„Green Book“: Reise zu den Rassisten

Zwei in einem Auto: Tony Vallelonga (Viggo Mortensen) chauffiert Don Shirley (Mahershala Ali).

Zwei in einem Auto: Tony Vallelonga (Viggo Mortensen) chauffiert Don Shirley (Mahershala Ali).

Hannover. Eine seltsame Reiselektüre hat der Chauffeur Tony Vallelonga bei Fahrtantritt in New York in die Hand gedrückt bekommen: Das Werk heißt „Negro Motorist Green Book“. Darin aufgelistet sind all jene Hotels, Restaurants, Tankstellen und Autowerkstätten im Süden der Vereinigten Staaten, in denen Schwarze willkommen sind. Der Katalog ist ziemlich dünn.

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Wir schreiben das Jahr 1962. Erst im Jahr darauf wird die Bürgerrechtsbewegung um Martin Luther King zum Marsch nach Washington aufrufen. Noch ein Jahr später wird die Rassentrennung in den USA zumindest offiziell mit dem Civil Rights Act beendet.

Freiwild für die Rassisten

Aber der Italo-Amerikaner Tony Vallelonga hätte nicht den Spitznamen „The Lip“, wenn ihn Schwierigkeiten sonderlich schrecken würden. Der New Yorker Türsteher riskiert sowieso gern mal eine dicke Lippe und weiß Gott und die Welt trickreich zu beschwatzen – oder im Zweifelsfall auch mit einem kräftigen Faustschlag zu überzeugen. Und jetzt chauffiert Tony (gespielt von Viggo Mortensen) eben diesen seltsamen und ziemlich blasierten „Doktor“ für gute Dollar runter nach Mississippi.

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Allerdings handelt es sich gar nicht um einen Arzt, wie Tony irrtümlich annahm, sondern um einen Musiker – und dann auch noch um einen mit schwarzer Hautfarbe. Im heimischen New York ist Dr. Don Shirley (Mahershala Ali, Oscar-dekoriert seit „Moonlight“, und nun gab es gerade den Golden Globe für seine aktuelle Rolle) eine Berühmtheit, der Pianist weiß in seinem Spiel klassische Musik und Jazz brillant zu verschmelzen. Auf seiner zweimonatigen Konzerttournee jedoch ist Don Shirley Freiwild für alle Rassisten, sobald er sich auch nur ein paar Meter von seinen offiziellen Terminen entfernt. Und es gibt dort unten im Süden ziemlich viele Rassisten, wie sich bald herausstellt.

Humoristische Grundierung

Aus dieser Konstellation hätte ein bitteres Drama werden können. Aber nicht mit diesem Regisseur: Peter Farrelly gilt seit „Verrückt nach Mary“ (inszeniert zusammen mit seinem Bruder Bobby) als Komödienspezialist, der vor brachialem Witz nicht zurückschreckt. Auch bei diesem schwierigen Sujet bevorzugt er eine humoristische Grundierung.

„Green Book“ ist ein Buddy-Movie erster Güte. Hier der bauernschlaue Chauffeur mit italienischer Großfamilie in der Bronx, dort der Musiker mit geradezu aristokratischen Manieren. Der eine hat fetttriefende Hähnchenschlegel und den nächsten unbeholfenen Brief an seine Frau daheim in New York im Sinn, der andere will hinten im Wagen vor allem eines haben: seine Ruhe.

Beide müssen Vorurteile gegenüber dem jeweiligen Mitreisenden überwinden. Und es gibt etwas, was die ungleiche Fahrgemeinschaft verbindet: der Stolz, sich von der Welt nichts gefallen zu lassen.

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Für Farbige gilt nachts Ausgangssperre

Klar, dass sich die beiden zusammenraufen. Nirgendwo kann man schließlich besser zuhören als auf langen Autofahrten. Mit jeder zurückgelegten Meile wächst die Bereitschaft, vom anderen zu lernen.

Der Rassismus ist ständig präsent auf dieser Reise, egal ob die Reisenden von der Polizei gestoppt werden, weil für Farbige nachts eine Ausgangssperre gilt, oder ob ein Hotelier Don Shirley nicht in seinem Restaurant zu Abend essen lassen will.

Einmal, die beiden sind schon ziemlich weit in den Süden vorgedrungen, haben sie eine Autopanne. Und während der Motor ihres Wagens am Straßenrand qualmt, lassen sie unabhängig voneinander den Blick über die umliegenden Felder schweifen – und entdecken abgerissene, schwarze Farmarbeiter, die direkt aus Steven Spielbergs „Die Farbe Lila“ oder Steve McQueens „12 Years a Slave“ in diesen Film geraten sein könnten.

Diese Reise hat stattgefunden

Dieses Bild macht klar: Hier geht es um weit mehr als nur um eine Konzertreise in den tiefsten Süden der Vereinigten Staaten von Amerika.

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Auch in der Wirklichkeit könnte es so gewesen sein. Denn diese Reise hat so oder jedenfalls so ähnlich stattgefunden. Vallelongas ältester Sohn schrieb die Erinnerungen seines Vaters und auch die von Don Shirley auf. Tony und Don Shirley blieben nach ihrem Trip bis zu ihrem Tod vor sechs Jahren Freunde. Sie starben 2013 im Abstand von nur wenigen Monaten, beide in ihren Achtzigern.

Ziel: Eine stabile Männerfreundschaft

Es geschieht wenig Überraschendes in diesem Film. Der Regisseur hat sein Ziel fest vor Augen und steuert in gut zwei Kinostunden auf eine stabile Männerfreundschaft zu. Aber das Pointen-Timing Peter Farrellys ist perfekt. Die beiden Hauptdarsteller Viggo Mortensen und Mahershala Ali blocken mit ihrem lockeren Spiel jede unangenehme Rührseligkeit ab.

So gelingt es Farrelly, in ein düsteres Kapitel amerikanischer Geschichte hineinzuleuchten, ohne den Mut zu verlieren, auch wenn einem manches ein bisschen zu brav erscheint. In jedem Fall aber ist „Green Book“ ein Film, der das Herz erwärmt.

Von Stefan Stosch / RND

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