Die Monster in uns – so ist Stephen Kings neuer Roman „Das Institut“
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Kinder an die Macht: Stephen King versammelt in seinem neuen Roman „Das Institut“ eine Gruppe von Jugendlichen, die es mit ihren Folterknechten aufnimmt. Zwischen den Zeilen liest man Kritik am Amerika der Ära Trump.
© Quelle: dpa
„Monster gibt es wirklich und Geister auch“, hat Stephen King einmal gesagt. „Sie leben in uns und manchmal gewinnen sie.“ Solche Monster lässt der amerikanische Schriftsteller in seinem neuesten Roman „Das Institut“ auf seine Helden und Leser los. Keine Werwölfe und Vampire oder sonstiges übernatürliches Gelichter diesmal (wie noch zuletzt in seinem Roman „Der Outsider“), sondern unfassliche Menschen – Ärzte, Pfleger, Aufpasser, die in der titelgebenden Einrichtung Experimente mit Kindern dulden oder durchführen. Eines Morgens erwacht der zwölfjährige Luke Ellis aus Minneapolis in einem albtraumhaften Raum, der exakt wie sein Kinderzimmer aussieht – nur, dass er kein Fenster hat. Er befindet sich mit anderen Kindern und Jugendlichen im „Institut“, einem geheimen Ort in Maine, umgeben von Wäldern, weg von der „normalen“ Welt.
Telekinese – manchmal verrutschen in Lukes Gegenwart Pizzableche
Was der Leser, nicht aber Luke weiß: Bei seiner Entführung haben Agenten des „Instituts“ seine Eltern ermordet. Es gibt für den Jungen also keine Rückkehr in sein altes Leben mehr. Was Luke ahnt: dass in dem mysteriösen, streng abgeschotteten Hintergebäude des Komplexes, in das alle Insassen nach einer gewissen Zeitspanne verlegt werden, nicht nur das Geheimnis des „Instituts“, der Zweck seiner Anwesenheit wartet – sondern höchstwahrscheinlich auch der Tod.
Warum er von den Weißkitteln ausgewählt wurde? Weil in Lukes Gegenwart manchmal ohne Ursache leere Pizzableche verrutschen. Er kann (unkontrolliert) Dinge bewegen, ein schwach begabter Telekinetiker. Andere Kinder im „Institut“ können Gedanken lesen. Diese Kräfte werden verstärkt und gebündelt, weil man sie für unverzichtbare Menschheitsaufgaben benötigt. Von diesen Vorgängen, das wissen die Erben des Nazi-Doktors Josef Mengele, darf kein Sterbenswörtchen je nach draußen dringen. Und noch nie ist in den 70 Jahren der Existenz des „Instituts“ einem Kind die Flucht von hier gelungen. Dieser dauerhafte „Erfolg“ führt allerdings zu vielen kleinen Nachlässigkeiten im System. In dieser Entropie, der Folge von zu viel Selbstgewissheit, liegt die Chance für Luke.
Paranormal begabte Jugendliche sind keine Seltenheit in Kings Werk
Paranormal begabte jugendliche „Solisten“ gibt es schon einige im Werk des Meisters aus Maine: Die glücklose „Carrie“ etwa, deren telekinetische Kräfte am Ende endlosen Mobbings durch ihre Mitschüler geradezu explodieren. Der telepathische und präkognitive Danny, der sich am Ende von „Shining“ vor seinem wahnsinnigen Vater retten kann. Oder Jack Sawyer, der in „Der Talisman“ zwischen Paralleluniversen hin- und herspringt, um einen Weg zu finden, seine krebskranke Mutter zu retten. Und natürlich Charlie McGee aus „Feuerkind“, die Luke Ellis am nächsten steht – ein Mädchen, das durch reinen Willen Feuer entfachen kann, zur Not auch in der Garderobe der Regierungsagenten, die sie einfangen und als Versuchskaninchen an den „Shop“ ausliefern wollen.
Was die Leser, nicht aber die Institutsleute wissen: Luke ist das intelligenteste Kind, das je hierherverbracht wurde. Er setzt beim Schach seine Gegner in vier Zügen matt, er liest Romane der Weltliteratur wie andere Kinder Comics und wollte zum Zeitpunkt seiner Entführung als Zwölfjähriger Ingenieurwissenschaften und Englisch an zwei Colleges gleichzeitig studieren. Da er weder autistisch introvertiert ist noch emotional dysfunktional, sammelt er schnell Freunde und Verbündete im „Institut“. Es ist die Solidarität der Schwachen, die King hier beschwört. Kinder sind so stark, weil sie sich in schlimmsten Situationen einrichten. Derzeit zeigt uns das auch Kings „Club der Verlierer“ im zweiten Teil der „Es“-Verfilmung im Kino.
Für die Leute im „Institut“ heiligt der Zweck die Mittel
Was King in seinem neuen 770-Seiten-Wälzer beklagt, ist der Verlust an Mitgefühl in seinem Land, das sich einen Präsidenten leistet, der selbst mit Kindern keine Gnade kennt. Der sie an der Grenze zu Mexiko von ihren Eltern trennen lässt, während er in Sonntagsreden die Familie als wichtigstes Gut der Gesellschaft beschwört. Wie der empathiefreie Trump (den King im Buch von einer seiner liebenswertesten Figuren schon mal als „größenwahnsinnigen Armleuchter“ beschimpfen lässt), kennen auch die Mitarbeiter des „Instituts“ keinen Welpenschutz. Sie missbrauchen ein Kind auf schlimmste Art und schwärmen danach liebevoll gegenüber den Kollegen von den eigenen Söhnen und Töchtern. Sie rechtfertigen ihre Gewalt mit dem Gemeinwohl, setzen den Nutzen des zu erwartenden Ergebnisses ihres Treibens für Millionen und Abermillionen gegen die Hundertschaften dafür notwendiger „Testpersonen“. „Es tobt ein Krieg“, raunt die nicht allzu kriegsfeste Anstaltsleiterin Sigsby, die auch im Dritten Reich gut funktioniert hätte.
Der Krieg fällt am Ende seinen Beschwörern aufs Haupt. Weil es das gute Amerika eben doch noch gibt, den guten David, der dem größten Goliath furchtlos gegenübertritt. King schreibt seinen Hoffnungsroman rasant, schildert eine lebendige Welt voller Details und entwirft – wie üblich – glaubwürdiges Personal. Man kriegt das Buch kaum aus der Hand – auch wenn das fiebrige, manische Schreiben seiner frühen Tage verschwunden ist, frisst man die Seiten bis zu einem buchstäblich titanischen Showdown, in dessen Verklingen erst die wahre Dimension des „Institus“ offenbar wird.
Die Ungeheuer in „Das Institut“ benötigen keine spezielle Monsterbehandlung
„Monster gibt es wirklich und Geister auch“, sagt King. „Sie leben in uns.“ Das Gute an diesen Monstern, diese Bösen in ihrer ganzen Banalität: Sie stellen uns zwar die Nackenhärchen so steil, wie es Werwölfe und Vampire kaum vermögen. Aber ihre Gegner haben gute Chancen – sie brauchen keine Holzpflöcke oder Silberkugeln, um ihnen den Garaus zu machen.
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Stephen King: „Das Institut“. Heyne. 768 Seiten, 26 Euro (erscheint am 10. September).