Dieter Hallervorden: Zwischen Didis Nonsens und Philosophie
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Dieter Hallervorden hat seine Altersrolle gefunden: die des Provokateurs.
© Quelle: imago/Stefan Zeitz
Hannover. Hape Kerkeling und Senta Berger haben ihn, genauso Michael „Bully“ Herbig, Markus Söder und sogar Papst Benedikt. Letzterer bekam ihn, als er noch Erzbischof von München war. Und an diesem Wochenende, am 12. Februar, um genau zu sein, wird Dieter Hallervorden mit dem Karl-Valentin-Orden gewürdigt, wegen Corona ein Jährchen später als geplant, aber dafür in seinem eigenen Haus, dem Schlosspark Theater Berlin.
Wie es ihm wohl gefällt, in dieser Reihe aufzutauchen, gerade was die beiden Letztgenannten betrifft? Man kann ja mal bei ihm anfragen – und bekommt später am Abend einen Rückruf aufs Handy, wenn andere 86-Jährige schon ihren Abendtee schlürfen. Früher konnte Hallervorden nicht. Er steckt mitten in den Proben für sein neues Stück, Eugène Ionescos „Der König stirbt“. Seine Antwort: „Man kann sich im Nachhinein die Gesellschaft nicht aussuchen. Ich verhehle aber nicht, dass ich mir durchaus noch geeignetere Würdenträger vorstellen könnte.“
Manche wundern sich womöglich auch, wieso Hallervorden geehrt wird: Der im persönlichen Umgang so Zuvorkommende macht sich mit seinen öffentlichen Auftritten nicht nur Freunde.
Die Faschingsgesellschaft Narrhalla begründet die nach dem Münchner Komiker Karl Valentin (1882 – 1948) benannte Ehrung Hallervordens mit dessen „unglaublich facettenreichem Schaffen“. Er sei ein „kabarettistisches Multitalent“ und Erfinder der Kunstfigur „Didi“. Die deutsche Sprache habe er mit Schöpfungen wie „Palim, Palim“ bereichert.
Auf den Didi wird Hallervorden allerdings nicht mehr so gern angesprochen. Diesen Kasper der Nation ist er erst auf seine alten Tage losgeworden. In den Siebzigerjahren saß das halbe Land vor den Fernsehern und lachte sich schlapp, wenn er in seiner „Nonstop Nonsens Show“ mit Partnerin Helga Feddersen die Discoparodie „Du, die Wanne ist voll“ zum Besten gab.
Er besingt sich selbst als „weißer alter Knacker“
Auf „Palim-Palim“ will er keinesfalls reduziert werden. Daran arbeitet er mit einer verblüffenden Agilität – und manchmal auch mit einem Starrsinn, der ihn in die Rolle eines „weißen alten Knackers“ bringt, wie er sich selbst besingt. Das Thema Gendern bezeichnete als eine „Vergewaltigung der deutschen Sprache“. Musste das sein?
„Es liegt in meinem Naturell, Stellung zu beziehen. Ich halte es für essenziell, sich zu wichtigen Fragen eindeutig zu positionieren. Und mir ist dabei durchaus bewusst, dass man manchmal auch mehr Mut braucht, seine Meinung zu revidieren, als ihr treu zu bleiben. Also: Irrtum ist natürlich nie ausgeschlossen“, bekundet Hallervorden. Bislang hat er seine Meinung zum Thema Gendern nicht revidiert: „Sprache ändert sich aus sich selbst heraus und nicht auf Befehl. Die Sprache ist ein Kulturgut, das uns allen gehört und nicht einer ideologischen Minderheit.“
Die Münchner Narren wussten, wem sie den Orden anheften: Hallervorden nehme „leidenschaftlich zu den aktuell brennenden Themen Stellung“.
Seine Lust, gegen den Mainstream anzupaddeln, ist in seiner Biografie zu suchen. Geboren wurde er 1935 in Dessau als Sohn einer Arzthelferin und eines Ingenieurs. An der Ostberliner Humboldt-Universität studierte er Romanistik. Die französische Literatur lernte er lieben bei Victor Klemperer – also bei jenem Lehrer jüdischer Herkunft, der die Sprache des Nationalsozialismus sezierte („LTI“) und in Tagebüchern über seine Ausgrenzung Zeugnis ablegte „bis zum Letzten“.
