Deep-Purple-Sänger Ian Gillan: “Wir Chorknaben waren keine Engel”

Legende des harten Rock: Ian Gillan geht es gut, von seiner Band Deep Purple erscheint am kommenden Freitag (7. August) ein neues Album.

Legende des harten Rock: Ian Gillan geht es gut, von seiner Band Deep Purple erscheint am kommenden Freitag (7. August) ein neues Album.

Eigentlich wollten Deep Purple ja mit dem letzten Album ihre glorreiche Karriere beenden. Doch plötzlich, so erzählt Sänger Ian Gillan im Interview, waren die Lebensgeister wieder frisch. Und so wollte es die Band, die in den Siebzigerjahren mit Alben wie “In Rock” und Songs wie “Smoke on the Water” oder “Highway Star” Rockgeschichte schrieb, noch einmal wissen.

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Ian Gillan, wie geht es Ihnen?

Ich kann mich nicht groß beklagen. Ich habe einen Garten, in dem ich mich ein bisschen beschäftige, und ich bin gesund und am Leben. Das reicht mir für den Moment.

In “Throw My Bones”, dem ersten Stück Ihres neuen Albums “Whoosh!”, singen Sie “I don’t know what lies ahead”, also: Ich weiß nicht, was vor mir liegt. Sie sind 75, Deep Purple existiert seit 1968. Was liegt vor Ihnen?

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Tja, mein Freund, das bedeutet, dass auch ich keine Glaskugel habe. (lacht) Ich kann nicht in die Zukunft schauen.

Würden Sie das gern können?

Wenn du weißt, was passiert, dann wird es nicht mehr passieren. Eben weil du dann den Verlauf der Geschichte ändern würdest. Das ist das grundlegende Problem mit Zeitmaschinen – alles ändert sich fundamental, sobald du nur an ein paar Schräubchen drehst. Ich bin fasziniert von der Besessenheit der Menschen, die Zukunft kennen zu wollen. Ohne diesen Drang wären sämtliche Religionen auf dieser Welt niemals so erfolgreich geworden. Früher warfen die Schamanen Tierknochen, und je nachdem, wo diese landeten, sagten sie irgendwelche Ereignisse voraus. Später malten sie die Knochen an, und mit der Zeit entwickelten sich daraus Würfelspiele.

Also, wenn Sie jetzt Knochen werfen, …

… kann ich sagen, dass in diesem Jahr keine Tournee von Deep Purple mehr stattfinden wird. Aber sobald man uns wieder auf die Bühne lässt, werden wir explodieren. (lacht)

Nach dem 2017 erschienenen Album “Infinite” und der Welttournee meinten einige Beobachter, die Band würde kein weiteres Studioalbum mehr aufnehmen. Was hat dazu geführt, dass es nun doch eines gibt?

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Wenn du jung bist und in deiner körperlichen Glanzzeit, dann rechnest du fest mit guter Gesundheit. Zumindest gehst du nicht davon aus, dass deine Gesundheit ernsthafte Probleme machen könnte. Wenn du älter wirst, ändert sich diese Einstellung. Besser gesagt: Sie wird dir aufgezwungen, denn du erfährst am eigenen Leib oder an dir nahestehenden Personen, dass das Leben nicht ewig währt. Bei uns liefen die Dinge gesundheitlich vor etwa drei Jahren nicht besonders gut, die Alterskrankheiten rückten uns stark auf die Pelle.

Und jetzt?

Inzwischen geht es uns allen wieder besser, die Energie kam nach und nach zurück. Alles bei uns ist eine Frage der Energie. Wenn sie schwindet, werden wir darauf reagieren. Niemand will nur 50 Prozent sehen oder hören von dem, was wir eigentlich können. Bei Deep Purple ist es zum Glück bis zu einem gewissen Punkt so, dass wir unsere Batterien aneinander aufladen. Wir heizen uns gegenseitig an. Bei uns stimmt das Klischee, dass die Summe größer ist als ihre einzelnen Teile.

Zum dritten Mal in Folge ist Bob Ezrin ihr Produzent. Was sind seine besonderen Qualitäten?

Er ist unser Navigator, räumt die Felsbrocken aus dem Weg und sorgt dafür, dass wir konzentriert sind. Er sagt uns vor jedem Album: “Jungs, ich will keine Songs hören, ich will Musik.” Wir begreifen uns in erster Linie ja als eine Instrumentalband und atmen dann immer tief ein und denken “cool”. An manchen Tagen passiert bei uns überhaupt nichts, doch an anderen Tagen spielen wir sechs Stunden am Stück und geraten in einen richtigen Rock-‘n’-Roll-Rausch.

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So wie in “Man Alive”, das mit einem minutenlangen Intro eingeleitet wird?

