Er kann auch anders: So ist Sacha Baron Cohen in der Serie „The Spy“

Geht unter die Agenten: Sacha Baron Cohen (hier beim jährlichen Bankett der Hollywood-Auslandspresse 2019 im Beverly Wilshire) spielt in der Netflix-Serie einen legendären israelischen Spion zuzeiten des Sechstagekriegs.

Geht unter die Agenten: Sacha Baron Cohen (hier beim jährlichen Bankett der Hollywood-Auslandspresse 2019 im Beverly Wilshire) spielt in der Netflix-Serie einen legendären israelischen Spion zuzeiten des Sechstagekriegs.

Wenn Schauspieler plötzlich am ehernen Bild ihres üblichen Rollenprofils kratzen, sorgt das rasch für Skepsis. Besonders groß war sie beispielsweise, als der Grimassenschneider Jim Carrey im bierernsten Liebesdrama „Vergiss mein nicht“ glänzte. Noch größer dürfte die Verwirrung sein, wenn Sacha Baron Cohen morgen (Freitag, 6. September) bei Netflix ins fahle Licht einer Gefängniszelle tritt und seiner Frau bittersüße Abschiedsworte schreibt.

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Die Mehrzahl des Publikums wird darauf warten, dass er sich die Kleider vom Leib reißt und pseudokasachische Zoten vom Stapel lässt – um als Borat wieder so ein bisschen „kulturelle Lernung von Amerika, um Benefiz für glorreiche Nation von Kasachstan zu machen“. Das passiert aber nicht. Stattdessen rücken seine Finger ins Bild.

Cohen spielt Cohen: Blutige Fingernägel lassen keinen Zweifel am Ernst der Serie

Und wo sonst die Fingernägel sind, befinden sich bei dem Briefschreiber nur blutige Wunden. Das Ergebnis schlimmer Folter, das realisieren selbst jene Zuschauer, die vom Titelhelden des Sechsteilers „The Spy“ noch nie gehört haben – was zumindest in seiner Heimat Israel die Ausnahme sein dürfte. Dort ist jener Eli Cohen nicht nur allen bekannt, sondern geradezu legendär: 1959, als die Grenzkonflikte zwischen Israel und Syrien unweigerlich auf den Sechstagekrieg zusteuern, rekrutiert der Mossad den jüdischen Versicherungsvertreter ägyptischer Herkunft. Sein Auftrag: dank fünf Fremdsprachen und arabischer Optik die syrische Führungsschicht so zu unterwandern, dass sie ihm Geheimnisse vom bevorstehenden Angriff auf Israel offenbart.

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Es ist ein Filmstoff wie gemalt fürs kostümverliebte Fernsehen, perfekt für das Massenpublikum mit seiner unverbrüchlichen Liebe zu Spionagethrillern. Aber ist es auch ein Stoff für Sacha Baron Cohen, der – nicht verwandt mit Eli – als irrer Rapper (Ali G) und Diktator (Aladeen), als kasachischer Chaosreporter (Borat) und schwuler Modegeck (Brüno) bislang eher für anarchisch Alter-Ego-Humor Marke Hape Kerkeling sorgte? Gleich nach dem blutigen Anfang sieht man Cohen alias Cohen schließlich (die Rückblende führt den Betrachter sechs Jahre vor die Kerkerszene) so drollig in ein Rechengerät hacken, dass man trotz der soeben gesichteten blutigen Finger instinktiv etwas Aberwitziges von ihm erwartet.

Da Gideon Raff mit „Hatufim“ die Vorlage zur eigenen US-Adaption „Homeland“ gedreht hat und sich mit Filmen wie „The Red Sea Diving Resort“ auch sonst sehr sachlich mit dem Nahostkonflikt befasst, entschärft er den ulkigen Einstieg aber zügig durch Sozialkritik: Mit einigem Tempo versucht der Paria verbissen in der israelischen Gesellschaft aufzusteigen. Als Araber aus Alexandria muss er sich den Respekt jüdischer Kollegen mit Servilität und Arbeitseifer verdienen, isst aber dennoch allein am Schreibtisch zu Mittag, wird auf einer Party nach Feierabend mit Dienstboten verwechselt und nimmt das Angebot, im Geheimen für ein Land zu kämpfen, das ihn bislang verachtet, dankend an. Die große Chance.

Sacha Baron Cohen überzeugt als israelischer 007

In Windeseile schult der Mossad-Profi Dan (Noah Emmerich) seinen Schützling zum Superspion um, der als syrischer Geschäftsmann Kamel Thaabeth mit weißem Smoking, polyglottem Charme und kühler Chuzpe ins Machtzentrum des Feindes eindringt. Diese Druckbetankung mit Coolness geht übertrieben schnell vonstatten. Und Elis uneingeweihte Frau Nadia (Hadar Rotzon-Rotem) ist viel zu sexy für den Mann. Am störendsten ist der seltsame Akzent, mit dem im Original alle reden, der nervt ebenso wie das glatt geschliffene Deutsch in der Synchronfassung. Kein Wunder, dass die örtliche Zeitung „Haaretz“ das amerikanische Biopic zwar „schmeichelhaft“, aber auch „konventionell“ findet.

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Zugleich aber bringt Sacha Baron Cohen Elis Zwiespalt zwischen bewusster Tarnung und sozialer Deckung präzise auf den Punkt. Sein Wandel vom 08/15-Mann zum israelischen 007 gelingt auch, weil er im eleganten Stilmix der Sixties spielt, die alltags vor Staub sepiafarbig trocken sind und allenfalls auf Dinnerpartys oder Luxusjachten mal so richtig strahlen. Es ist eine Zeit, in der Autos noch Flügel tragen, Männer Aktenkoffer, Frauen Korbfrisuren und ein Spießbürger wie Eli Cohen glaubhaft die Last eines ganzen Landes. Man kauft ihm das trotz zunehmender Logikbrüche gern ab. Die Realität liefert halt doch die besten Storys.

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Jan Freitag/RND

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