Neue Alben von Finneas, Revolverheld, Santana, den Beatles und den Rolling Stones

Er kann es auch im Alleingang: Finneas Baird O'Connell (hier mit Schwester Billie Eilish bei der Weltpremiere des James-Bond-Films „Keine Zeit zu sterben“ in der Royal Albert Hall in London) legt sein Solodebüt „Optimist“ vor.

Er kann es auch im Alleingang: Finneas Baird O'Connell (hier mit Schwester Billie Eilish bei der Weltpremiere des James-Bond-Films „Keine Zeit zu sterben“ in der Royal Albert Hall in London) legt sein Solodebüt „Optimist“ vor.

Wenn sich ein 72-jähriger Popsuperstar wie Queen-Schlagzeuger Roger Taylor mit der Endlichkeit beschäftigt, mag das angehen. Aber ein 24-Jähriger? Finneas ist der Bruder von Billie Eilish, er hat acht Grammys und hat sein Debüt „Optimist“ während der Arbeit an Schwester Billies zweitem Album aufgenommen. Und wer jetzt denkt, „Ego – muss ja“, der liegt falsch. Auch Finneas versteht sich auf bewegende, vornehmlich balladeske Popmusik, die sich mit den Schatten des Lebens beschäftigt. Aus denen schöpfen auch Badflower, aber die kalifornische Band um den charismatischen Sänger Josh Katz pflegt dabei Rock ’n’ Roll. Schön melodiös, freilich nur so lange, bis sie ihre Songs zerkrachen und zerschreien. Eintreten! Reinhören!

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Badflower rocken über gesellschaftliche Verwerfungen

Dass der Rock ’n’ Roll am Leben sei, konstatierte die vortreffliche italienische Band Maneskin bei ihren ESC-Gewinn in diesem Jahr. Dass er aber sogar noch richtig derb auskeilt, zeigen jetzt Badflower aus den USA auf „This Is How The World Ends“ mustergültig. Dabei geht das Album ganz leise los. Auf „Adolescent Love“ singt Josh Katz von Erinnerungen an die Zeit der ersten, unschuldigen Liebe und wie sie ihm von abgeklärten Erwachsenen kaputtgemacht wurde. Romantisch sei alles gewesen, die erwachsene Liebe danach aber nur noch gewalttätig. Eine süße Melodie, ein ernüchtertes Fazit.

Mit Melodien haben es Badflower überhaupt, sie sind in diesem Fach ähnlich gut zupass wie die Imagine Dragons. Anders als die Kollegen aus Vegas stellt das nach Nashville umgesiedelte L.-A.-Quartett aber keine pseudocoolen Soundmätzchen in den Vordergrund. Die Songs folgen auch keinem Strophe-Refrain-Muster, manche beginnen harmonisch und werden dann kurz vor der „Kuschelrock“-Grenze von den Instrumenten lärmig zerschlagen und von Katz zerschrien.

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Und anders als die Dragons sind Badflower allzeit dringlich, sie sind dran an den gesellschaftlichen Verwerfungen. Die Geschichten, die sie erzählen, handeln von Selbstsucht und Missbrauch, von Menschen, die zerbrechen („Fukboi“) und Menschen, die zerbrochen werden („Tethered“), von Oberflächlichkeit und Depression („Sasshole“) und von den sozialen Diskrepanzen – hier die zynischen, unglücklichen Privilegierten der Wohlstandsgesellschaften, die alles haben, dort die Verzweifelten, deren Überleben „auf Schlauchbooten in mörderischen Seen“ unsicher ist („My Funeral“). In „Machine Gun“ stellt Katz die Frage nach Gut und Böse in Konflikten („Was, wenn wir die Terroristen sind?“). Königssong all dieser zornigen Lieder ist „Everyone‘s an Asshole“, eine misanthropische Breitseite, auch gegen den Ex-Präsidenten Donald Trump, „der keinen Beweis vorzeigt und trotzdem einen Mob zum Aufstand überreden kann“. Große Scheibe. Und: Wetten, dass kein Song dieses Rock-‘n‘-Roll-Volltreffers im Radio zu hören sein wird? By the way – wann kommt endlich das Album von Maneskin?

