Katie Melua: „Ich kehre zu meinen Wurzeln zurück“

Eine betörende Stimme in der Tradition von Doris Day und Patsy Cline: Die gebürtige Georgierin wurde 2003 mit ihrem Debütalbum "Call off The Search" berühmt, das sich mehr als zwei Millionen Mal verkaufte.

Eine betörende Stimme in der Tradition von Doris Day und Patsy Cline: Die gebürtige Georgierin wurde 2003 mit ihrem Debütalbum "Call off The Search" berühmt, das sich mehr als zwei Millionen Mal verkaufte.

Katie Melua hatte ihre georgische Heimat über die Jahre ihrer Popstarkarriere etwas aus dem Blick verloren. Seit ihrer Trennung von Mentor Mike Batt geht sie eigene musikalische Wege, An diesem Freitag (13. Dezember) erscheint ihr Doppelalbum "Live in Concert".

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Frau Melua, Ihr vorletztes Album trägt ihren georgischen Namen „Ketevan“, ihr letztes haben Sie mit einem georgischen Frauenchor aufgenommen, mit dem Sie demnächst ein Livealbum herausbringen. Befinden Sie sich auf einer Reise zu Ihren Wurzeln?

Ich kehre zu meinen Wurzeln zurück wie ja jeder irgendwann dorthin zurückkehrt. Meine Geschichte ist die, dass ich als Achtjährige von Georgien nach Nordirland gezogen bin. Ich habe sehr lebendige Erinnerungen an meine Kindheit, also liegen in Georgien durchaus meine Wurzeln. Als ich mit 18 bekannt wurde, tourte ich allerdings so viel, wurde der Job so aufregend und anstrengend, dass ich diese Herkunft etwas aus dem Blick verlor. Mit „Ketevan“ versuchte ich zurückzukehren. Aber Fakt ist, ich habe dieses Album in England eingespielt. Nach der Trennung von meinem Produzenten Mike Batt konnte ich neue Wege gehen. Wir haben „In Winter“ in der georgischen Stadt Gori aufgenommen mit dem Gori Women's Choir. Viele haben mir dann gesagt, es wäre ein Nischenalbum. Aber auch wenn es nicht auf einen Schlag ein Riesenerfolg war, so hat es sich doch langsam gut entwickelt.

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Wie sind Ihre Kindheitserinnerungen an die Zeit in Georgien nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion?

Ich war sechs oder sieben. Das ganze Land schien aufgeregt, mein Vater nahm mich mit zum Wählen und es hieß: „Wir geben unsere Stimme ab!“ Und ich war total erschrocken, denn ich glaubte, man würde uns dort tatsächlich unsere Stimme wegnehmen. Zwischen 1991 und 1994 versank Georgien dann in Dunkelheit – Bürgerkrieg, Kämpfe auf den Straßen. Es war gefährlich rauszugehen, um die einfachsten Dinge fürs Leben zu besorgen. Ich erinnere mich an Elektrizitätsausfälle, nie war heißes Wasser da. Aber ich erinnere mich auch an die Musik zuhause, das Singen, das großartige Essen, für das Georgien bekannt ist. Es gab auch schöne Momente, ein starkes Zusammengehörigkeitsgefühl.

Sie lebten zeitweilig in Tiflis in den Bergen, dann in Kutaissi am Fuß der Berge und in Batumi am Meer. Wo war es am schönsten?

Meine beste Freundin lebte in Tiflis, aber dann wanderte sie nach Wien aus. So würde ich Batumi wählen. Wir schwammen damals jeden Tag im Schwarzen Meer. Das war wunderbar.

Ein Kind braucht Stabilität. Sie verloren damals eine ganze Welt. Haben Sie das Ihren Eltern angekreidet?

Nein, denn die letzten beiden Jahre waren voller Entbehrungen. Ich erlebte die Frauen, die an ihr Heim gekettet waren. Und in der Stunde, in der Strom da war, sah ich mir amerikanische Filme an. Ich sah Eddie-Murphy-Komödien– was für ein Kontrast zu unserem Leben. Und von dem Tag an, als ich Julia Roberts in „Pretty Womam“ erblickte, war ich besessen von dem Schaumbad, in dem sie saß. Ich hatte bis dahin noch nicht einmal eine volle Badewanne gesehen.

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Viel hat sich inzwischen geändert. Was empfinden Sie heute für Ihre Heimat Georgien? Die Skiresorts ziehen Touristen aus aller Welt an, Tiflis gilt als neues Berlin, London, Paris.

Ich fühle Stolz. Es gibt in Tiflis eine Bohème, eine Atmosphäre. Künste werden geschätzt, Musik ist überall. Das zieht sich durch die gesamte Gesellschaft, nicht nur durch die Künstlerszene. Alles entwickelt sich, Geld kommt ins Land. Manche fürchten, dass alles zu sehr verwestlicht, dass das Land seine Einzigartigkeit einbüßt. Das glaube ich nicht, denn man gibt Acht, es gut zu machen. Man hat andernorts gesehen, was alles schiefgehen kann.

