„Ich fühle ich mich wie ein 30-jähriger Rock ’n‘ Roller“

„Immer noch da, immer noch voller Feuer“: Graham Nash.

„Immer noch da, immer noch voller Feuer“: Graham Nash.

Auf „This Path Tonight“ klingen Sie buchstäblich wie ein Alleinreisender. Sie singen bisweilen sogar mit einsamer Stimme. Vermissen Sie denn die anderen Stimmen nicht, den Harmoniegesang von David Crosby, Stephen Stills und Neil Young?

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Nein.

Wirklich nicht?

Wissen Sie was? Die Wahrheit ist, jeder ist letztendlich allein. Manchmal mache ich Musik, die benötigt dringend Harmonien, und manchmal eben nicht. Als Sänger könnte ich jede weitere Stimme drauflegen. Aber „This Path Tonight“ ist ein Soloalbum, das die emotionale Reise widerspiegelt, die ich vor zwei Jahren antrat.

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Ihre Ehe wurde geschieden, Sie zogen von Hawaii nach New York und Sie lernten eine neue Frau kennen, Ihre heutige Freundin. Nachdem Sie sich mit David Crosby überworfen hatten, erklärten Sie damals auch, dass es CSN und CSNY nicht mehr geben wird. Sie sagten: „Die Magie ist weg.“ Haben Sie in der Zwischenzeit ihre Meinung geändert?

Nein. Ich sprach sehr oft mit Stephen und Neil, aber keiner von uns sprach mit David in den vergangenen beiden Jahren. Er ist einfach auf einem anderen Kurs. Ich wünsche ihm viel Glück.

Sind Sie enttäuscht?

Ja, einerseits bin ich traurig. Weil wir zusammen wirklich gute Musik gemacht haben. Andererseits habe ich mich nie besser gefühlt in meinem Leben. Ich bin für mich allein verantwortlich, ich bestimme selbst, worüber ich singe, wann ich singe und wo ich singe. Und das ist ein unglaubliches Gefühl.

Crosby, Stills, Nash and Young, die Folk-Rock-Supergruppe der Siebziger: Graham Nash (Zweiter von links) mit Neil Young (von links), David Crosby und Stephen Stills

Crosby, Stills, Nash and Young, die Folk-Rock-Supergruppe der Siebziger: Graham Nash (Zweiter von links) mit Neil Young (von links), David Crosby und Stephen Stills

Sie klingen wie ein desillusionierter Hippie, wenn Sie in Ihrem Song „Golden Days“ die Flower-Power-Zeit beschwören und fragen: Was ist nur aus „All You Need Is Love“ geworden? In „Beneath the Waves“ entrüsten Sie sich über „eine Welt, der es egal ist, ob wir leben oder sterben“ …

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Ich wohne seit mehr als 50 Jahren in den USA, ich habe noch nie ähnlich durchgeknallte Zeiten erlebt. Dieser Mann, Donald Trump, ist ein jämmerlicher Mensch. Er spielt mit der Angst der Menschen, um das Land zu spalten. Es passiert jeden Tag. Er macht Errungenschaften wieder rückgängig, speziell in der Klimapolitik und bei Frauenrechten. Ich denke, das wirft uns 50 Jahre zurück. Ich kann es kaum erwarten, dass dieser Mann wieder verschwindet.

Sie müssen Ihren Song „Chicago (We Can Change The World)”, der die Hoffnung auf eine bessere Zukunft ausdrückt, also weiterhin singen …

Ja, und zwar jede einzelne Nacht. Und ich hänge mich genauso rein wie 1971, als ich den Song schrieb. Für einen Musiker ist es beeindruckend, wenn ein Song über eine so lange Zeit seine Relevanz nicht verliert. Einerseits. Andererseits ist es schlimm, das Lied immer noch singen zu müssen. Ich schrieb es seinerzeit über meinen Vater, der im Zweiten Weltkrieg kämpfen musste. Es scheint so, als hätten wir in der Zwischenzeit nichts gelernt.

Glauben Sie trotzdem, dass die Welt noch zu retten ist?

Absolut. Ich nenne Ihnen zwei Beispiele, wo einzelne Menschen die Welt verändert haben. Der eine heißt Frank Wills. Er arbeitete am 17. Juni 1972 als Wachmann im Watergate-Komplex in Washington. Er war ein einfacher Mann. Vielleicht hatte er sich ein Baseballspiel angesehen, bevor er seinen Rundgang startete und den Einbruch in die Büros der Demokratischen Partei entdeckte. Misstrauisch machte ihn ein Stück Klebeband, das das Schließen der Treppenhaustür verhindern sollte. Wills hatte die Wahl. Er kehrte nicht zu seinem kleinen Schwarz-Weiß-Fernseher zurück, sondern entschloss sich dazu, der Sache auf den Grund zu gehen - was letztendlich zum Rücktritt des amerikanischen Präsidenten Richard M. Nixon führte. Ich glaube fest daran, dass die kleinste Handlung die Welt verändern kann. Und Musik gehört dazu.

