Milliardär als Co-Autor

Kinder, seid wie ich! Das desaströse Kinderbuch von Carsten Maschmeyer

Carsten Maschmeyer und sein „Start-up-Kinderbuch“.

Carsten Maschmeyer und sein „Start-up-Kinderbuch“.

Irgendwann, wenn die Vermögensbildung abgeschlossen ist, scheint auch in Milliardären wie Carsten Maschmeyer die Sinnfrage zu rumoren. Was will ich der Welt eigentlich hinterlassen außer sehr viel Geld, ein paar grausamen Schnäuzer-und-Schulterpolster-Fotos aus den Achtzigern und einer erklecklichen Zahl unglücklicher Kleinanleger? Wie steht es um meinen Nachruhm?

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Maschmeyer – professioneller Geldvermehrer, teiloptimierter Beautyprototyp und Juror der Vox-Geldsacksause „Höhle der Löwen“ – hat auf die Frage nach seinem spirituellen Erbe eine putzige Antwort gefunden: Er hat ein Kinderbuch für Zehnjährige geschrieben. Der Titel: „Die Start-up Gang“. Die Botschaft auf 176 Seiten: Man kann nicht früh genug damit anfangen, sich den Poloshirtkragen hochzuklappen.

Man muss ja dankbar sein für jedes Kinderbuch, das nicht von urbanen Rundfunkredakteurinnen in Elternzeit geschrieben wurde und in dem tüchtig-niedliche Freizeitdetektive namens Poppy oder Larissa seltsame Marotten oder verletzte Einhörner pflegen. Die Kinderbuchregale sind voll von pastellfarbenen Unglückswerken, in denen langweilige Kinder langweilige Dinge tun.

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Aber was Maschmeyer mit Unterstützung des Google-Managers Axel Täubert da zu Papier gebracht hat, liest sich wie das FDP-Parteiprogramm für präpubertäre Frühkapitalisten: Man muss nur tüchtig sein und feste wollen, dann klappt’s auch mit der ersten Million! Sei einfach du selbst – oder noch besser: Sei wie Carsten Maschmeyer!

Kinderbuch von Carsten Maschmeyer – worum geht’s in „Die Start-up-Gang“?

Die Story kurz skizziert: Das Strebermädel Nele (Lieblingsfarbe: Flieder), Tochter einer Zahnärztin und eines überwiegend abwesenden Businesspapas, freut sich auf den „GNTM-Mädelsabend“ mit Mama, gibt als Hobbys „Reiten, Lesen, Schminken“ an und will „Zahnärztin oder Superstar“ werden. Der türkischstämmige Mehmet ist selbstverständlich Fußballcrack, liebt Ilkay Gündogan und Manchester City, kennt Leute wie „Secondhand-Samir“ und ist Sohn eines (im Ernst) Dönerbudenbesitzers.

Der Nerd Carl hingegen, dessen Lieblingsbuch durch eine Laune der Natur Carsten Maschmeyers Buch „Die Millionärsformel“ ist, zockt gerne „Scrolls of War“ und ist Sprayer und Youtuber. Das Mädchen Aliyah schließlich kam vor zwölf Monaten aus Syrien, spricht trotzdem fließend Maschmeyerdeutsch und möchte Programmiererin bei Google werden, wo „geniale Gründer die Welt verändern“ (Google-Mann Täubert im Nachwort). Dafür nutzt sie – eine weitere Laune der Natur – am liebsten ihr „Chromebook – was sonst?“ von Google.

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Pferdemädchen, migrantischer Kicker, zockender Sprücheklopfer und syrisches Flüchtlingsmädchen – mehr Klischee war offenbar nicht drin. Die vier lernen in der Schulprojektwoche, was ein Business Model ist und versuchen sich fortan selbst in der edlen Kunst des Gründens. Denn das tun Kinder heutzutage oder sollten es, wie Maschmeyer und Täubert finden, viel öfter tun: über Geld und seine wundersame Mehrung nachdenken. Zu diesem Behufe streift „Die Start-up Gang“ beiläufig diverse Glamourvokabeln aus dem Floskelbuch für Gründersprech wie „Rapid Prototyping“, „Seed Investment“ oder „Design Thinking“ und rät, sich nicht entmutigen zu lassen, auch wenn eine einstweilige Verfügung wegen Urheberrechtsverletzung ins Haus flattert. Was Kinder halt so beschäftigt.

Die erste Geschäftsidee der vier Kinder: eine individuell angefertigte Computermaus in Kinderhandgröße. Aber es geht selbstverständlich nicht ohne wolkig-offensive Marketinglyrik, das wissen auch schon diese Zehnjährigen, darum dröhnt Carl: „Wir verkaufen nicht nur eine Gamingmaus, sondern ein Werkzeug für Erfolg. Stellt euch vor, wie ihr mit dieser Maus das nächste Twitch-Rivals gewinnt und als E-Sports-Star reich werdet. Mit dieser Maus wird Luck zur Regel, und das nennt man dann Skill.“ Wie Kinder halt so sprechen.

Man kann sich bildhaft vorstellen, wie Täubert und Maschmeyer sich an der eigenen Idee ergötzten: ein Kinderbuch, das Gründen als wirtschaftlichen Weiheakt feiert. Das Ergebnis ist ein Erstlesebuch für spätere Testosteronbomber mit explosivem Ego und „Business Punk“-Abo, die sich selbst „Entrepreneure“ nennen, 24/7-Selbstausbeutung mit Rock’n’Roll verwechseln, blöde Business-Schmusetext-Lyrik an die Wände ihrer Coworking-Spaces pappen („Gipfelstürmer bauen sich eigene Berge“) und sich bei Müdigkeitsanfällen einfach feste ohrfeigen.