Badflower – „This Is How The World Ends“ (Big Machine Records)

Lucinda Williams, Bob Dylan und der Blues der bösen Zeiten

„Wir leben in einer politischen World“, stellt Lucinda Williams fest – in einer Welt, in der die „Weisheit ins Gefängnis geworfen wurde“, „wo der Frieden nicht willkommen ist“ und „wo Courage ein alter Hut ist“. In „Political World“ ihrer Dylan-Hommage „Bob‘s Back Pages“, schaffen die nadelspitzen Gitarrenklänge von Stuart Mathis und Joshua Grange über achteinhalb Minuten eine nervöse Atmosphäre. Der Song ist nicht nur doppelt so lang, sondern wirkt auch ein Stück weit bedrohlicher als das Original von Dylans 89er-Album „Oh, Mercy!“ Es sind unheilvolle Zeiten, in denen der Teufel im Gewand eines „Man of Peace“ auftreten kann: „Er könnte ‚der Führer‘ sein oder der örtliche Priester“. „Everything Is Broken“ dann – die Gitarren twangen gefährlich, als wäre Henry Mancinis „Peter Gunn“ in den Song gefahren. Von zerbrochenem Geschirr ist es nicht weit zu gebrochenen Verträgen.

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Der Blues regiert hier von den ersten Takten von „It Takes a Lot to Laugh, It Takes a Train to Cry“. Und Williams Stimme singt so tief empfunden, als seien Bob Dylans Lieder aus ihrer eigenen Feder. Von „Highway 61 Revisited“ (1965) bis „Time out of Mind“ (1997) reichen ihre Quellen. Wie jüngst ihre Kollegin, Pretenders-Frontfrau Chrissie Hynde, auf deren Dylan-Album „Standing in The Doorway“ ist die 68-Jährige dabei nicht an Songberühmtheiten wie „Forever Young“ oder „Blowin‘ in The Wind“ interessiert. Der Hit ihrer Auswahl ist wohl „Make You Feel My Love“, ein Lovesong, den schon Billy Joel, Adele und Garth Brooks, ja sogar Helene Fischer aufgenommen haben. „Ich gehe bis zum Ende der Welt für dich“, singt Williams. Ein Glück hast du, Bob Dylan!

Lucinda Williams – „Bob‘s Back Pages: A Night of Bob Dylan Songs“ (Highway 20 Records)

Santana ist wieder auf der Pop-Road unterwegs

Dass Carlos Santana das alte Latinrockfeuer noch abfackeln kann, bewies er 2016 mit „Santana IV“. Mit den einstigen Weggefährten – Drummer Michael Shrieve, Perkussionist Michael Carabello, Gitarrist Neal Schon und Keyboarder und Leadsänger Gregg Rolie – schuf der Woodstock-Meister noch einmal ein großartiges, perkussives Meisterwerk, in dem er sich mit seiner singenden Paul Reed Smith mal gar nicht aufdringlich nach vorn spielte. Das 2019 folgende „Africa Speaks“ war annähernd so entfesselt – die alte Magie des Jammens entfaltete sich auch hier über die volle Albumlänge.

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Jetzt wird der 74-jährige Gitarrist wieder, sagen wir, einnahmenorientierter. „Blessings And Miracles“ steht eher in der Tradition von „Supernatural“, Santanas erstem Tanzpop- und All-Star-Album von 1999, über das sich damals ein wahrer Grammy-Regen ergoss. Hip-Hop wird integriert, und Matchbox-20-Sänger Rob Thomas ist dabei, der vor 22 Jahren schon „Smooth“ sang und mit „Move“ durchaus wieder einen Song mit Hitpotenzial zu bieten hat.

