Daniel Brühl über sein Regiedebüt: „Mein Beruf gibt einfach eine herrliche Angriffsfläche“

„Das ist ja keine Version von Daniel Brühl, die wir in meinem Film sehen“: Schauspieler Daniel Brühl.

„Das ist ja keine Version von Daniel Brühl, die wir in meinem Film sehen“: Schauspieler Daniel Brühl.

Sechs Millionen Zuschauer lernten Daniel Brühl 2003 kennen: Da spielte er im Kinofilm „Good Bye, Lenin!“ den überfürsorglichen Sohn Alex, der seiner Sozialistenmutter trickreich vorgaukelt, die DDR sei gar nicht untergegangen. Für Brühl, 1978 in Barcelona geboren und auch der Sprachen Katalanisch, Spanisch, Englisch, Französisch und Italienisch mächtig, war das nur der erste Schritt einer internationalen Karriere. Er glänzte im spanischen Drama „Salvador – Kampf um die Freiheit“ (2006) in der Titelrolle, spielte in Quentin Tarantinos „Inglourious Basterds“ (2009) einen deutschen Kriegshelden, gab in dem Formel-1-Drama „Rush – Alles für den Sieg“ (2013) einen unvergesslichen Niki Lauda. Inzwischen tummelt er sich auch im Superheldengenre („The Falcon and the Winter Soldier“).

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Nun wagt Brühl einen neuen Schritt: Mit „Nebenan“ (Kinostart: 15. Juli) begibt er sich unter die Regisseure. In dem schwarzhumorigen Film zettelt er ein Psychokneipenduell zwischen einem sogenannten Wendeverlierer und einem eitlen Filmstar namens Daniel an – und den spielt er gleich selbst.

Herr Brühl, in Ihrem Regiedebüt „Nebenan“ spielen Sie einen Kinostar, der Daniel heißt, am Prenzlauer Berg in Berlin wohnt und – nun ja – ein eitler Fatzke ist. Lassen Sie uns doch schnell mal einen Abgleich mit der Wirklichkeit vornehmen. Wie viele 20-Euro-Scheine haben Sie heute schon großzügig an dienstbare Geister wie Taxifahrer oder Kneipenbedienungen verteilt?

So, wie es der Daniel im Film tut? Gar keinen Schein! Das ist ja das Angenehme am Schauspielerleben. Heute Morgen bin ich ohne einen einzigen Cent aus meiner Wohnung zu meinen Interviewterminen losgefahren. Man kümmert sich ja hier bestens um mich. In meinem Film allerdings hat sich die Sache mit den 20-Euro-Scheinen zu einem Running Gag entwickelt. Erst im Schneideraum habe ich mal nachgezählt, mit wie viel Geld der Film-Daniel an diesem Tag um sich geworfen hat.

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Und?

Es waren mehr als 200 Euro. Das war eine teure Angelegenheit für den Armen, gemessen an dem, was er in seiner heruntergekommenen Stammkneipe aufgetischt bekommt – eine furchtbare Sülze mit fetter Remoulade, schlechten Kaffee, ein Bier und Mineralwasser.

Und wie oft zieht Daniel Brühl mit Rollköfferchen durch den Prenzlauer Berg, stets bereit, um fürs nächste Fan-Selfie in die Kamera zu lächeln?

Also vor der Pandemie bin ich durchaus öfter mit einem Rollköfferchen aufgebrochen, um zu einem Casting oder einem Dreh zu fliegen. Aber bevor jetzt hier Missverständnisse auftauchen: Das ist ja keine Version von Daniel Brühl, die wir im Film „Nebenan“ sehen, auch wenn die Figur Daniel heißt – den Nachnamen haben wir übrigens ganz bewusst weggelassen.

Wer ist es dann, den wir da sehen, wie er in einer Art Kneipenduell von einem scheinbar allwissenden Nachbarn vorgeführt wird?

Ich wollte von Anfang an klarmachen: Dieser Daniel ist eine überzeichnete Filmfigur. Das bin nicht ich. Ich spiele lediglich mit einigen persönlichen Erfahrungen. Und das schließt sogar die Filme ein, die dieser Gegenüber namens Bruno – Typ Wendeverlierer – mit Genuss seziert. Die habe ich ja alle tatsächlich gedreht.

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Wo liegen die Anfänge für dieses ungewöhnliche Projekt?

Für Bruno gibt es tatsächlich einen Aufhänger in der Realität, allerdings in Spanien: Ich saß mal in Barcelona in einem Restaurant und bin dort einem Typen begegnet, von dem ich sicher wusste, dass er mich nicht mochte. Er hielt mich für gockelig, für einen überheblichen Typen, der sich mit seiner Umgebung gemeinmachen möchte.

