Jeder Song nur 15 Sekunden: KC Rebell und Summer Cem mit dem wohl kürzesten Album aller Zeiten
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Die beiden Rapper KC Rebell (links) und Summer Cem ließen sich auf ein gewagtes Experiment ein: Wie wirken Songs, die nur 15 Sekunden lang sind? Ihr neues Kollaboalbum "FNFZHN" gibt die Antwort.
© Quelle: Jägermeister
15 Sekunden können heutzutage zum Weltruhm reichen: mit einem außergewöhnlichen TikTok-Video zum Beispiel oder einer skandalträchtigen Instagram-Story. Sogenannter „Snackable Content“ prägt aber nicht nur die sozialen Medien. Auch für das Kulturgut Musik hat der Trend hin zum Snack-Inhalt Konsequenzen: Was kürzer ist, kann häufiger gestreamt werden und bringt somit mehr Geld. Studien belegen, dass die Aufmerksamkeitsspanne der Menschen kürzer wird - und mit ihnen auch die Songs auf dem Ohr? Auf Initiative von und gefördert durch Jägermeister wurde dieser Gedankengang weitergesponnen und ein radikales Experiment initiiert: Das kürzeste Album aller Zeiten sollte entstehen, kein Song durfte länger als 15 Sekunden sein. Nach Angaben des Unternehmens möchte Jägermeister auf diese Weise den aktuellen Trend hinterfragen.
Welcher Künstler lässt sich auf so etwas ein? Da Rap immer auch Konkurrenzkampf bedeutet und ein solches Experiment eine gewisse Reputation verspricht, ist es kein Wunder, dass sich ausgerechnet zwei Straßenrapper zur Umsetzung des ambitionierten Projekts durchrangen: Summer Cem und KC Rebell, beide beim Label Banger Musik unter Vertrag, haben ein 13-Track-starkes Album gebastelt, welches sie am 23. April auf YouTube veröffentlichten. Dessen Titel „FNFZHN“ ist Programm; eine rund 30-minütige YouTube-Doku begleitet den Entstehungsprozess. Für Summer Cem besteht der Reiz des außergewöhnlichen Projekts unter anderem in der Pionierarbeit: „Dass es etwas gibt, was noch keiner gemacht hat. Einfach der erste zu sein.“ Nur eine verrückte Idee oder eine kompromisslose Zuspitzung dessen, was Musikfans in der Zukunft erwartet?
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Ideengeber hat „nichts mit Musik und Produktion zu tun“
Dass die Kürze der Songs nicht gleichbedeutend mit einem kurzen Schaffensprozess ist, mussten beide Rapper schon früh feststellen. Etwas blauäugig stürzten sich Summer Cem und KC Rebell in die erschwerte Albumproduktion. Ersterer hatte den Arbeitsaufwand offenbar stark unterschätzt: „Am ersten Tag, wo wir uns hingesetzt haben, dachte ich: Wir machen jetzt bestimmt ein Drittel fertig vom Album. Wir haben nichts aufgenommen.“ Wenn man pro Song nur wenige Zeilen zur Verfügung hat, müssen die sitzen. Ähnlich äußert sich auch sein Kollabo-Partner: „Als wir angefangen haben, in diese Richtung zu arbeiten, war der erste Gedanke bei mir, dass derjenige, der sich das hat einfallen lassen, auf jeden Fall nichts mit Musik und Produktion zu tun hat.“
Song-Ideen entstanden und wurden wieder verworfen. Wenn der dritte Track nicht saß, waren auch die ersten beiden für die Tonne – und es ging von vorne los. Ein gesamtheitliches Konzept musste her, etwas, das den einzelnen 15-sekündigen Songs einen Rahmen gibt. Letztlich entschied man sich dafür, einen Tag im Leben der beiden Rapper nachzuerzählen. Wie bei den meisten Menschen beginnt und endet dieser im Bett, wenngleich der Sandmann erst um sechs Uhr in der Früh vorbeischaut. Um 10 Uhr geht’s wieder aus den Federn. „Bruder, warum wache ich zehn Uhr morgens auf?“
Wie die Beats, die allesamt vom hauseigenen Produzententeam stammen, und die Flows innerhalb von 195 Sekunden variieren, ist durchaus beeindruckend. Mal werden die Reime schnell und aggressiv vorgetragen, mal im Autotune-Singsang. In der Doku betont Summer Cem, wie wichtig es ihm sei, trotz der zeitlichen Einschränkung den eigenen Sound beizubehalten.