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Zu Beginn und zwischendurch macht die kommerziellere Schmelze von Salsa, Jazz, Funk, Reggae und Rhythm‘n‘Blues auch Freude. Mit den Thrash-Metal-Helden Marc Osegueda (Death Angel) und Kirk Hammett (Metallica) wird „America for Sale“ gerockt – kapitalismus- und gesellschaftskritisch: „Nichts ist mehr heilig“, heißt es da. Hey, Carlos – dir aber auch nicht, oder? Das zarte Kongageplapper, das „A Whiter Shade of Pale“ mit Steve Winwood an Keyboards und Mikrofon umrankt, lässt alte Procol-Harum-Fans erblassen.

Santana – „Blessings And Miracles“ (BMG)

Pokey La Farge tanzt unter Orangenbäumen

Die Gitarren in Pokey La Farges Ballade „Drink of You“ glimmen, glitzern, sie perlen und weinen wie damals die der Gebrüder Santo und Johnny Farina im 1959er Instrumental „Sleepwalk“. Der Schlaks aus Illinois ist ein hingebungsvoller Verehrer des Country-Swing der Fünfzigerjahre. Mit einigem Schmalz und Vibrato in der Stimme besingt er auf Spanisch seine „mujer ideal“, mit der er unter Orangenbäumen tanzen möchte und macht „Fine to Me“ zu einer gelungenen Hommage an Sam The Sham and the Pharaohs. Sam – wer bitte? „Wooly Bully“ – das war ein rauer Kracher aus der Mitte der Sechzigerjahre, bevor dann alles psychedelisch wurde.

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Nicht alles überzeugt auf „In The Blossom of Their Shade“. Der Countryschieber „Long For the Heaven I Seek“ etwa gehört zur Sorte „Songs für-B-Seiten“, die Tex-Mex-Nummer „To Love or Be Alone“ wird durch ihr gläsern klingendes Klavier knapp vor einer solchen Zuweisung bewahrt. Besser sind geschwindere Nummern wie das Doo-Wop-Stück „Killing Time“ oder „Rotterdam“, wo La Farge den Umzug in die Niederlande plant, weil ihm die amerikanischen Verhältnisse zu ungemütlich geworden sind. Am Ende pfeift er sogar auf die Liebe: „Nichts sagt besser Goodbye als ein harter Drink und eine Träne.“ Was der alles zu wissen glaubt!

Pokey La Farge – „In The Blossom of Their Shade“ (New West Records)

Sturgill Simpson singt einen Western

Binnen Jahresfrist hat Sturgill Simpson nach seinen beiden „Cutting Grass“-Fortsetzungen nun schon das dritte Album vorgelegt. Wenn Konzerte noch immer unsicher sind, verlegt man sich eben auf ein muckeliges Studio (das Recording Spa nennt Simpson das beste in Nashville) und auf die eigene Kreativität. „The Ballad of Dood and Juanita“ ist nach den beiden Liedersammlungen nun ein Konzeptalbum. Der 43-Jährige erzählt von einer großen Liebe während des Bürgerkriegs. Dann wird Juanita entführt, der hartgesottene Dood sattelt sein Maultier Shamrock, ruft seinen Hund Sam an seine Seite, schwört die Kinder ein, aufeinander achtzugeben und begibt sich auf eine Odyssee durch den Westen. Man denkt da an Clint Eastwood in „Erbarmungslos“.

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Mit einem A-cappella-Stück beginnt Simpson, das an die „Battle Hymn of the Republic“ erinnert. Später juchzen und schluchzen die Fiedeln, die Finger tanzen auf den Saiten des Banjos, als wären sie glühende Herdplatten, und binnen einer halben Stunde ist der Hund tot, die Frau in Sicherheit und der Showdown passiert. Zwischendurch wird der Held noch von First-Nation-People gerettet, da denkt man an Kevin Costner in „Der mit dem Wolf tanzt“. Musikalisch ist Simpsons musikalischer Western mitreißend ausgeführt, die Stimme des Mannes aus Kentucky klingt kraftvoller denn je, aber die Story hat hier eindeutig Vorrang gegenüber den nicht allzu einprägsamen Melodien. Mit einer Ausnahme freilich: Willie Nelson beehrt Simpsons Truppe als Gastsänger und -gitarrist bei der Countryballade „Juanita“. Und dieser Song ist von Machart und Güte ganz nahe an Marty Robbins‘ Mörderballade „El Paso“.

