stehen auf der richtigen Seite. Unsere Narrenfreiheit hat sich dadurch verbreitert. Aber es würde alles nicht funktionieren, wenn die Songs den Leuten nicht gefallen würden. Nicht allen natürlich. Ich hoffe, dass es Leute gibt, die das Album ganz schlimm finden. Ich bete dafür.