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Ihre alte Heimat Georgien wäre gern Mitglied in der EU, ihre neue Heimat macht den Brexit.

Ja (lacht), das sind wirklich befremdliche Zeiten. Für viele Georgier wäre es schon eine richtig große Sache, wenn Georgien in der EU wäre. Und für Europa wäre es auch gut, unser Georgien zu haben. Georgien hat wirklich viel zu bieten.

In den abtrünnigen Gebieten Südossetien und Abchasien stehen russische Truppen. Wie sehen die Menschen den Schatten Russlands im Norden?

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Ich habe einen guten Freund, einen georgischen Jazzpianisten der auf seiner Instagramseite manchmal von „Georgien, besetzt von Russland“ spricht. Viele würden das unterschreiben. Ich sehe das nicht so, aber es ist durchaus kompliziert.

In Gori, dem Herkunftsort Ihres Begleitchors und von Josef Stalin, hat man noch ein ziemlich distanzloses Verhältnis zum Diktator und Millionenmörder. Wird er dort noch verehrt?

Gori ist eine relativ kleine Stadt, es gibt dort nicht viel außer dass man Geburtsort Stalins ist. Als wir in Gori auftraten, wurde ich mit der Chorleiterin Teona zum Abendessen beim Bürgermeister eingeladen. Er war ein netter Mann, sah aber völlig fertig aus, als hätte er einen richtig stressigen Tag gehabt. Wie sich herausstellte, hatten Demonstranten vor dem Rathaus protestiert. Ein paar Monate zuvor war eine Stalinstatue verschwunden, und die Einwohner wollten dringend eine neue, weil die wichtigen chinesischen Touristen ausblieben. Die kamen sonst, um die Statue zu fotografieren und denen konnte man dann auch kleine Dinge verkaufen, Gewürzgurken und anderes. Die Leute wollten die Statue zurück, damit sie weiter ihren Lebensunterhalt verdienen konnten.

Sind Sie selbst in Georgien so bekannt wie in Westeuropa?

Georgien hatte keinen Musikmarkt. Lange gab es überhaupt keine Möglichkeit, hier CDs zu verkaufen. Aber durch den Tourismus und die allgemeine Modernisierung hat sich das verändert. Ich habe an meinem 34. Geburtstag ein Konzert in Tiflis gegeben und es kamen 10 000 Leute. Also ja – man kennt mich und die Geschichte von dem Mädchen, das in England Popstar wurde.

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Das ja aber erstmal in Nordirland landete, in Belfast, nahe der berüchtigten Fall’s Road, einem Kulminationspunkt der Auseinandersetzungen zwischen Protestanten und Katholiken.

Mein Vater, ein Herzchirurg, erzählte mir später, er habe ein Gespräch mit einem Freund seines Vaters geführt, um Rat zu bekommen. Er hatte zweihundert Bewerbungen in alle Welt geschickt, aber nur eine Jobzusage aus Belfast bekommen und fürchtete jetzt, an den schlimmstmöglichen Ort zu kommen. Und der Freund des Vaters sagte ihm nur: „Hast Du dir die Zahl der Toten dort angeschaut?“ Und für mich als Kind – ich hatte wohl von dem Konflikt gehört, aber meine Wirklichkeit war jetzt: Die Badewanne war voll, die Busse fuhren, die Züge auch - das war komplette Zauberei. Und die Schulen waren farbenfroh, bedeckt mit Kinderzeichnungen. In Georgien waren die Schulen grau, ihre Wände grau, sowjetischer Gebäudestil. Irgendwie wusste ich von da an, das alles möglich ist.

Ihr Bruder ging in Belfast auf eine protestantische, Sie auf eine katholische Schule. War das eine Art von Neutralitätsbekenntnis Ihrer Familie?

(lacht) Es war eher so, dass meine Schule eine Mädchenschule war. Da konnte mein Bruder nicht hin.

Während Ihr Livealbum mit den georgischen Frauen seiner Veröffentlichung harrt, arbeiten Sie da schon an Ihrem nächsten Studioalbum?

Ich habe bereits im Sommer Songs geschrieben. Ich brauche da manchmal extrem zurückgezogene Phasen, in denen ich mich aus meinem Alltag herausnehme. Jetzt sind wir schon in der Endphase. Es soll im nächsten Frühjahr erscheinen.

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Auf „In Winter“ haben sie Rachmaninoffs „Nunc Dimittis“ aufgenommen, die biblische Geschichte von Simeon, der Jesus gesehen hat und nun sterben kann. Ein Lied, das auch generell als Flucht- und Abschiedsstück gesehen wird. Nach sechs Alben mit Ihrem Entdecker Mike Batt, war „In Winter“ der erste Alleingang. Ist „Nunc Dimittis“ Ihr „Goodbye, Mike“?

