„Colette“ – Eine Frau schreibt sich frei

Kein artiges Püppchen: Sidonie-Gabrielle Colette (Keira Knightley) lässt sich von Willy (Dominic West) nicht unterdrücken.

Kein artiges Püppchen: Sidonie-Gabrielle Colette (Keira Knightley) lässt sich von Willy (Dominic West) nicht unterdrücken.

Hannover. Wieso hat das bloß so lange gedauert? Wieso hat nicht schon längst jemand die Geschichte dieses Mädchens vom Lande verfilmt, das in Paris alle patriarchalischen Zwänge abschüttelt, sich zur literarischen Sensation und auch zur selbstbestimmt lebenden Frau entwickelt?

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Colette – Wash Westmoreland zeigt ein überreiches Frauenleben

Jetzt ist der Film über die französische Schriftstellerin, Varietékünstlerin und Journalistin Sidonie-Gabrielle Claudine Colette (1873–1954) – kurz: Colette – jedenfalls da. Ein überreiches Leben bringt der Brite Wash Westmoreland (bekannt durch das sensible Alzheimer-Drama „Still Alice“ mit Julianne Moore) auf die Leinwand. Von Anfang an nimmt der Regisseur ordentlich Tempo auf in seinem Historiendrama, das eine zeitlose Frische atmet.

Colettes Eltern rätseln im idyllischen Dorf Saint-Sauveur-en-Puisaye darüber, wie sie Colette (Keira Knightley) mit dem offensichtlich an ihrer Tochter interessierten Pariser Salonlöwen Willy (Dominic West) verkuppeln sollen. In einer Jane-Austen-Verfilmung würde wenig später wohl der Aufschrei der jugendlichen Heldin folgen, die sich verzweifelt dagegen sträubt, dem deutlich Älteren zugeführt zu werden.

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Aber hier? Hier liegt Colette schon längst mit Willy im Heu und drückt sexuell aufs Tempo, als ihre Eltern noch unschlüssig debattieren. Der Draufgänger Willy scheint sie wirklich zu lieben: Sein Erbe lässt er sausen für die Heirat mit Colette.

Das Liebesglück von Colette ist schnell vorbei

Jedoch verblasst das Liebesglück genauso schnell, wie es begonnen hat. Der Film „Colette“ ist kaum eine halbe Stunde alt, da steht die wutentbrannte Titelheldin vor ihrem fremdgehenden Gatten und fordert: „Von nun an bin ich kein Weibchen mehr am Herd, sondern will an allem teilhaben.“

Damit meint sie durchaus auch sexuelle Freiheiten, wie sie sich ihr Ehemann ganz selbstverständlich bei jeder sich bietenden Gelegenheit herausnimmt – und dann vorübergehend auch ihr zubilligt, bevor sein männliches Ego wieder die Oberhand gewinnt.

Colettes Teilhabe nimmt unerwartete Formen an: Der ständig verschuldete Willy braucht dringend Nachschub für den Pariser Literaturmarkt. Er betreibt eine Art Textfabrik, andere schreiben unter seinem Namen Rezensionen, Betrachtungen, Gedichte. Aber das reicht nicht. Aus einer Laune heraus fordert er seine Frau auf, ihr schriftstellerisches Talent zu erproben. Colette beginnt, von den Erfahrungen einer gewissen Claudine zu erzählen – die, nicht wirklich überraschend, Colettes Erlebnissen ähneln.

Colettes Bücher erscheinen unter dem Namen ihres Mannes

Die freizügigen Geschichten schlagen im lesehungrigen Paris ein wie eine Bombe. So feinfühlig wie Colette schreibt sonst niemand über Frauen. Das einzige Problem: Die Bestseller erscheinen unter dem Namen ihres Mannes. Die Bücher machen Willy zum Star. Colette, glaubwürdig gezeichnet als Kind ihrer Zeit, akzeptiert diese Bedingung zunächst.

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Doch dann schreitet die Befreiung Colettes voran, und sie tritt aus dem Schatten ihres Mannes heraus. Die Entwicklung verläuft ein bisschen zu glatt: Colettes Emanzipation in diesem Film ist ungefähr so unaufhaltsam wie eine Dampflok, die in die Zukunft stampft. Colettes Weg scheint genauso vorgezeichnet wie der technische Fortschritt – nebenbei werden wir Zeuge von der Erfindung des elektrischen Lichts und der Schreibmaschine.

Kluge Sätze wie aus einem Lehrbuch für die Erstarkung weiblichen Selbstbewusstseins begleiten Colettes Weg: „Du solltest dich nicht der Ehe anpassen, die Ehe sollte sich dir anpassen“, heißt es zum Beispiel beim Gemüseputzen. Und ihre zukünftige Geliebte Missy (Denise Gough) sagt ihr schon beim Kennenlernen: „Sie haben allen jungen Mädchen eine Stimme gegeben.“

Colette lässt sich vom Gatten nichts verbieten

Erfrischend ist das Spiel von Keira Knightley. Beschwingt räumt ihre Colette alle Zwänge aus dem Weg und lernt im Umgang mit ihrem unzuverlässigen Gatten schnell dazu: „Ich kann dich lesen wie die erste Zeile eines Sehtests“, sagt sie ihm gelassen auf den Kopf zu. Diese Colette hat die Sympathien von Frauen und Männern auf ihrer Seite. Ob lesbische Beziehung oder Bühnenskandal: Mit allen Schwierigkeiten weiß die lebenshungrige Pariserin umzugehen, ohne dabei zu verbittern.

Ob das Leben der echten Colette wirklich so geradlinig verlief wie hier ausgemalt? Ihr Leben war jedenfalls noch viel bewegter, als es der Regisseur hier zeichnet. Colette arbeitete im Ersten Weltkrieg als Krankenschwester im Lazarett bei Verdun, reiste als Reporterin, befreite in der NS-Zeit ihren (deutlich jüngeren) jüdischen Ehemann aus den Fängen des französischen Vichy-Regimes. Zwischendurch hatte sie auch einmal eine Affäre mit ihrem Stiefsohn. Als erster Französin überhaupt wurde ihr die Ehre eines Staatsbegräbnisses zuteil.

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Ziemlich am Ende dieses munteren Films sehen wir die Rückenansicht Willys: „Ich verbiete es Dir“, ruft er seiner Ex-Frau wütend hinterher. Aber da ist Colette schon durch die Tür entschwunden in ihr neues Leben.

Von Stefan Stosch / RND

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