„Bombshell“: Den Rock bitte etwas höher!
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Charlize Theron (v. l. n. r.) als Megyn Kelly, Nicole Kidman als Gretchen Carlson und Margot Robbie als Kayla Pospisil in einer Szene des Films „Bombshell – Das Ende des Schweigens“.
© Quelle: Hilary Bronwyn Gayle/Wild Bunch/
Fernsehen sei ein visuelles Medium, sagt der Senderboss. Und dann bittet er die Bewerberin, mal eben aufzustehen und sich zu drehen. Was tut eine junge Frau nicht alles für einen Moderatorenjob vor der Kamera! Kayla Pospisil dreht sich brav.
Doch bei den Drehungen bleibt es nicht – nicht im Fall von Kayla Pospisil (Margot Robbie) und nicht im Fall von Dutzenden anderen Frauen. Sie möge ihren Rock ein wenig höher ziehen und ihm ihre Beine zeigen, sagt Roger Ailes (John Lithgow), der gefürchtete Chef von Fox News. Spätestens jetzt gefriert Pospisils Lächeln. Noch ein bisschen höher den Rock, bitte! Qualen zeichnen sich in Pospisils Gesicht ab.
Aber sie gehorcht. Höher geht es jetzt nicht mehr: Der weiße Slip wird sichtbar. Die Anspannung im Raum ist förmlich zu greifen, bei Ailes eine sexuelle Erregung, bei Pospisil das Gefühl von Ohnmacht und Erniedrigung. Wenn sie das nächste Mal bei ihm im zweiten Stock vorbeischaue, so Ailes zum Abschied, solle sie sich doch überlegen, wie sie ihre Loyalität ihm gegenüber unter Beweis zu stellen gedenke.
Gretchen Carlson gegen den großen Senderboss
Wer immer schon mal sehen wollte, was Frauen hinter den Türen von Mächtigen durchleiden müssen und warum aus #MeToo aus dem Stand heraus eine weltweite Bewegung wurde: In Jay Roachs Drama „Bombshell“ ist er richtig. In „Trumbo“ (2015) hat Roach schon einmal einem Geächteten Gerechtigkeit widerfahren lassen – dem US-Drehbuchautor Dalton Trumbo, der Opfer der antikommunistischen Hetze nach dem Zweiten Weltkrieg wurde.
Wir schreiben das Jahr 2016. Der Sturz von Studiochef Harvey Weinstein liegt noch mehr als ein Jahr in der Zukunft. Aber die Geschehnisse im erzkonservativen US-Nachrichtensender werfen ihre Schatten voraus: Damals brachen Frauen das Schweigen. Die Klagen der Angestellten häuften sich. Schließlich schickte Fox-Besitzer Murdoch seinen seit Jahrzehnten regierenden Senderboss in die Wüste – gegen ein großzügiges Schmerzensgeld von 40 Millionen Dollar.
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Den Stein ins Rollen brachte damals die Journalistin Gretchen Carlson (Nicole Kidman), die schon vor ihrer Entlassung auf Widerstand gesonnen hatte. Carlson hatte genug davon, die „Moderatoren-Barbie“ mit langen Beinen in kurzem Rock zu geben. So lautete – oder lautet? – die ungeschriebene Kleiderregel bei Fox News, wo Frauen jung oder wenigstens schlank sein müssen.
Carlson wird entlassen, macht Ailes’ sexuelle Übergriffe publik – und steht erst einmal allein auf weiter Flur. Solidarität steht unter Karrieristinnen nicht eben hoch im Kurs. Manche Kollegin könnte ihr aus eigener bitterer Erfahrung zu Hilfe eilen, auch Fox-Starmoderatorin Megyn Kelly (Charlize Theron). Aber diese führt gerade eine Auseinandersetzung gegen einen anderen übergriffigen Mann – gegen Donald Trump, dessen Lieblingssender schon damals Fox News hieß und den mit Eigentümer Rupert Murdoch eine große Nähe verband. Man profitiert voneinander.
Dennoch hat Kelly es gewagt, den Präsidentschaftskandidaten der Republikaner wegen seiner sexistischen Äußerungen in einer Livesendung zu stellen. Fortan tut Trump das, was er bis heute bei Kritik tut: Er zettelt einen lügnerischen Twitter-Krieg an. Auf Rückhalt im Sender sollte Kelly nicht hoffen.
Geschichte vom Sieg des weiblichen Geschlechts
Die Crème de la Crème in Hollywood hat sich um die Hauptrollen in „Bombshell“ beworben – auch wenn sich Kidman und Theron hinter Masken verstecken mussten. Sie sollen den Originalfiguren möglichst ähneln. Nur die junge Kayla Pospisil ist ein fiktiver Charakter.
Diese Geschichte vom Sieg des weiblichen Geschlechts über die Dominanz der Männer ist so außergewöhnlich, dass sie nun schon ein zweites Mal verfilmt wird. Auch die Miniserie „The Loudest Voice“ mit Russell Crowe als Ailes widmete sich im Vorjahr den widerwärtigen Geschehnissen bei Fox News.
Man kommt nicht umhin, in dieser ins Fernsehgeschäft verlagerten Geschichte Hollywood zu sehen. Auch dort sind die Vorbereitungen für eine Verfilmung des Falls Harvey Weinstein bereits angelaufen: Brad Pitt hat sich mit seiner Produktionsfirma Plan B die Rechte für die Geschichte über den tiefen Fall des nun vor Gericht stehenden Ex-Studiobosses gesichert. Das Urteil über diesen ist noch gar nicht gesprochen.
Drehbuchautor Charles Randolph zündet in „Bombshell“ wie schon in „The Big Short“ über die Finanzkrise 2007 ein funkelndes Dialogfeuerwerk. Die Unterhaltung kommt trotz des bedrängenden Themas nicht zu kurz. An Bissigkeit lässt das Werk nichts zu wünschen übrig. Randolph horcht sogar in den Kopf einer Bedrängten hinein: Wir lauschen ihren Gedanken, während ihr zukünftiger Boss ihr zusetzt. Deutlich wird, wie schwer es ist, der Opferrolle zu entkommen. Er fühle sich jetzt beinahe wie ein Widerling, merkt der Chef an, als die Frau ihn mutig hat abblitzen lassen. Sie versichert ihm, dass dafür kein Anlass bestehe. Wir aber wissen es besser: Sie denkt das genaue Gegenteil.