Diese Bücher erklären uns die Corona-Krise
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Schon jetzt gibt es neue Bücher, die versuchen, die Corona-Krise zu erklären.
© Quelle: Frank Rumpenhorst/dpa/Frank Rump
Hannover. Im November 2013 übt das Bundesinnenministerium mit Tausenden Beteiligten das vorerst letzte Mal eine sogenannte außergewöhnliche biologische Gefahrenlage. Um das gesamte Geschehen glaubwürdiger wirken zu lassen, werden sogar fiktive Nachrichten produziert. Die beiden Journalisten Georg Mascolo und Katja Gloger haben dieses Szenario in ihrem Corona-Buch „Ausbruch“ beschrieben. Es ist Teil der Vorgeschichte der gegenwärtigen Pandemie.
Das Ergebnis dieser Großaktion lautete, dass die Bevorratung persönlicher Schutzausstattung bei Bund und Ländern künftig überprüft und gegebenenfalls angepasst werden solle. Allerdings, so konstatieren Mascolo und Gloger, wurde nichts zentral erfasst. „Und schon gar nichts auf Stand gebracht. Nicht einmal im Januar oder Februar 2020.“
Selten war das Wort „Nachrichtenflut“ so passend
Mehr als ein Jahr wütet das Coronavirus bereits in Deutschland und der Welt. Es fordert Tote, bringt Leben durcheinander, stellt den gesellschaftlichen Frieden infrage, beeinflusst Politik. Fast jeden Tag geschieht etwas Neues, werden Gewissheiten zerstört. Selten war das Wort „Nachrichtenflut“ so passend wie in unseren Tagen. Selten war detaillierte Erinnerung und sinnvolle Einordnung so schwierig.
Einige Bücher, die unter den vielen Neuerscheinungen zur Corona-Krise herausstechen, helfen bei eben dieser Einordnung des bislang Geschehenen. Katja Gloger und ihr Ehemann Georg Mascolo gehen dabei zunächst zurück auf die ersten Tage der Pandemie. Noch einmal wird uns vor Augen geführt, wie sich Corona langsam und zunächst auch unterschätzt in unsere Gegenwart schlich. Die beiden Autoren zitieren dabei aus internen Mails, aus Sitzungen und Gesprächen. Das Szenario springt zwischen Deutschland, Italien, den USA, China und vielen anderen Schauplätzen hin und her, das Buch ist zum Teil bis in die letzten Details recherchiert und schon deshalb ein großer Lesegewinn. Hintergrundberichte wechseln sich mit Reportageelementen und Analysen ab. So entsteht ein dichtes Bild des ersten Pandemiejahres.
Manches klingt geradezu prophetisch
Deutschland war nicht das einzige Land, das die Gefahr von Viren unterschätzt hat. In den USA übt sich die neue Regierung Trump in Desinteresse, als ihr Vertreter der Obama-Administration Risiken und Gefahren einer Pandemie näherbringen wollen. Eine Abteilung im Nationalen Sicherheitsrat, die für Gesundheitsgefahren zuständig ist, wird aufgelöst.
Angela Merkel gelingt es nur gegen den Widerstand einiger teilnehmender Länder beim G-7-Gipfel 2015 in Elmau, das Thema Global Health zum Thema zu machen. Bei einer Simulation, an der die Gesundheitsministerinnen und -minister der sieben großen Industrienationen teilnehmen, geht es um das fiktive Virus „Mars“. Dieses war laut Versuchsanordnung in einem Land namens „Anycountry“ ausgebrochen. „Husten und Ersticken waren die Folgen, ‚Anycountry‘ hatte den Ausbruch verheimlicht. Als die Sache herauskam, war es schon zu spät“, schreiben Gloger und Mascolo. Es klang geradezu prophetisch.
Schuldzuweisungen helfen nicht weiter
Aber Schuldzuweisungen, Kritik an Versäumnissen und Häme helfen heute nicht weiter. Die Frage ist vielmehr, was aus all diesen Versäumnissen und gewonnenen Erkenntnissen der Vergangenheit folgt. Mascolo und Gloger bringen es auf einen genauso einfachen wie herausfordernden Punkt: „Wie immer ist die Zukunft das, was die Menschen, lernend, aus ihr machen.“
Einen Blick in Gegenwart und Zukunft der Pandemie wirft auch die Interviewreihe „Rausgeblickt“, die im Dietz-Verlag erschienen ist. Namhafte Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen wie Thomas Piketty, Gesine Schwan, Andreas Reckwitz, Lisa Herzog, Joseph Stiglitz und Maja Göpel sprechen in vergleichsweise kurzen (jeder Band umfasst 60 bis 90 Seiten) Gesprächen über Themen wie Pandemie und Solidarität, Pandemie und Ungleichheit oder Pandemie und Klima. In seinem Gespräch über Pandemie und Gesellschaft blickt der Soziologe Heinz Bude auf die Europäische Union.
