Die Liebe der anderen: Der Film „Firebird“ erzählt von schwuler Liebe zu Sowjetzeiten
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Liebe in den Zeiten des Kalten Krieges: Der russische Gefreite Sergej Serebrennikow (Tom Prior) und der MiG-Pilot Roman Matwedew (Oleg Zagorodnyj). Szene aus „Firebird“.
© Quelle: Filmverleih
„Aufstehen, ihr faulen Ratten. Faul und dumm. Nutzlose, kleine Ratten!“ Das ist der unmissverständliche Weckruf des Unteroffiziers an die Mannschaften in der Kaserne. Wir sind 1977 auf einem der Höhepunkte des Kalten Kriegs auf einem Luftwaffenstützpunkt in Haapsalu im sowjetisch besetzten Estland. Permanent hat Verteidigungsbereitschaft zu herrschen. Der Oberst trägt Sorge, dass eine der B52-Bomber der Nato, die er mit mehreren Nuklearsprengköpfen bestückt glaubt, durchschlüpft und einen Luftkorridor nach Leningrad durchfliegt. „Ich habe vier MiGs in der Luft“, sagt der Oberst, „rund um die Uhr, Tag und Nacht.“
Es sind die letzten Diensttage des jungen Gefreiten Sergej Serebrennikow (Tom Prior), der nicht länger beim Militär bleiben will. Zurück auf Mutters Hof möchte er dort helfen, sich eine Arbeit suchen. Aber insgeheim hat er einen Traum, den zu verwirklichen es eines Anstoßes von außen braucht. Und eines Tages erscheint ein stattlicher, prinzenschöner Leutnant in der Kaserne, Pilot einer MiG, eines Feuervogels, strahlend wie Tom Cruise in „Top Gun“, nur größer. Und er ist ganz anders als die brüllenden, herabwürdigenden anderen Offiziere.
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Die Seele fotografieren, das Herz erleuchten – eine Männerfreundschaft
Roman Matwedew (Oleg Zagorodnyj) ist nett. Keiner fürs Zackige und keiner für die Hierarchie. Er lächelt, er scherzt, er fegt seine Stube selbst, macht ein Foto von Sergej, dessen Freund Wolodja (Jake Henderson) und Luisa (Diana Pozharskaja). Fotografieren ist auch Sergejs Hobby und über Filmrollen, Entwickler und Fixierer gebeugt kommen die beiden ins Gespräch. „Du hast einen Blick für Menschen“, lobt Roman Sergejs Bilder. „Du fängst ihr Wesen ein, ihre Seele.“ Zwei Männer, die sich verstehen, die Tschaikowsky hören, übers Ballett reden.
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Blick in die Seele: Sergej (Tom Prior) lernt seine Lebensliebe Roman über die Fotografie kennen.
© Quelle: Filmverleih
Bis Sergej erzählt, dass er einst mit seinem besten Freund auf die Schauspielschule wollte. „Es liegt nicht an den Sternen, unser Schicksal zu bestimmen, sondern an uns selbst“, gibt Roman ihm Shakespeare als Entscheidungshelfer mit auf den Weg. Da ist der erste Kuss nicht mehr fern.
„The Guardian“: „Der Film, den Putin die Welt nicht sehen lassen will“
„Firebird“, das Spielfilmdebüt des estnischen Regisseurs Peeter Rebane, kommt an diesem Donnerstag (17. Mai) zum Internationalen Tag gegen Homo-, Bi-, Inter- und Transphobie (Idahobit) in die deutschen Kinos (und ist schon bald, ab 19. Mai, streambar, und ab 2. Juni auf DVD zu haben). Beim Filmfest in Moskau konnte die britisch-estnische Produktion wegen heftiger Proteste nur einmal vor Publikum gezeigt werden. „Der Film, den Putin die Welt nicht sehen lassen will“, war eine Geschichte in der britischen Tageszeitung „The Guardian“ überschrieben.
Nachdem Homosexualität in Russland ab 1993 nicht mehr als Verbrechen betrachtet wurde, wurden 2013 wieder Gesetze erlassen, die die Darstellung von Homosexualität als „Propaganda“ werteten und unter Strafe stellten. Im Weltbild Putins, der sich sein Russland immer mehr nach Macho-Gusto gestaltete, kann man beeinflusst werden, hetero- oder homosexuell zu werden. Zum Lachen ist solche Idiotie, wäre sie nicht so traurig mit so tragischen Folgen für zahllose Menschen.