Bald wurde dem jungen Hallervorden die DDR zu eng. 1958 ging er in den Westen – und plante ein Attentat auf Walter Ulbricht. Darüber redet er nicht mehr so gern: „Das war so eine Sache, wie Klein Moritz die große Welt sieht.“
An der Freien Universität studierte Hallervorden Publizistik und Theaterwissenschaft. Er wollte Auslandskorrespondent werden. Doch dann entdeckte er die Schauspielerei – auch wenn ihn die Max-Reinhardt-Schule abblitzen ließ. Nach ein paar Sätzen aus dem Eingangsmonolog zu Kleists „Amphitryon“ wurde er abrupt gestoppt: „Danke, das genügt.“
Im Alter startete er noch einmal durch
Hallervorden hat sich selten von einmal gefassten Plänen abbringen lassen. 1960 gründete er sein Kabarett Die Wühlmäuse – benannt nach einer Maus, die auf einem Klavier hockte. Bei seinen Auftritten platzierte er satirische Hiebe gegen die verhasste DDR. Aus seiner Freiheitsliebe leitet er seine Unterstützung für die FDP ab.
Im Kabarett entstand die Idee für den Blödel-Didi. Aber da war immer auch der ernsthafte Schauspieler. Hallervorden war 1970 als eiskalter Killer in der prophetischen Mediensatire „Das Millionenspiel“ nach Wolfgang Menges Drehbuch dabei.
Für „Sein letztes Rennen“ gab es den Deutschen Filmpreis
Bloß gerieten solche Auftritte in Vergessenheit – bis er im Seniorenalter noch einmal durchstartete; 2014 wurde er mit dem Deutschen Filmpreis für „Sein letztes Rennen“ gekürt. In dem Kinodrama spielte er einen Marathonläufer im Altenheim, der es noch mal wissen will. In seiner Dankesrede sagte er: „Für mich bedeutet der Preis eine große Genugtuung, weil er eine saftige Ohrfeige für alle Möchtegernkritiker ist, die mich als Komödianten jahrelang abgewatscht haben, weil sie nicht erkennen konnten, wie viel Begabung dazu gehört, etwas Schweres leicht darzustellen.“
Hallervorden genießt die Genugtuung, es allen zu zeigen: 2008 übernahm er unter großem finanziellen Einsatz das heruntergewirtschaftete Schlosspark-Theater. Bis heute ist er Chef – und hat das Gendern im eigenen Haus verboten.
Als der Satiriker Jan Böhmermann sich 2016 in einem Schmähgedicht mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan anlegte, sprang ihm Hallervorden mit dem Lied „Erdogan, zeig mich an!“ zur Seite. Darin heißt es: „Ich sing‘ einfach, was du bist: Ein Terrorist, der auf freien Geist nur scheißt!“
Rücksichten muss Hallervorden nicht mehr nehmen – auch auf die Gefahr hin, manchmal am Rande der Lächerlichkeit zu balancieren. Über sich selbst sagt er: „Ich leiste mir den Luxus, eine Spur intelligenter zu sein, als manche es annehmen.“ Wächst seine Lust aufs Anecken mit dem Alter? „Das hat sich absolut nicht im Alter entwickelt. Angeeckt bin ich schon als 16-Jähriger im Unrechtsstaat, der sich DDR nannte.“
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Erfolgsserie: „Mein Freund, das Ekel“ mit Dieter Hallervorden und Alwara Höfels.
© Quelle: Gerhard Schirlo/Constantin Telev
Pläne hat Hallervorden einige: In seiner Geburtsstadt Dessau will er ein Theater eröffnen. „Die Stadt Dessau und ich stehen kurz vor einem möglichen Abschluss. Ich brenne für das Projekt, und ich hoffe, dass ich bei den Stadtvätern auch genügend Glut erzeugt habe.“ Vor Kurzem hat er Paragliding und Fallschirmspringen als neue Hobbys entdeckt.
In seinen Liedern bezeichnet er sich als „Clown und als Philosoph“, der gern provoziere. Und wo liegt der Schwerpunkt? „Die Mischung macht‘s! Was ich beruflich gemacht habe, ist gewissermaßen kontrapunktisch: Didi war eher Clown und der Marathonläufer in ‚Sein letztes Rennen‘ eher der Philosoph. Beides steht gleichberechtigt nebeneinander! Und zwar ohne Wertung!“
Dieser alte weiße Narr mit dem wirren Strubbelhaar hat sich den Valentin-Orden redlich verdient. Wie sagt er selbst? „Ich hoffe: Ja! Oder?“