Das ist ein bisschen überinterpretiert (lacht). Ich habe Mike seit unserer Trennung getroffen, wir haben uns auf einer Party gesehen, und uns fest in die Arme genommen. Wir sind uns nicht gram. Und ich bin ja auch stolz auf die sechs Platten, die wir zusammen aufgenommen haben.

Mike Batt war für seine sanften, romantischen Songs berühmt. Oft führen die Menschen mit den sanftesten Stimmen das härteste Regiment.

Wenn Mike an etwas glaubte, dann tat er alles, um es Wirklichkeit werden zu lassen. Er trieb das Geld auf, um die Plattenfirma Dramatico um unsere Alben herum aufzubauen. Ich hatte so viel Glück mit ihm. Er gab mir riesiges Selbstvertrauen und hat mich wirklich viel über das Geschäft gelehrt. Aber durch seine, sagen wir, sehr zielorientierte Energie wurde es nach einer Weile schwieriger, als ich meine eigene Stimme als Songwriterin entwickeln wollte. Aber nur weil Mike seinen eigenen Weg hat, würde ich ihn nie anklagen. Irgendwann war es nur so, dass wir nicht mehr zusammen arbeiten konnten.

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Fühlen Sie sich jetzt trotzdem frei?

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Mit Mike war es die bestmögliche Partnerschaft, die ich in meinen Zwanzigerjahren als eine Lernende haben konnte. Aber obwohl ich immer noch lerne, ist die jetzige Situation die beste, die ich mir wünschen kann. Perfektes Timing. Timing ist alles.

Apropos Timing. Wie wichtig ist Ihnen Familie?

Wichtig. Sehr sehr wichtig.

Würden Sie mit Ihrem Ehemann James auch gern Kinder haben, eine eigene Familie gründen? Oder ist es Ihnen genug, Mutter von Liedern zu sein?

Ich hätte sehr gern Kinder. Da bin ich eine georgische Frau und da ist das in meinem Alter, 35, ein großes Thema. Obwohl viele meiner englischen Freundinnen und Freunde sich entschlossen haben, keine zu bekommen. Bei mir sind diese Instinkte da, ich weiß nur nicht, wie ich sie mit meinem Leben vereinbaren kann.

So lautet die Antwort „vielleicht“?

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Ja. Wenn man es in ein Wort fassen möchte, dann „vielleicht“.

Werden Sie mit Ihren Angehörigen Weihnachten feiern?

Ja. Und am liebsten wäre mir dann ein Wichteln mit allen. Jeder bekommt nur ein Geschenk sonst bekommt man immer viel zu viel Zeug. In Georgien ist Weihnachten erst am 7. Januar und Silvester, das bei uns größer gefeiert wird, am 13. Januar. So feiern wir englische Weihnacht und georgisches Neujahr. Wir essen an Weihnachten Truthahn und Kräcker, tragen Papierhüte, singen Weihnachtslieder und erzählen uns ein paar dumme Witze (lacht).

Katie Melua (35) wurde in der georgischen Stadt Kutaissi geboren, zog im Alter von acht Jahren mit ihrer Familie in die nordirische Hauptstadt Belfast , wo sie in der Nähe der berüchtigten Falls Road lebte. Mit 18 Jahren wurde sie in England zum Popstar, nahm unter den Fittichen des Songwriters und Produzenten Mike Batt („Schizophonia“) sechs Alben auf, hatte Hits wie „The Closest Thing to Crazy“, „Nine Million Bicycles“ und „Mary Pickford“. Ihr letztes Album „In Winter“ hat sie 2016 mit dem georgischen Gori Women’s Choir in der Bergstadt Gori, der Heimat Stalins, aufgenommen - es ist das erste ohne Batt. Das RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) traf Melua zum Interview in Hannover wo sie am Dienstag, 18. November, beim 10. „Herrenhäuser Wirtschaftsforum“ auftrat. Seit 2012 ist Melua mit dem Ex-Motorsportler und Musiker James Toseland verheiratet.

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Neues Album: Katie Melua featuring Gori Women’s Choir – „Live in Concert“ (BMG), Doppel-CD, erscheint am 13. Dezember

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Katie Melua, Herbsttour 2020: 4.10.2020 Hamburg, Barclaycard Arena (Theaterversion); 5.10. Berlin, Tempodrom; 10.10.München, Philharmonie im Gasteig; 12.10. Nürnberg, Meistersingerhalle; 13.10. Mannheim, Rosengarten; 14.10. Frankfurt, Alte Oper; 22.10. Kempten, BigBox Allgäu; 23.10. Kassel, Stadthalle; 24.10. Düsseldorf, Mitsubishi Electric Halle; 26.10. Rostock, Stadthalle; 27.10. Hannover, Kuppelsaal (HCC)

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