Blicke in Seelenkrater – Nanni Morettis Kinodrama „Drei Etagen“
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Die Kluft zwischen ihnen wächst: Vittorio (Nanni Moretti) und Dora (Margherita Buy) in „Drei Etagen“.
© Quelle: Happy Entertainment
Es war still geworden um Nanni Moretti seit seinem Drama „Mia Madre“ von 2015. Jetzt meldet sich der italienische Regisseur zurück, erstmals mit der Adaption einer fremden Vorlage. Den in Tel Aviv verorteten Roman „Über uns“ des israelischen Autors Eshkol Nevo verlegt er in ein gutbürgerliches römisches Viertel.
Auf drei Etagen leben drei Familien unter einem Dach. Zu Beginn ein tödlicher Crash: Der betrunkene Sohn des Richterehepaares Vittorio (Nanni Moretti) und Dora (Margherita Buy) aus dem obersten Stockwerk überfährt eine Passantin und donnert in die Erdgeschosswohnung. Der starrköpfige Vater verweigert dem Unglücksfahrer jegliche juristische Unterstützung. Unter dem Konflikt leidet die Mutter, deren Vermittlungsversuche ins Leere laufen und die sich zwischen Ehemann und Sohn entscheiden muss.
Im Parterre steigert sich Familienvater Lucio (Riccardo Scamarcio) zunehmend in die Idee hinein, ein dementer Nachbar, der oft auf seine siebenjährige Tochter aufpasst, könnte ihr zu nahe gekommen sein. Als Lucio nach dessen Tod etwas überraschend den Avancen der minderjährigen Enkelin erliegt, hat das desaströse Folgen.
Über zehn Jahre erstrecken sich die Familiengeschichten
Die junge Mutter Monica (Alba Rohrwacher) in der zweiten Etage ist meistens mit ihrem Baby allein und leidet unter der beruflich bedingten Abwesenheit ihres Mannes, dem jegliches Verständnis für ihre Situation und ihre Flucht ins Wahnhafte fehlt. Schnell fühlt sie sich zum plötzlich auftauchenden, aufmerksamen Schwager hingezogen, dem schwarzen Schaf der Familie.
Über zehn Jahre erstrecken sich die Familiengeschichten. Brüche offenbaren sich, Menschen machen Fehler, Werte geraten ins Wanken. Der Verknüpfung verschiedener Handlungsstränge fehlt es indes an Schlüssigkeit. Vor allem die Figur des Familienvaters Lucio wirkt künstlich und aufgepfropft.
Die Dynamik der Paarbeziehungen und das Verhältnis zwischen Eltern und Kindern erzählt Moretti zwar mit viel Empathie, doch fehlt der Anschluss innerhalb des Films. Auch die in der Romanvorlage wichtigen gesellschaftlichen Bezüge bleiben unklar. Während der in drei Kapitel aufgeteilte Roman am Höhepunkt der Krisen endet, fällt hier der Blick in Seelenkrater weniger rigoros aus. Moretti versucht sich an einem versöhnlicheren Ende.
Italiens eigenwilliger Autorenfilmer, Produzent, Schauspieler und Filmverleiher („Habemus Papam – Ein Papst büxt aus“) wollte sich „auf das Wesentliche reduzieren“. Dabei tippt er Problemstellungen wie Einsamkeit und Entfremdung, Individualismus versus Sehnsucht nach Gemeinschaft nur an. Seine Lieblingsthemen – persönliche Tragödien und familiäre Zerreißproben – arbeitet Moretti klug ab, aber trotz Tränen und Trauer erreicht er nicht annähernd die emotionale Stärke und Tiefe seines 2001 in Cannes mit der Goldenen Palme ausgezeichneten Meisterwerks „Das Zimmer meines Sohnes“.
„Drei Etagen“, Regie: Nanni Moretti, mit Nanni Moretti, Margherita Buy, Riccardo Scamarcio, Alba Rohrwacher, 117 Minuten, FSK 12