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Sturgill Simpson – „The Ballad of Dood and Juanita“ (High Top Mountain Records)

Revolverheld denken positiv und lassen das Keyboard hochleben

Johannes Strate ignoriert das Telefon, macht nicht die Steuern, verweigert sich der Arbeit und liest nicht einmal mehr Bücher. Weil: Man muss nämlich gar nichts davon. Einfach mal die To-do-Liste zerreißen, ja – das würden wir auch mal gerne, Johannes! Revolverheld sind mit ihrem sechsten Album „Neu erzählen“ wieder am Dauerevozieren von Glücksgefühlen. Und wenn der junge Vater Strate nicht gerade mit einer streicherumflorten Großballade wie „Das Größte“ Befindlichkeitspop (für alle anderen jungen Väter und alle Radiostationen) raushaut, entdeckt er die Achtzigerjahre neu, die Sounds seiner Kindertage. Auf dem sechsten Album „Neu erzählen“ gilt die Parole: Lange lebe das Keyboard! Viva Synthesizer!

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Abgrenzung schafft Gemeinschaft („Nicht so wie die“), Neubeginn ist keine Schande („Irgendwann kommen wir schon an“), Zweisamkeit ist ein Auftrag („Am Steuer eingeschlafen“), Gutes muss getan werden („Dahinten wird‘s schon wieder hell“) – Revolverheld denken grundsätzlich positiv und sie bauen ihr Publikum auf die volle Albumdistanz auf. „Ich will das mit uns neu erzähl‘n“, singt Strate im Titelsong, „mich endlich wieder besser fühl‘n“ und vielleicht würde er das ja, wenn er mal die Plastikpistole ablegt, den Colt ins Holster schiebt und mal richtig rumballert. Und dann kriegen Revolverheld das in „Abreißen“ sogar hin. Sie rocken. Und das sogar mit Keyboards!

Revolverheld – „Neu erzählen“ (Sony)

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Solo von Queen-Drummer Roger Taylor - (Fast) Alles im Alleingang

Corona. Auch die Queen-Tour fiel ins Wasser. Während Gitarrist Brian May stattdessen für eine Jubiläumsausgabe seines Solodebüts „Back in the Light“ in die Archive hinabstieg (wir berichteten) nahm Roger Taylor ein neues Album auf. „Outsider“ entstand pandemiebedingt fast im Alleingang, was für den Queen-Schlagzeuger seit seinem Debüt „Fun in Space“ (1981) eh die bevorzugte Machart ist. Nicht alle Songs sind wirklich neu, Fans kennen „Foreign Sand“ seit 1994 – allerdings ist aus dem Rocksong von einst eine zartes Folkpopstück geworden: „Warum fürchten wir, was wir nicht verstehen“, singt Taylor und das Lied gegen Grenzen und alles Trennende kommt so viel besser. Die Akustikgitarre dominiert. Leise ist schon länger das neue Laut.

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Ganz so deutlich anders ist die Neuausrichtung der Ballade „Absolutely Anything“ aus Terry Jones‘ gleichnamigem Film von 2015 nicht geraten. Und dann ist da noch „Gangsters Are Running This World“, Taylors Single von 2019, die sich gegen die Autokraten Putin und Bolsonaro richtete, die Taylor hier in einer poppigeren und einer (funk-)rockigen Version vorlegt. Viele Stile finden sich – vom harten „Prime Jive“-Rock-‘n‘-Roll der Erinnerungen an eine wilde Jugend in „More Kicks“ zu besinnlichem Elektro: „Tides“ und das siebenminütige „Journey‘s End“ sind wispernde, friedlich schwadende, traurig stimmende, auch etwas pathetische Meditationen des 72-Jährigen über die eigene Endlichkeit. „Der Vorhang fällt – niemand weiß, wann.“

Roger Taylor – „Outsider“ (Universal)