The Hollies (von links) mit Graham Nash, Allan Clarke, Bobby Elliott, Tony Hicks, Eric Haydock.

The Hollies (von links) mit Graham Nash, Allan Clarke, Bobby Elliott, Tony Hicks, Eric Haydock.

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Und das zweite Beispiel?

Das ist Mohamed Bouazizi, ein tunesischer Gemüsehändler. Er hatte die Schikanen der Polizei satt, der er Schutzgeld bezahlen musste. Er ertrug sein Leben einfach nicht mehr, übergoss sich am 17. Dezember 2010 am helllichten Tag mit Benzin und verbrannte sich auf offener Straße. Sein Tod löste den Arabischen Frühling aus. Das sind zwei Aktionen, die die Welt veränderten.

Das stimmt. Doch acht Jahre nach Ausbruch des Arabischen Frühlings ist die Bilanz ernüchternd. Es prägen Repression, Bürgerkrieg und Dschihadismus viele Länder des Nahen Ostens. Und in vielen westlichen Demokratien werden antidemokratische Kräfte immer bedrohlicher …

Ich gebe zu, es sieht ziemlich düster aus da draußen, aber ich will die Hoffnung nicht aufgeben. Es ist ein Naturgesetz, dass das Pendel irgendwann wieder umschlagen wird.

Sie haben den linken demokratischen Präsidentschaftskandidaten Bernie Sanders bei der US-Wahl 2016 unterstützt. Ich las, Donald Trump ist Fan Ihrer Musik. Stimmt das? Nervt Sie das?

Ich befürchte, dass es wahr ist. Er ist ein Fan von uns. Das letzte Mal, als Crosby, Stills, Nash and Young in New York auftraten, sah ich ihn im Publikum. Ich muss Ihnen eins sagen, und ich spreche dabei nicht über den Präsidenten Trump. Ich kann ihn als Menschen nicht respektieren. Er ist schrecklich. Dass er meine Musik mag, ist mir egal.

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Vor zwei Jahren haben Sie Ihr Leben radikal verändert. Offensicht haben Sie keine Angst vor Neuem, versuchen beweglich zu bleiben ...

Immer.

Fühlen Sie sich „Forever Young“ im Sinn des Bob-Dylan-Songs?

Ganz genau. Im Spiegel erkenne ich mich kaum. Ich begreife zwar, dass ich älter werde, ich kann diesen Prozess nachvollziehen und sehe einen 76-Jährigen, aber gleichzeitig fühle ich mich wie ein 30-jähriger Rock ’n‘ Roller.

In „Myself At Last“ machen Sie sich Gedanken über das Älterwerden. Sie singen: „Diese Frage sucht mich heim: Ist meine Zukunft nur noch die Vergangenheit?“ und „Meine Träume sind nur noch Erinnerungen“. Haben Sie Angst vor Gebrechlichkeit und Tod?

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Mein Vater war 46, als er starb. Bis ich 46 war, fragte ich mich, ob ich genauso jung sterben werde wie er. Inzwischen lebe ich schon 30 Jahre länger als er, ich bin immer noch da und immer noch voller Feuer, voller Leidenschaft.

Ist Leidenschaft die Voraussetzung für ein erfülltes Leben?

Bei allem, was man tut, sollte man versuchen, das Beste zu geben. Ich versuchte, der bestmögliche Vater zu sein und der bestmögliche Ehemann, ich versuche für Amy (Grantham, seine neue Freundin, Anm. d. Red.) der bestmögliche Freund zu sein, ich versuche der bestmögliche Musiker zu sein. Ich schaffe das zwar nie, aber ich versuche es.

Gemeinsam gegen Atomkraft: Graham Nash (Zweiter von links) mit John Hall, James Taylor, Jackson Browne, Bonnie Raitt und Carly Simon.

Gemeinsam gegen Atomkraft: Graham Nash (Zweiter von links) mit John Hall, James Taylor, Jackson Browne, Bonnie Raitt und Carly Simon.

Ihre frühere Freundin Joni Mitchell trennte sich per Telegramm von Ihnen. Sie schrieb: „Wenn du den Sand in deiner Hand zu fest umschließt, wird er dir durch die Finger rinnen. In Liebe, Joan.“ Das ist so, als würde heute jemand per SMS Schluss machen. Was haben Sie damals aus der Sache gelernt?

Ich lernte, dass Liebe zerbrechlich ist. Ich lernte, dass man aufeinander achten muss. Es ist wichtig, eine Nachricht für sie am Kühlschrank zurücklassen, es ist wichtig, ihr gelegentlich Blumen ans Bett zu stellen. Du musst an einer Beziehung arbeiten. Ich versuche, jeden Tag mein Bestes zu geben.

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Graham Nash kommt im Juli für drei Konzerte nach Deutschland. Er spielt beim Rudolstadt-Festival (7. Juli), in Tuttlingen (8. Juli) und Leipzig (9. Juli).

Von Mathias Begalke/RND

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