Genau. Bob hat uns ein gutes Stück der Spielfreude von damals zurückgegeben, als wir einfach nur zusammen Musik machten. In den späten Sechzigern rebellierten wir gegen die Erwartungen einer Musikindustrie, die dich auch vor 50 Jahren schon am liebsten in Schubladen stecken wollte. Aber Definitionen wie Hardrock, Classic Rock oder Rock ‘n’ Roll repräsentierten uns nie, sondern waren eher Mühlsteine um unsere Hälse. Wir haben damals schon alle Regeln gebrochen. Wir waren Rebellen, die Funk, Rock, Soul, Country und Klassik genommen und auf ganz eigene Weise interpretiert haben. Und heute gibt es erst recht keine Regeln mehr für uns. Wir machen Musik, weil wir es lieben. Wenn die Energie da ist, dann fliegen die Funken nur so. Es passieren spontane, kraftvolle Ausbrüche, in diesen Momenten sind wir eine Atommacht. (lacht)

Apropos: Wovon singen Sie in “Drop the Weapon”? Einerseits scheint es ein Anti-Waffen-Song zu sein, andererseits schimpfen Sie über Hippies.

Flowerpower war eine fantastische Idee, aber leider nur in der Theorie. In einer Gesellschaft, in der jeder ausschließlich Liebe und Frieden im Herzen trägt, bräuchte man tatsächlich keine Waffen. Nur sind eben nicht alle Menschen ausschließlich rein und gut. Ich höre mit Schrecken von all diesen jungen Menschen, die auf den Straßen Londons, aber auch anderswo, durch Messergewalt sterben. Da geht es dann um Bandenkriminalität, um Drogen, um irgendwelche Reviere. Jemand sollte einen Arm um diese Kids legen und sagen: “Nimm die Waffe erst gar nicht in die Hand.”

Wer sollte das sein?

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Neben den Eltern vor allem die Schulen, die Lehrer. Öffentliche Schulen können so einiges von Privatschulen lernen, sie müssten es nur wollen. Es ist nicht gut für die Jugendlichen, wenn alles dem kleinsten gemeinsamen Nenner untergeordnet wird und selbst im Sport keinerlei Wettbewerb mehr stattfinden. Dieses “Lasst uns alle gemeinsam über die Ziellinie laufen und dabei an der Hand fassen”, puh, das ist doch kein Sport. Wenn alles verächtlich gemacht wird, das irgendwas mit dem bösen Wort Elite zu tun hat, dann suchen sich manche Teenager andere Möglichkeiten, um sich zu beweisen und ihr Konkurrenzdenken auszuleben.

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Das ist aber eine gewagte These.

Mag sein. Das Thema ist sensibel und schwierig. Ich würde ja auch vorschlagen, dass Kindern das Schachspiel beigebracht werden sollte. Das ist wertvoll, fürs ganze Leben. Du lernst, ein, zwei Schritte vorauszudenken, wirst rationaler und abgeklärter. Das ist in jeder Auseinandersetzung ein riesiger Nutzen.

Sind Sie ein guter Schachspieler?

Ich war im Schachklub in der Schule, bin aber nur durchschnittlich begabt. Ich liebe das Spiel, es ist toll für deinen Geist. Ich finde, niemand sollte für ein politisches Amt kandidieren, bevor er nicht die Mitgliedschaft in einem Schachverein nachgewiesen hat. Manche dieser Idioten, die derzeit an der Macht sind, können rein gar nichts antizipieren und versagen auch deshalb ständig aufs Neue.

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In “No Need to Shout” greifen Sie den Typus des klassischen Machtpolitikers an. Geht es um Donald Trump?

Nein, es ist eher eine ironische Attacke auf so gut wie alle Menschen mit politischer Macht, mit denen wir uns aktuell herumquälen müssen, insbesondere hier in Großbritannien. Früher waren links und rechts Standpunkte, aus denen sich oft spannende Diskussionen entwickelten. Mal neigte man der einen Position zu, mal der anderen. Heute ist Politik vollkommen ideologisch geworden. So kommt es nicht zu Kompromissen, sondern zu unüberbrückbaren Differenzen.

Sie haben sich bei der Abstimmung 2016 für den Brexit ausgesprochen. Würden Sie heute anders entscheiden?

Ich denke nicht. Das Problem war und ist für mich die europäische Regierung in Brüssel. Ich fühle mich von diesen Politikern nicht repräsentiert. Viele Briten hatten und haben das Gefühl, Brüssel wolle ihnen die Luft abschneiden und sie bevormunden. Leider ist das politische Ringen um den Brexit längst zu einer Farce geworden, angeheizt von den Medien, die in beide Richtungen Stimmungsmache betreiben. Weder ich noch irgendjemand meiner Freunde hegt eine Antipathie gegenüber den Europäern, im Gegenteil: Ich liebe Europa. In meiner Jugend bin ich durch Deutschland gereist, 20 Jahre nach dem Ende des Krieges; es war toll, mit den Kids in Kontakt zu treten. Mit manchen Deutschen bin ich seit mehr als 50 Jahren eng befreundet. Nein, es ist jetzt für uns alle an der Zeit, das Porzellan, das durch den Brexit zerschlagen wurde, wieder zusammenzukleben.

Warum haben Sie diese Reisen als Teenager unternommen?

