James Bond: mit der Lizenz zum Retten der Kinos

Nichts für Saubermänner: James Bond (Daniel Craig) in einer Szene von „Keine Zeit zu sterben“.

Nichts für Saubermänner: James Bond (Daniel Craig) in einer Szene von „Keine Zeit zu sterben“.

Hannover. Es gab Momente, in de­nen James Bonds aktuelle Mission auf der Kippe stand. Und dabei geht es jetzt nicht darum, dass der berühmteste Spion auf diesem Planeten die Schurken womöglich nicht zur Strecke brächte. Das wird er vom 30. September an in deutschen Lichtspielhäusern wieder zuverlässig und ohne Rücksicht auf Verluste tun – wie schon seit 1962, als der Geheimagent in Gestalt von Sean Connery im Kino Dr. No jagte. Bond muss nur erst mal in seinem Ruhedomizil auf Jamaika aktiviert werden.

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Bond kennt seine Pflichten

Auch der aktuelle Bond alias Daniel Craig weiß trotz stetig zunehmender Amtsmüdigkeit – diese betrifft sowohl den Schauspieler als auch die Figur – doch immer genau, was seine Pflichten sind. Wie immer der definitiv letzte Film mit Craig ausgehen wird und welchen persönlichen Preis der Titelheld bei seinem Abgang auch zahlen muss: Brexit-England soll ruhig zu Bett gehen können.

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Allerdings ist James Bond eine ganz neue Aufgabe zugewachsen, die alte wurde quasi an den Rand gedrängt: Die Rettung der Welt ist nach wie vor selbstverständliches Pflichtprogramm. So viel ist trotz der wie immer beeindruckenden Geheimniskrämerei um diesen Film nach außen gedrungen: Bond muss wohl eine todbringende biochemische Waffe entschärfen. Nun aber soll der Agent auch noch das kriselnde Kinogeschäft wieder in Schwung bringen. Das ist eine ziemliche Herausforderung für den Film, der erst wegen interner Querelen um den Regisseur (auf Danny Boyle folgte Cary Joji Fukunaga) und dann wegen Corona immer wieder verschoben wurde.

Das Kino berappelt sich mühsam

In Pandemiezeiten berappeln sich die Kinos nur mühsam. Dem Publikum fehlt trotz manchem Überraschungshit in diesem Sommer die entscheidende Initialzündung, die es zurück in die Kinosessel katapultiert. Nun soll die am längsten laufende Filmreihe nachhelfen. Welche Kinobetreiberin und welchen Kinobetreiber man auch in den vergangenen Monaten fragte: Früher oder später fiel der Name Bond, und dann leuchtete ein Quantum Trost in den Augen des Gegenübers.

Dabei war in der schier endlosen Hängepartie rund um diesen Film zu befürchten, dass es Bond womöglich gar nicht auf die große Leinwand schafft – manch anderem Blockbuster ist es so ergangen. Regisseure wie Christopher Nolan („Tenet“) oder Denis Villeneuve („Dune“) brandmarkten die Hollywoodstudios als Verräter am Kino.

Im vorigen Jahr kursierte plötzlich die Zahl 600 Millionen Dollar: Für so viel Geld sei das in Bedrängnis geratene Hollywoodstudio MGM bereit, Bond an einen Streamingdienst zu verscherbeln.

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Bond, der unermüdliche Streiter für Glanz und Glamour, wäre auf Bildschirmformat geschrumpft. Es soll schon Verhandlungen mit Netflix und anderen Streamingdiensten gegeben haben.

Der Schock in der Branche war groß, auch beim Publikum. Zwischendurch formierte sich sogar ein „Team Bond“, das eine skurrile Crowdfundingkampagne ausrief. Eingefleischte Bond-Fans wollten das nötige Kleingeld zusammenbringen, um den Film vor den Streamingkraken zu bewahren und so zumindest für alle Fernsehzuschauer zugänglich zu machen. Aber wäre damit Bond nicht genauso verzwergt worden?

Amazon übernahm das MGM-Studio

Dann kam es noch bedrohlicher: Amazon übernahm das komplette Filmstudio MGM für rund 8,5 Milliarden Dollar, inklusive des Filmbestands. Bond schien ein Schicksal bevorzustehen, wie es etwa „Star Wars“ schon hinter sich hat und wie es typisch ist für ausgewiesene Kinomarken.

George Lucas verkaufte 2012 sein Sternenimperium für 4 Milliarden an Disney. Seitdem beuten die neuen Besitzer ihr neu erworbenes geistiges Eigentum bis zur Schmerzgrenze aus. Sie lassen Prequels und Sequels produzieren, blasen Nebenhandlungen zu ganzen Filmen auf, gießen das Ganze noch einmal in Serienform oder verwandeln Helden in Animationsfiguren. Wie wäre es also zum Beispiel, berüchtigten Bond-Bösewichtern wie Goldfinger oder Ernst Stavro Blofeld eigene Filme zu widmen?