Und dann …

… habe ich das mit dem Thema Gentrifizierung in Verbindung gebracht: Ich stellte mir vor, das sei ein Gerüstbauer, der durch seinen Job Einblicke in meine Wohnung hat. Der Mann weiß unglaublich viele Dinge über mich, von denen ich keinesfalls möchte, dass sie jemand anders weiß. Die Idee habe ich dann nach Berlin verlegt – hier ein Prominenter, der sich für unverwundbar hält, dort ein Ostler, der sich um sein Leben betrogen fühlt und sich nun rächt.

Im fertigen Film gibt es keinen Gerüstbauer: Wo ist der abgeblieben?

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Mein Drehbuchautor Daniel Kehlmann hatte die viel bessere Idee von einem Nachbarn, der nicht nur die Wohnung des Prominenten im Visier hat, sondern auch beruflich Daten des anderen ausspähen kann. Der Prominente hätte aber nicht unbedingt Schauspieler sein müssen – ein Architekt, Designer oder Politiker wären genauso eine Option gewesen. Für einen Filmmenschen habe ich mich entschieden, weil ich in meinem Regiedebüt etwas über eine Welt erzählen wollte, in der ich mich auskenne. Das Ganze sollte ja glaubwürdig sein und mir beim Drehen einen gewissen Halt geben.

Glauben Sie, dass die Zuschauer so genau zwischen dem echten Daniel Brühl und der Filmfigur Daniel zu unterscheiden wissen?

Das bleibt jedem selbst überlassen. Genau darin liegt ja der Witz. Damit spielt der Film. Deshalb möchte ich es auch vermeiden, allzu persönliche Fragen zu „Nebenan“ zu beantworten – obwohl ich ja gebürtiger Kölner und deshalb immer wieder bereit bin, Privates preiszugeben.

Ja, Privates wäre doch wirklich aufschlussreich.

Was wahr ist, was nicht, werde ich keinesfalls auflösen. Das wäre dann ja furchtbar langweilig. Versichern kann ich Ihnen aber: Da ist vieles frei erdichtet. Ich verarbeite in dem Film nicht mein vermeintlich irrsinnig spannendes Leben. Mein Beruf gibt einfach eine herrliche Angriffsfläche für jemanden wie diesen Bruno, den Peter Kurth so wunderbar spielt.

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Was macht die Existenz eines Prominenten denn heute aus?

Mir schwebte da eine Art Leben vor, in dem man unter ständiger Beobachtung steht. Wie viel weiß man über einen Prominenten? Wie fühlt sich das an, wenn man hinter dessen vermeintlich perfekte Fassade blicken kann? Für Bruno geht es ja nicht nur um Kritik am beruflichen Tun Daniels und dessen vermeintlich überschaubares Talent – Bruno nutzt Daniels Privatleben als Waffe gegen ihn. Und dann wird es für Daniel immer unangenehmer, es geht in immer tiefere Dimensionen. Wie ein Kartenhaus bricht Daniels Leben an diesem einen Tag in der Berliner Eckkneipe zusammen. Eben noch hält er sich für den Tollsten, und schon wird er wie eine Zwiebel Schicht für Schicht auseinandergenommen. Seine Karriere zerbricht. Er wird regelrecht erniedrigt.

Macht es denn wirklich gar keinen Spaß, ein Star zu sein?

Jedenfalls wird die Art der öffentlichen Kontrolle immer massiver. Heutzutage ist es leicht, Dinge über jemanden anderen in Erfahrung zu bringen. Da werden Konten gehackt oder alte Textnachrichten durchforstet. Ein falscher Kommentar in sozialen Netzwerken reicht, und ein Sturm bricht los. Bitte nicht falsch verstehen: Den Preis zahle ich gern für einen Beruf, der mich immer noch beseelt. Ich lasse mich auch gern für ein Selfie fotografieren. Und tun wir doch nicht so, als würde nicht die Eitelkeit eines jeden Schauspielers gebauchpinselt, wenn die Leute ihn auf der Straße erkennen und toll finden. Kollegen, die sich dauernd darüber beschweren, wie oft sie unterwegs angehalten werden, glaube ich bestenfalls nur bedingt.

Wo ist dann das Problem?

Es darf nur nicht ganz und gar distanzlos werden. Und ich lasse mich auch nicht mit meinen Kindern filmen. Die beiden möchte ich tunlichst aus der Öffentlichkeit heraushalten. Man wird da dünnhäutig.

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Jetzt doch schnell mal eine private Frage: Leben Sie auch in einer so schicken Wohnung wie Ihre Filmfigur?

Na ja, ich wohne schon in so einer Hinterhaussituation am Prenzlauer Berg. Die ist vielleicht nicht ganz so schick wie im Film, aber wirklich schön. Da bin ich ehrlich. Einen Fahrstuhl haben wir übrigens auch. In dem Haus wohnen viele unterschiedliche Parteien nebeneinander und übereinander. Es gibt mindestens noch drei ostdeutsche Familien. Das ist auch ein Grund, warum der Film in Berlin spielt. In London oder New York hätte man ihn gar nicht drehen können: Die Städte sind durchgentrifiziert. Mal sehen, wie sich das in zehn Jahren am Prenzlauer Berg entwickelt.