Traurig kann so gut tun - Billies Bruder Finneas überzeugt

Finneas Baird O‘Connell ist der Mann im Maschinenraum des Erfolgs von Billie Eilish. Der ältere Bruder der Sängerin, deren Ballade „No Time to Die“ die Filmfans gerade mit anderthalb Jahren Verspätung auf den wohl tragischsten Einsatz von James Bond einstimmt, hat jetzt sein eigenes Ding gedreht. „Optimist“ heißt das schlicht mit Finneas gezeichnete Debütalbum, das freilich mit einem eher wehmütig gesungenen Lockdown-Memo beginnt: „A Concert 6 Months from Now“. Der Held des Songs hat im Frühjahr für den Herbst zwei Karten für die Hollywood Bowl gebucht – für die Lieblingsband seiner Liebsten. „Ich glaube, ich bin ein Optimist“, singt Finneas. Nicht so sehr wegen künftiger „Wellen“ des Virus, die Konzerte unmöglich machen könnten – vielmehr steht es gar nicht gut um die Beziehung des Protagonisten.

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Auch das folgende, schlenkernde „The Kids Are All Dying“ ist nicht unbedingt ein Gutelaunestifter. Überhaupt sind die Lieder hier vornehmlich (vortreffliche) Balladen, gedankenschwer bis vergrübelt – die äußere Welt ist nicht in Ordnung, wie kann es die innere sein. So treibt Finneas im beinahe gemurmelten Klavierstück „Love Is Pain“ die Angst vorm Tod der Eltern um. Weinend erwacht er aus einem Albtraum. Endlichkeit und Zukunftssorgen herrschen beinahe auf Albumlänge, und trotz gelegentlicher Stimmeffekte fehlt diesen dunklen Popsongs jede Gegenwärtigkeit, sie sind fraglos zeitlos.

Ein wenig Latin-Flavour findet sich in „Medieval“, ein wenig Neunzigerjahre-Pop in „The 90ies“ und das wohl munterste Stück „Around My Neck“ (es geht um Sex) klingt wie Prince zu „Kiss“-Zeiten – nur eben in Zeitlupe. Der positive Albumtitel verdankt sich wohl eher dem entspannten Entstehungsprozessgefühl des 24-jährigen Sängers, Songwriters, achtfachen Grammy-Gewinners, der dieses hochmelodische Werk ohne jeden Druck schuf, als er parallel an „Happier Than You“ arbeitete, Schwester Billies zweitem Album. Das Ergebnis: Traurig kann so gut tun. Und ein Optimist ist ja auch nur einer, der die Unbilden und Untiefen des Lebens sieht, das Hoffen dabei – man höre Finneas‘ „Only A Lifetime“ – aber nicht vergisst.

Finneas – „Optimist“ (Interscope)

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„Let It Be“ – Jubiläum des Beatles-Epitaphs lässt Wünsche offen

Schade, möchte man meinen, während man den neuesten, kostbaren Beatles-Ziegel in den Händen wiegt. Schade, dass man dieser dicken, schönen Box die Filme über die „Let It Be“ Sessions (aus rechtlichen Gründen) nicht beigefügt hat – den Traurige-Beatles-Endzeit-Streifen „Let It Be“ von Michael Lindsay-Hogg von 1969. Schade auch, dass man keine eigene CD dem „Geklimpere“ widmete, der Inspirationssuche der Fab Four, die beim Work-in-Progress zahllose bekannte Weisen spielten – sogar das Zitherthema aus dem Nachkriegsthriller „Der dritte Mann“ von Anton Karas. Wahre Beatlemaniacs haben diesen Stoff seit Jahrzehnten auf klangtechnisch entsetzlichen Bootlegs und hätten viel mehr von diesen Highlights und Obskuritäten gerne mal in etwas besserer Qualität besessen.