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Prompt folgte eine glasklare Ansage der Bond-Produzenten Barbara Broccoli und Michael G. Wilson: „Wir sind entschlossen, weiterhin James-Bond-Filme für das weltweite Filmtheaterpublikum zu machen.“ Broccoli ist die Tochter des legendären Kino-Bond-Übervaters Albert R. Broccoli, Spitzname: Cubby Broccoli, eines 1996 gestorbenen Italoamerikaners aus New York. Wilson ist sein Stiefsohn. Es handelt sich im Fall Bond also bis heute um eine Familienangelegenheit.

Die Broccolis haben bei allen lukrativen Verwertungsverträgen stets genau darauf geachtet, dass sie das letzte Wort haben, wenn es das Schicksal ihrer Kinoschöpfung betrifft. Sie entscheiden auch, wer Daniel Craig in dieser Rolle nachfolgen wird – die nächste große Aufregung rund um Bond lässt sich unschwer vorhersagen. Und nun wollten sie partout, dass Bond standesgemäß im Kino seinen Job erledigt.

Irgendwann kam es der Familie wohl auch gar nicht mehr darauf an, ob noch ein paar Millionen mehr oder weniger in die nächste abgebrochene globale Werbekampagne versenkt wurden. Die Produktionskosten lagen sowieso bei mehr als eine Viertelmilliarde Dollar.

Die Sache ist einfach größer als wir alle.

Bond-Darsteller Daniel Craig

Hauptdarsteller Daniel Craig sprang den Produzenten pflichteifrig zur Seite: „Diese Sache ist einfach größer als wir alle“, ließ er sich in finstersten Pandemiezeiten vernehmen. „Wir wollen, dass die Leute den Film auf die richtige Art sehen können. Auf der ganzen Welt sind gerade Kinos geschlossen. Aber wir wollen den Film weltweit zur selben Zeit veröffentlichen. Und jetzt ist nicht die richtige Zeit.“

Nun ist die richtige Zeit gekommen. Und danach darf der am längsten amtierende aller sechs Bond-Darsteller den Dienstsmoking endlich zurück in den Schrank hängen.

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Daniel Craig in „James Band 007: Keine Zeit zu sterben“.

Daniel Craig in „James Band 007: Keine Zeit zu sterben“.

In dieser Wendung steckt eine gewisse Ironie: Craig, der seine Rolle spätestens nach seinem vierten Film „Spectre“ (2015) gehasst hat („Lieber würde ich mir die Pulsadern aufschneiden, als noch einen Bond-Film machen“), steht plötzlich an der Spitze des Kampfs um die Zukunftsfähigkeit des Kinos. Er, der im Oktober 2005 bei seiner Präsentation in Schwimmweste auf der Londoner Themse als blondes Weichei verhöhnt wurde, soll den Weg zurück in den dunklen Kinosaal ebnen – ganz ohne explosives Spielzeug von Waffenmeister Q.

Daniel Craig hat das Kunststück fertiggebracht, seine Figur für das 21. Jahrhundert rundzuerneuern. Der Macho Bond, von seiner Chefin M alias Judi Dench einst tituliert als „sexistischer, frauenfeindlicher Dinosaurier“, hat gelernt, das weibliche Geschlecht zu akzeptieren. In „Keine Zeit zu sterben“ bekommt Bond es mit einer Doppel-Null-Agentin zu tun (gespielt von Lashana Lynch), die folglich ebenfalls die Lizenz zum Töten hat.

Der moderne Bond ist kein Macho mehr

Kein anderer Darsteller hat der Figur Bond so viel Schmerz und Düsternis zugemutet wie Craig. Keiner hat ihn so menschlich und auch fehlbar gemacht.

Bond ist womöglich besser als irgendeiner der unzähligen Comicsuperhelden geeignet, die Einzigartigkeit des Kinoerlebnisses fühlbar zu machen. 163 Minuten hat er dafür Zeit im bislang längsten Bond-Film. Der Hunger auf Blockbusterseherlebnisse ist groß. Sogar weitgehend sinnfreie Monsterspektakel wie „Godzilla vs. Kong“ überraschten positiv an den Kinokassen.

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„Skyfall“ war extrem erfolgreich

Wie stets auch auf der Leinwand könnte Bond nun zur rechten Zeit kommen. Vor Kurzem verkündete die deutsche Filmförderungsanstalt in ihrer Halbjahresbilanz: „Das viel befürchtete Kinosterben hat bisher nicht stattgefunden.“ Kaum eines von den gut 1200 Kinos hätte Insolvenz angemeldet. Die zuletzt siebenmonatige Corona-Schließungszeit hätten sie relativ unbeschadet überstanden. Doch die wirklich harten Zeiten könnten nach dem Auslaufen der Bundes- und Länderförderungen erst noch kommen.

Eine ganz andere Frage ist es, ob Bond die angepeilte Marke von einer Milliarde Euro Einnahmen weltweit knacken wird. „Skyfall“ gelang dies im Jahr 2012 – da durften die Kinos allerdings auch überall bis auf den letzten Platz besetzt werden. Und eine Maske trug bestenfalls der Bond-Schurke.

Das Warten auf James Bond hat nun jedenfalls ein Ende. „Bond, wo zum Teufel stecken Sie?“, fragt sein Chef M (inzwischen gespielt von Ralph Fiennes) flehentlich im aktuellen Filmtrailer. Keine Sorge, James Bond hat den Ruf gehört.

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