„Die Start-up Gang“: Maschmeyer hat vergessen, was es bedeutet, Kind zu sein

Heidi Klum scheucht die Mädels zur Selbstoptimierung vor den Spiegel – Maschmeyer bimst ihnen flankierend ein, dass auch die Kindheit nichts anderes ist als eine Kosten-Nutzen-Rechnung. Und dass es, um so erfolgreich, wohlhabend und lebensklug zu werden wie er selbst, nie schaden kann, sich den Gesetzmäßigkeiten der Wirtschaftswelt möglichst schon vor dem Stimmbruch zu unterwerfen.

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Hinzu kommt mehr als ein Hauch Tesla-Werbung („Mit einem kaum hörbaren Sirren beschleunigte das Auto und drückte Nele in den makellosen Ledersitz. Der helle Innenraum roch nach einer Mischung aus Möbelpolitur und Honig“).

Es ist nicht Maschmeyers erstes Buch. Sprachlich ist es erneut eine Collage aus übernudelten Textbausteinen („ein hübsches Sümmchen“, „ohne mit der Wimper zu zucken“, „schlaflose Nächte“) und Eigen-PR („,Auf in den Ring‘, dachte Nele und stellte sich vor, wie sie durch den Gittertunnel in die Höhle der Löwen trat“). Und auch inhaltlich folgt es seinen vier Vorgängern „Selfmade: erfolg reich leben“ (2012), „Die Millionärsformel“ (2016), „Selfmade: Die Erfolgsformel“ (2018), und „Die sechs Elemente des Erfolgs“ (2021).

Ob er etwas damit anfangen kann? Carsten Maschmeyer inspiziert die Creme.

Ob er etwas damit anfangen kann? Carsten Maschmeyer inspiziert eine Creme in der Sendung „Die Höhle der Löwen“.

Bloß die Zielgruppe ist jünger. Das Problem an „Die Start-up Gang“: Wer Kinder als biegsame Rohmasse für die Wirtschaft und quasi 1,50 Meter große Erwachsene mit Geldvermehrungsdrang missversteht, hat lange kein normales Kind gesprochen. Kindheiten funktionieren nicht nach den Mechanismen der Prozessoptimierung, und das ist auch gut so. Wie wär’s, wenn man ihnen Zeit ließe, erst mal spielerisch Persönlichkeit, Herz und Seele zu entwickeln, bevor sie sich über Excel-Tabellen beugen?

Die meisten Zehnjährigen, die heute Bananenflanken üben oder Loom-Armbänder basteln, landen noch früh genug in Firmen voller Benjaminis und Laufmappen und Filterkaffee, der nach WC-Ente schmeckt. Oder verkaufen irgendwann vegane Wirsingchips in türkisfarbenen Tüten für 8 Euro oder Cupcakes in den Geschmacksrichtungen Mango-Kardamom und Granatapfel-Thunfisch-Tictac. Oder glutenfreie Chlorella-Algenbrause mit einem Etikett, das aussieht wie ein Brooklyner Friseurladenschild von 1924.

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Carsten Maschmeyers Kinderbuch – Weltentrückte Egomanenpropaganda

Irgendwann wird alle Welt in fliederfarbenen Schürzen in Burgerläden namens „Meat & Greet“ herumstehen, aber es kauft niemand mehr irgendwas, weil alle anderen in ihrem süßen kleinen Laden für handgemachte Grußkarten stehen oder in der Manufaktur für faire Basilikumseife und Badezusatzbrösel namens „Evas Traumreise“. Das ist immer das Problem: Irgendwer muss den ganzen Quatsch ja auch kaufen, den Gründer so gründen.

Mögen sich die Marketinghipster des Landes auch noch so sehr um endcoole Gründerromantik bemühen – am Ende ist es nicht Altruismus und die Sorge um die Industrienation, die hiesige Jungunternehmer beflügelt, sondern Interesse an Geld. Wenn man ehrlich ist, ist auch Maschmeyers aktuelle TV-Heimat „Die Höhle der Löwen“ ziemlich zynisches Fernsehen, weil dort Multimillionäre hoffnungstrunkenen Hascherln ihre Businesspläne um die Ohren hauen.

Nichts macht so selbstzufrieden wie die zerpflückten Blütenträume anderer Leute. Und dann, wenn die Idee deines Lebens zertreten im Staub liegt, kommt auch noch ein Vox-Moderator mit großer Brille und will abklatschen.

Maschmeyers Jugendbuch ist der Versuch, Gründen zum Schulhofthema zu machen. Aber es ist vergebliche Liebesmühe, derlei eiskaltem Karrierismus auch nur einen Hauch von Coolness abzupressen. Businessvögel sind keine Punks, nur weil sie sich beim Sekretärinnenanbaggern den Schlips lockern. Maschmeyer und all die koffeingetriebenen Workaholics, deren Gordon Gekko er gerne wäre, sind ungefähr so Heavy Metal wie der Toyota Corolla. „Wer Großes will, muss viel leisten“, dröhnt er im Vorwort. Auch er habe „als Unternehmer erfolgreich und vielleicht obendrein berühmt werden“ wollen. „Und bei mir hat es ehrlich gesagt auch ganz gut geklappt.“

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Es ist dasselbe Denken wie bei Heidi Klum: das Muster des eigenen Lebens als prototypische Vorlage für eine vermeintlich perfekte Biografie. Mach’s wie ich! Das Ergebnis jedoch ist hier wie dort weltentrückte Egomanenpropaganda. Irgendwann pennt die zwölfjährige Nele im provisorischen Büro der Truppe in einer großen Fabrikhalle, weil sie so fertig ist, dass sie es nicht mehr nach Hause schafft. Ist klar. Christian „Dornige Chancen“ Lindner gefällt das.

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