Neugier. Ich war immer schon fasziniert vom Reisen. Als Kind bin ich stundenlang mit dem Fahrrad durch die Gegend gegurkt, ich haute morgens ab und kam abends irgendwann wieder nach Hause, total ausgedörrt. Und so ging es eigentlich immer weiter, bis heute. Wir haben zum Beispiel ein Haus in Portugal, weil ich die Kultur und die Menschen so fantastisch finde, und unsere bislang letzte große Reise ging über Weihnachten nach Sambia.

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Was haben Sie dort gemacht?

Ich war mit meiner Familie an den Victoriafällen. Wir hatten eine wundervolle Zeit mit tollem Essen und tollen Leuten. Auch unmittelbar vor Corona war ich noch unterwegs, dieses Mal mit meiner Band. Wir spielten am 14. März unser letztes Konzert bei einem Festival in Mexiko. Wir kamen dann gerade noch rechtzeitig nach Hause, bevor alles geschlossen wurde.

Sie sind seit mehr als 50 Jahren Sänger von Deep Purple. Wie blicken Sie auf Ihre Karriere?

Mit Demut. Ich habe einen ziemlich netten Job, oder? Vielleicht ist es sogar der beste Job der Welt. Yeah, was soll ich groß darum herumreden? Ich bin ein glücklicher Mann. Aber ich habe mich auch nie gescheut, hart für dieses Glück zu arbeiten. Vieles von dem, wofür ich sehr dankbar bin, ist nicht vom Himmel gefallen.

Was meinen Sie konkret?

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Als wir Kinder waren, wussten wir, dass wir etwas lernen mussten, damit aus uns etwas wird. Bevor ich bei Deep Purple anfing, war ich zusammen mit Roger Glover in der Band Episode Six, und wir verbrachten endlose Stunden und Tage damit, unser Handwerk zu lernen, die Kunst des Songschreibens, Spielens und Textens. Wir haben wirklich mit den Grundlagen angefangen.

Wer ist überhaupt zuerst auf Ihre Stimme aufmerksam geworden?

Ich wuchs mit Musik auf, sie war immer ein großartiger und verlässlicher Freund von mir. Mein Opa sang Oper, meine Oma war Ballettlehrerin, mein Onkel ein Jazzpianist. Ich habe immer gern gesungen, und als Junge ging ich in den Kirchenchor. Wenig später hörte ich zum ersten Mal “Heartbreak Hotel” von Elvis Presley – und hatte das Gefühl, dass sich mein Leben änderte.

Jungs, die im Knabenchor singen, stellt man sich als höfliche und gut frisierte Kinder vor. Waren Sie ein braver Typ?

Nein, ich war eher ein frecher Junge. Wir Chorknaben waren weit davon entfernt, kleine Engel zu sein, auch, wenn wir so aussahen. Musikalisch hat mich die Zeit im Kirchenchor sehr geprägt. Ich bekomme immer noch feuchte Augen, wenn ich Chorgesang höre. Überhaupt gilt meine Liebe seit jeher den verschiedensten Formen von Musik. Allein, aus welch unterschiedlichen Charakteren Deep Purple geformt wurden, spricht doch für sich: Wir hatten die orchestralen Einflüsse und die Hammondorgel von Jon Lord, Ritchie Blackmore mit seinem unvergleichlichen Gitarrenstil, den von Big Bands und Swing beeinflussten Ian Paice, den Hippie und Kunststudenten Roger Glover, der alles an Folkmusic liebte und Bob Dylan vergötterte, na ja, und dann mich.

Roger Glover lebt in der Schweiz. Sehen Sie sich zwischendurch auch mal?

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Wir sind immer noch sehr enge Freunde, aber normalerweise decken wir unseren Bedarf an persönlichem Kontakt, wenn wir mit Deep Purple zusammen sind. Wenn wir unsere musikalische Familie verlassen, gehen wir heim zu unseren tatsächlichen Familien. Wir sind per E-Mail in Kontakt, aber nein, sehen muss ich ihn nicht ständig. (lacht)


Geboren wurde Ian Gillan 1945 südwestlich von London; heute lebt der Sänger abwechselnd an der englischen Südküste und in Portugal. Professionell Musik macht er bereits seit den frühen Sechzigerjahren, spielte damals in verschiedenen Bands. 1965 lernte Gillan den gleichaltrigen Bassisten Roger Glover kennen, mit dem er noch heute befreundet ist. 1969 stieg Gillan bei Deep Purple ein – und das sind im Jahr 2020: Gillan, Glover, Ian Paice, Steve Morse und Don Airey. Die britische Rockband, selbstredend längst eine Legende, ist weltberühmt durch Songs wie “Hush”, “Child in Time”, “Strange Kind of Woman” und natürlich “Smoke on the Water”. Noch immer – derzeit allerdings durch die Corona-Pandemie gestoppt – geben die ergrauten Männer Konzerte. Gillan hat im Laufe seiner langen Karriere immer mal wieder bei anderen (Band-)Projekten gesungen, war kurz bei Black Sabbath engagiert und trat zwischendurch solo auf.

Am 7. August erscheint Deep Purples 21. Studioalbum. Es ist “Whoosh!” betitelt.


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