Für den aktuellen Solidaritätsbegriff, so Bude, sei wichtig, dass „wir jetzt ein Europa der Probleme haben“. Es gehe nun nicht mehr um gemeinsame Werte, gemeinsame Erinnerungen oder ein gemeinsames politisches Modell. Diese neue Gemeinsamkeit von Problemen sei eine gute Grundlage für solidarisches Handeln. „Europa kann sich jetzt neu bestimmen, über die Idee der gemeinsamen Probleme, die weit über die Probleme der Pandemiebekämpfung hinausgehen. Wie sieht ein intelligenter europäischer Protektionismus aus?“ Oder: „Wie können die Staaten zusammenarbeiten, ohne dass bestimmte Regionen vergessen werden?“ So wie bei Bude finden sich in allen der acht Bände zahlreiche anregende und kluge Gedanken zur momentanen Krise und zu Schlussfolgerungen für die Zukunft.
Viele wichtige Denkanstöße
Mit der Lage der Grundrechte in Zeiten der Pandemie beschäftigt sich Heribert Prantl. Der Journalist und Publizist warnt nicht erst seit der Corona-Krise vor einer Relativierung einzelner Artikel des Grundgesetzes. Dass in der Pandemie nun Grundrechte eingeschränkt wurden und werden „wie in Kriegszeiten“, ruft den Ultraliberalen auf den Plan. „Grundrechte sind kein Larifari“, schreibt er in einem seiner Texte, die allesamt bereits an anderer Stelle erschienen sind. Prantl gibt wie so oft wichtige Denkanstöße, manchmal allerdings wäre weniger Zuspitzung wünschenswert gewesen.
Ebenfalls um den Zustand der Demokratie in diesem pandemischen Ausnahmezustand geht es dem Politikwissenschaftler Matthias Lemke. Lemke beschäftigt sich fast ausschließlich mit der ersten Pandemiewelle zwischen März und September 2020. Dabei nimmt er unter anderem die Maßnahmen der Bundes- wie Landesregierung aus diesen ersten Monaten in den Blick. Über diese erste Phase der Pandemie hinaus schaut Lemke dann mit sieben Thesen. Eine heißt: „Jede Krisensituation – und damit: jeder Ausnahmezustand – eröffnet ein autoritäres Gelegenheitsfenster.“ Eine andere: „Die erfolgte Etablierung des Gesundheitsnotstandes muss durch einen Sozialnotstand ergänzt werden, um soziale Härten infolge der Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung angemessen auffangen zu können.“
Das wird nicht die letzte Katastrophe sein
Auch dieses Buch kann helfen, uns in dieser Ausnahmesituation, in der wir uns befinden, klar zu werden: klar darüber, welche richtigen und falschen Schritte bislang gegangen wurden, klar darüber, welche Einschränkungen und Opfer unsere Gesellschaft in einer Ausnahmesituation wie der momentanen hinzunehmen bereit ist; und klar darüber, wie wir mit künftigen Krisen dieser Art umgehen wollen. Denn es wird nicht die letzte einschneidende Katastrophe sein, vor der wir als Individuen, aber auch als (Welt-)Gesellschaft stehen. So viel steht leider fest.
Katja Gloger/Georg Mascolo: „Ausbruch. Innenansichten einer Pandemie“. Piper. 335 Seiten, 22 Euro.
Interviewserie „Rausgeblickt“ mit Gesprächen unter anderem mit Thomas Piketty, Gesine Schwan, Andreas Reckwitz, Lisa Herzog, Joseph Stiglitz und Maja Göpel. J. H. W. Dietz, ca. 60 bis 90 Seiten, jeweils 10 Euro.
Heribert Prantl: „Not und Gebot. Grundrechte in der Quarantäne“. C. H. Beck. 200 Seiten, 18 Euro.
Matthias Lemke: „Deutschland im Notstand. Politik und Recht während der Corona-Krise“. Campus. 258 Seiten, 26,95 Euro.