Rein thematisch bietet „FNFZHN“ hingegen kaum Überraschendes, sondern das, was man von zwei Straßenrappern erwarten durfte: Es geht um den beschwerlichen Weg zum Erfolg. Um den Erfolg, der vermeintlich Frauen mit Geschmack anzieht. Um Frauen, mit denen man es sich gutgehen lässt und um ein Leben im Luxus, das einem all die Neider partout nicht gönnen wollen. „Wer hätte gedacht, dass wir mal werden, was wir werden möchten“, rappt KC Rebell.
„Lässt einen immer ein Stück unbefriedigt zurück“
Von Anfang an war ein passendes Musik-Video Teil des Konzepts, im Film zum Album wird deutlich, dass auch hier kreative Lösungen gefragt waren. Denn letztlich handelt es sich immer noch um 13 eigenständige Songs, mit individuellen Beats und Textpassagen, die wiederum ein eigenes Gefühl transportieren sollen. Schließlich entstand zu jedem Song auch ein eigenes Musikvideo, eines entstand am Greenscreen, eines wurde komplett animiert. Die Herausforderung bestand insbesondere darin, dass die Clips als Häppchen funktionieren sollten, aber auch zusammengeschnitten auf YouTube. Hierfür mussten einfallsreiche Übergänge her, für Handlungen war keine Zeit. Erwartungsgemäß taucht auch die eine oder andere Flasche Kräuterschnaps auf.
Und wie fällt das Fazit nach dem Short-Tracks-Experiments aus? Summer Cem ist davon überzeugt, dass die Idee in vergleichbarer Form Schule macht und ihm schon bald die ersten Rap-Kollegen nacheifern werden. Rap-Journalist Toxik äußert in der Doku hingegen die Meinung, die Länge der Songs würde in Zukunft weitestgehend von Spotify und Co. beeinflusst: „Wenn die Streamingdienste etwas am Algorithmus ändern, hat das Auswirkungen darauf, wie die Musik danach klingt.“ Würde der Algorithmus etwa mit längeren Songs mehr finanziellen Erfolg versprechen, würden eben längere Songs geschrieben.
Zwar lobt Toxik ausdrücklich die Bereitschaft der beiden Rapper zum Experiment, betont aber auch, dass man sich gerne den einen oder anderen Track komplett anhören würde - um dann festzustellen, dass es sich schon um den fertigen Song handelt: „Das lässt einen immer ein Stück unbefriedigt zurück.“ Die Kommentare unter dem YouTube-Video schlagen in die gleiche Kerbe. Man findet viele dieser Songs spannend, wünscht sie sich aber in „voller Länge“.
Experiment gescheitert?
Unter dem Strich wirkt das vermeintlich kürzeste Album aller Zeiten auch eher wie ein eindrucksvolles Stückwerk. Zwar ringt die Umsetzung Respekt ab, doch das Ergebnis fühlt sich eher wie eine Ankündigung an, die Lust auf mehr machen soll. Allerdings gibt es bei diesem Experiment kein Mehr. Keinen Hörgenuss, keinen erkennbaren Gewinn für den Konsumenten oder die Kunst. Nur vielleicht die Erkenntnis: Der perfekte Song hat wohl doch eine zeitliche Minimalgrenze und die liegt über 15 Sekunden.
RND/Teleschau