Das System speichert die Liebe der anderen
Der auf den Erinnerungen des 2017 verstorbenen russischen Schauspieler Sergej Fetisow basierende Film zeigt, wie die Schönheit der Gefühle vom Schmutz der Denunziation zerrieben wird. Überall und jederzeit kann man in der Sowjetunion der Spionage ausgesetzt sein, Wanzen übertragen Freiheitsträume auf die Tonbänder der KGB-Leute, ein Stalin-Witz kann zum Verhängnis werden.
Ein homophober Major eröffnet Roman die anonym vorgebrachte Anschuldigung, er habe Sex mit einem unbekannten Mann gehabt. „Geben Sie mir den Namen!“, fordert er den Flieger auf, statt ihn zunächst zu fragen, ob an den Vorwürfen irgendetwas dran sei. Das Sowjetsystem ist eines, das Angst vor seinen Menschen hat und sie darob mit Angst erfüllt. Das System ist im Bett mit seinen Bürgern, es speichert die Liebe der anderen, rapportiert ihre Seufzer und Küsse und entscheidet, was erlaubt und was verboten ist. „Das ist eine Lüge“, sagt Roman zu denen, die ihn zur Strecke bringen wollen.
Roman schenkt Sergej die Feder der Befreiung
Roman ist wie der „Feuervogel“ aus Strawinskys Ballett. Er schenkt Sergej die Feder der Befreiung, Schauspieler werden zu können. Und doch sagt er sich von ihm los und lebt fortan im Käfig ein wahres Leben im Falschen. Er heiratet Luisa, die eigentlich in Sergej verliebt war und hat ein Kind mit ihr. Luisa lädt Sergej zu ihrer Hochzeit ein. „Eine Lüge wird also zur Wahrheit“, befindet Sergej gegenüber Roman am Rande der Feier.
Rebanes visuell stimmiger Film, dessen Nebenfiguren man etwas größere Differenziertheit gewünscht hätte, ist eine Mischung aus diktaturkritischem Politthriller und privater Tragödie, dessen internationale Verbreitung derzeit darunter leidet, dass ein Interesse an Geschichten über Russland und die Sowjetunion nach Putins Angriffskrieg auf die Ukraine kaum vorhanden scheint. Der Putinismus führt dazu, dass man glaubt, in Russland lebten nur Putinisten und der Eiserne Vorhang sollte sich ruhig wieder senken.
Das Gesicht des Krieges gegen die Ukraine ist zudem monströs und bestialisch, tagtäglich wird das „Du bist nichts“-Menschenbild der Nazi-Zeit im Verhalten der russischen Truppen sichtbar – sowohl was das Leben der Angegriffenen als auch das der eigenen Leute betrifft. Ein faschistisch sich gebärdender Despot will entnazifizieren, wo es nichts zu entnazifizieren gibt, und lässt Angriffe auf zivile Ziele, Exekutionen und Vergewaltigungen als auszeichnungswürdig erscheinen. Die Welt ist angewidert. Wen interessiert da die Zärtlichkeit sowjetischer Soldaten?
Auf Zeitenhöhe: Dostojewskis Wort über den „Mann, der sich selbst belügt“
Dabei sagt der Film viel über heute aus, über die Lüge als Staatsräson, als Propaganda in den gleichgeschalteten Medien: „Ein Mann, der sich selbst belügt und seine eigenen Lügen glaubt, wird unfähig, die Wahrheit zu erkennen, weder an sich selbst noch an jemand anderem, und er verliert am Ende den Respekt vor sich selbst und anderen“, zitiert Sergej am Theater Dostojewski. „Wenn er keinen Respekt vor irgendjemandem hat, kann er es nicht mehr lieben, und in ihm gibt er sich seinen Impulsen hin, gönnt sich die geringste Form von Vergnügen und verhält sich am Ende wie ein Tier, wenn es darum geht, seine Laster zu befriedigen. Und alles kommt vom Lügen – gegenüber anderen und sich selbst.“ Das klingt wie eine Präsidentenbeschreibung.
In den Fernsehnachrichten im Film wird behauptet, die Einwohner und Einwohnerinnen Afghanistans hätten die Rote Armee bei ihrem Einmarsch „mit großer Freude und Volkstänzen“ empfangen. Wladimir Putin sollte dringend „Die Brüder Karamasow“ lesen. Oder sich wahlweise diesen Film anschauen.
„Firebird“, Film, 108 Minuten, Regie: Peeter Rebane, mit Tom Prior, Oleg Zagorodnyj, Diana Poszharskaya, Jake Henderson (am 17. Mai im Kino, streambar ab 19. Mai, bei Amazon Prime Video, Google Play, iTunes, auf DVD ab 3. Juni)
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