Apropos, wie verstehen Sie sich mit Ihren Nachbarn?

Ich denke, Sie mögen mich. Hoffe ich jedenfalls. Bislang hat sich auch kein mir nachspionierender Bruno gemeldet – und den finden Sie da auch garantiert nicht. Ich will den Film meinen Nachbarn auf jeden Fall vorführen. Mal sehen, was sie dazu sagen. Erstaunlich finde ich es aber, dass ich mich nach all der Zeit in Berlin immer noch ein bisschen als Kölner fühle.

Wie kommt das?

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Seitdem ich von dort weggezogen bin, egal ob nach Barcelona oder nach Berlin: Ich habe mich immer als einen von außen gesehen – und damit als Teil dieses Gentrifizierungsprozesses, allerdings mit der Überzeugung, nicht schuld daran zu sein. Dieses Unwohlfühlen begleitet mich bis heute.

Wie lange leben Sie schon in Berlin?

Mehr als 20 Jahre – und durchweg am Prenzlauer Berg. Ich bin dreimal umgezogen, habe es aber nie weiter als 200 Meter geschafft. Man könnte mit einer gewissen Berechtigung also auch sagen, ich bin von da. Und trotzdem gibt es immer noch eine gefühlte Fremdheit.

Ob das mit unserer globalen Unbehaustheit zu tun hat?

Herkunft ist jedenfalls ein großes Thema dieses Films, er spielt damit auch ins Politische und Soziale. Gerade deshalb war es mir wichtig, durchweg eine komödiantische Note zu setzen. Ich wollte weder eine zehnstündige Doku noch ein bitteres Drama drehen.

Sind Sie während des Filmdrehs mal nachts aufgewacht und haben sich vor Ihrer eigenen Courage gefürchtet?

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Überhaupt nicht. Ich habe Daniel Kehlmann immer gesagt: Je böser und schmerzhafter du das Ganze schreibst, desto besser. Er war überrascht davon, wie weit ich in dem Film gehen will. Mir war klar, welcher Gefahr ich mich damit aussetze. Es stimmt ja auch, dass man sich der Privilegien manchmal gar nicht mehr bewusst ist, die man täglich genießt. Sogar das T-Shirt, das ich hier trage, ist mir für heute zur Verfügung gestellt worden. Ich muss mich um rein gar nichts kümmern.

Erfüllt der Film womöglich auch eine Therapiefunktion für den echten Daniel Brühl, so nach dem Motto: Wie eitel bin ich denn nun wirklich?

Nee, ich betrachte die Figur von außen. Allerdings: Vermutlich hätte wohl beinahe jeder Mensch eine Therapie nötig. Bloß hätte sie der Film-Daniel noch dringender nötig als ich. Ich habe aber nie befürchtet, mit diesem Projekt in eine Form der privaten Vergangenheitsbewältigung zu rutschen.

Ist das im wirklichen Leben so wie in „Nebenan“ gezeigt, wenn Sie in einem Marvel-Superheldenfilm spielen: Kriegen Sie wirklich nur die Textseiten zu Gesicht, die Ihre eigenen Zeilen enthalten – und keine weiteren?

Ich hoffe mal, dass sich die Marvel-Leute in Hollywood nicht auf den Schlips getreten fühlen – glaube ich aber auch nicht. Die haben Humor, und von denen bin ich immer respektvoll behandelt worden. Aber ich bin schon beim Vorsprechen auf Situationen gestoßen, in denen ich gar nicht recht wusste, wo ich da überhaupt mitmachen soll. Die Drehbücher waren so geheim, dass nur Teile davon rausgerückt wurden.

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Wie hat sich Ihre Arbeit als Regisseur von Ihrer bisherigen schauspielerischen unterschieden?

Das Regieführen rumort viel stärker in einem. Ich bin in diesem Fall ja voll und ganz verantwortlich für das, was ich abliefere. Ich kann niemandem die Schuld geben, wenn es nicht gefällt. Man ist also feinfühliger, aufgeregter. Für mich ist das eine ganz neue Erfahrung.

Begeben Sie sich also lieber erst mal wieder zurück auf die andere Seite der Kamera?

Das Ganze war anstrengend, aber auch außerordentlich befriedigend – und ein ungeheurer Lernprozess vom Schreiben bis zur Tonmischung im Studio. Tatsächlich tüfteln Daniel Kehlmann und ich schon wieder an einem neuen Projekt. Aber keine Angst: Das hat mit mir persönlich dann nicht mehr so viel zu tun.

Haben Sie in langen Corona-Monaten auch mal gezweifelt, ob Ihr Film es je auf die Leinwand schaffen würde?

Ich habe mich unendlich gefreut, endlich die Premiere von „Nebenan“ mit einem Publikum aus Fleisch und Blut zu erleben. Und die hat nun bei der Sommer-Berlinale unter freiem Himmel stattgefunden – und das auch noch just an meinem 43. Geburtstag!

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