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Die Jubiläumsausgabe jenes Beatles-Albums, das im Mai 1970 erschien, als die Band aller Bands gerade ihre Demission verkündet hatte, das aber noch vor „Abbey Road“ (1969) eingespielt wurde, hätte gern auch auch das komplette „Dachkonzert“ enthalten dürfen, mit dem sich die Beatles am 30. Januar 1969 oben vom Gebäude ihrer Firma Apple als Liveband zurückmeldeten. So ist diese Festausgabe von „Let It Be“ auch ein Denkmal einiger verpassten Gelegenheiten. Enthalten sind auf den fünf CDs außer Phil Spectors remastertem offiziellen Album und Glyn Johns unter dem Titel „Get Back“ fertiggestellter, verworfener Version aus dem Frühjahr 1969 noch Alternativversionen der Songs von „Let It Be“, frühe Varianten einiger Stücke, die dann auf „Abbey Road“ landeten („Octopus‘s Garden“, „Polythene Pam“) oder auf frühen Soloalben („McCartneys „Teddy Boy“, Lennons „Gimme Some Truth“ oder Harrisons „All Things Must Pass“).

„Save The Last Dance for Me“ von den Drifters spielen sie auch an auf diesem Album, das durchaus eine „Rückkehr“ hätte werden sollen – die von der ausgetüftelten Popmusik seit „Revolver“ zum raueren, handgemachten Rock ‘n‘ Roll, mit dem die Beatles begonnen hatten. Nachgerade wurde es ihr letzter Tanz. Das letzte Wort zu „Let It Be“ ist mit dieser Box freilich noch immer nicht gesprochen.

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The Beatles – „Let It Be – 50th Anniversary Super Deluxe Special Edition“ (Apple/Universal)

Rolling Stones: Perlen und Kiesel unter den Outtakes von „Tattoo You“

Die Stones-Gemeinde kann nicht klagen – in den letzten Jahren gab es allerhand veredelte Originalalben und Konzertmitschnitte für ihren Schrein. Nur auf das ominöse Nachfolgewerk zu „Blue & Lonesome“ warten wir unverdrossen weiter. Einstweilen kommt nun ein Remaster von „Tattoo You“ auf den Markt – das war 1981 noch mal ein rundum großes Rolling-Stones-Album. Mit „Start Me Up“ enthielt es den letzten der klassischen Stones-Rocker, mit „Waiting on A Friend“ eine der schönsten Balladen der Band und das knappe „Hang Fire“ klang wie eine Hinwendung der Band zur Postpunk-Ära.

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Zum 40-jährigen Jubiläum erscheint es nun also in poliertem Soundgewand – bereichert um eine frühe Reggae-Version von „Start Me Up“ und acht Outtakes, die allerdings auch schon mal zeigen, dass man sich bei der Endauswahl fürs Album für die richtigen Songs entschieden hatte. Stücke wie das bluesige „Trouble‘s A Comin“, die Uptemponummer „Fiji Jim“ oder der als Single ausgekoppelte Midtemporocker „Living in the Heart of Love“ sind eher Stoff für Stones-Fans, die alles haben müssen. Die Stones-Bearbeitung von Dobie Grays Rock-‘n‘-Roll-Gospel „Drift Away“ dagegen zündet sofort, Gleiches gilt für den Countryswing „It‘s A Lie“ oder die Jimmy-Reed-Adaption „Shame Shame Shame“, die nicht nur wegen Jaggers quietschender Mundharmonika den Charme der frühen Rhythm-‘n‘-Blues-Cover der Rolling Stones aus den Sechzigerjahren aufweist.

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Das dicke De-luxe-Paket der Geburtstagsausgabe von „Tattoo You“ enthält überdies jede Menge Liveaufnahmen der Wembley-Konzerte der anschließenden Tour, zu der 1982 das Konzertalbum „Still Life“ erschien (auf dem unter anderem das hier aufgelistete Big-Bopper-Cover „Chantilly Lace“ fehlte). Es war die Tour der Buhrufe. In Deutschland wurde Peter Maffay von ignoranten Fans von der Bühne vertrieben, in den USA der damals noch in den Startschuhen steckende Prince.

The Rolling Stones – „Tattoo You – 4-CD-Boxset Limited Edition“ (Universal) - erscheint am 22. Oktober

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