Berlinale-Chefin: „Wir wollten das Festival nicht sang- und klanglos absagen“
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Mariette Rissenbeek, die Geschäftsführerin der Berlinale.
© Quelle: picture alliance/dpa
Berlin. Berlinale-Geschäftsführerin Mariette Rissenbeek muss 2021 umplanen: Die Filmfestspiele in Berlin werden nicht wie geplant im Februar stattfinden. Stattdessen soll es im März einen digitalen Branchentreff geben, im Juni sind dann Filmvorführungen fürs Publikum geplant. Im Interview mit dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) blickt die 64-Jährige auf ihre Berlinale-Premiere zurück, spricht über die Herausforderung, ein Festival während einer Pandemie zu organisieren, und erklärt, warum Kinos ihrer Meinung nach eine Zukunft haben.
Frau Rissenbeek, blicken Sie doch mal kurz zurück: Im Februar 2020 haben Carlo Chatrian und Sie Ihre erste Berlinale geleitet. Welches war Ihr schönster Festivalmoment?
Es ist schwer, da nur einen rauszupicken. Ich nenne mal zwei: Zu den schönsten gehörte es sicher, Johnny Depp auf dem roten Teppich zu begrüßen und Helen Mirren den Goldenen Ehrenbären in die Hand zu drücken.
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Mariette Rissenbeek bei der Verleihung des Goldenen Ehrenbären an Hellen Mirren.
© Quelle: Britta Pedersen/dpa-Zentralbild/
Auf welchen Augenblick hatten Sie sich besonders im Februar 2021 gefreut?
Ich hätte mich darauf gefreut, überhaupt auf einem roten Teppich stehen zu können. Vorigen Februar gab es das Virus zwar schon, wir hatten auch Hygienemaßnahmen ergriffen, aber dass ein roter Teppich mal ein Infektionsrisiko sein würde, daran war noch nicht zu denken. Nun müssen wir uns leider schon einige Monate mit dieser Vorstellung herumschlagen.
Was sind die Folgen für 2021?
Wir haben nach Alternativen zum Februartermin gesucht. Wir wollten den Zuschauern unbedingt ein Filmerlebnis bieten und den Kinoschaffenden gegenüber unsere Verantwortung erfüllen. Sie haben ihre Filme ja schon seit September 2020 bei uns eingereicht in der Hoffnung, dass diese das Licht der Welt erblicken. Keinesfalls wollten wir das Festival sang- und klanglos absagen.
Und wie sieht die Lösung aus?
Wir werden stattfinden, aber in einem anderen Format. Die Berlinale hat zwei wichtige Bausteine: Einmal gibt es das Publikum, das Stars und Regisseure hautnah erleben möchte. Und dann gibt es die Kinobranche, die mit Filmen, Rechten und Ideen handelt. Diese beiden Säulen teilen wir auf: Den Branchenteil können wir digital im März gestalten. Der Publikumsteil soll Anfang Juni auf der Leinwand stattfinden – oder gern auch Open Air. Das wird die Berliner vielleicht sogar besonders freuen – so ein sommerliches Flair kennen sie ja nur aus den Anfangsjahren der Berlinale.
Da Sie schon mal bei Neuerungen sind: Wie wäre es mit Autokino?
Möglich ist vieles, fragt sich nur, ob da das Gemeinschaftserlebnis so zur Geltung kommt, wie wir es möchten. In der Vergangenheit haben wir ja schon Aufführungen im Gefängnis organisiert. Mal schauen, was uns noch einfällt.
Wird es wie üblich einen Wettbewerb geben?
Natürlich! Eine Internationale Jury wird die Filme im März sichten und über die Bären-Preise entscheiden. Im Juni werden dann die Filme dem Berliner Publikum in den Kinos – möglichst in Anwesenheit der Filmteams vorgestellt.
War der Andrang von Filmemachern mitten in der Pandemie groß?
Die Zahl der Einreichungen war üppig – wir hatten 10 Prozent mehr als 2020. Der Hunger der Filmschaffenden ist riesig, endlich ihre Werke vorzuführen.
Warum haben Sie die Berlinale nicht gleich ganz in den Sommer verlegt?
Man ist immer auch von den Terminen anderer Festivals abhängig. Da gibt es ja einen festen Fahrplan übers Jahr – Cannes im Mai, Venedig im September zum Beispiel. Und für den europäischen Filmmarkt ist die Pole-Position Anfang des Jahres wichtig. Da sind die Kassen noch gut gefüllt, und die Neugier ist groß, neue Filme zu entdecken.
Wären Regisseure im Februar überhaupt bereit gewesen einzufliegen?
So viel kann ich sagen: Eine ganze Reihe bekannter Filmemacherinnen und Filmemacher wäre gern gekommen – sofern es die Reiseregelungen zugelassen hätten. Aber Sie merken schon: Da kommen einige Konjunktive zusammen. Die Frage ist ja bis heute, ob die Berliner Kinos im Februar überhaupt geöffnet sind. Und selbst wenn: Die Welt lässt sich nicht plötzlich von null auf hundert hochfahren. Deshalb haben wir auch von dem Plan Abstand genommen, in den April auszuweichen.
Was bedeutet es für Kinofilme, wenn die Festivals einer ganzen Saison ausfallen?
Filme, die nicht bei Festivals auftauchen und dort vielleicht sogar Preise gewinnen, werden von Zuschauern weniger wahrgenommen. Der Weg auf die Kinoleinwand ist für sie schwerer. Es kann passieren, dass sie nie wirklich zum Leben erweckt werden.
Die Oscar-Academy will in diesem Jahr erstmals nicht mehr zwischen Kino und Streaming unterscheiden: Werden Sie das künftig noch tun?
Das müssen wir herausfinden, wenn die hektische Phase der Pandemie vorbei ist. Die Folgen des Corona-Virus können wir frühestens Ende des Jahres abschätzen. Klar ist jedenfalls, dass wohl kaum all die Filme in Warteposition im Kino präsentiert werden können. Manche werden direkt bei Streamingdiensten landen.
Wie kann die Berlinale den kriselnden Kinos helfen?
Wir wollen das Sommerfestival in besonderer Partnerschaft mit Berliner Kinos durchführen. Mit einigen waren wir schon vor dem Lockdown im Gespräch.
Wird bald das große Kinosterben einsetzen in Deutschland?
Ich hoffe sehr, dass die Zuschauer, die jetzt schon so lange aufs Kino verzichten müssen, wieder vor die große Leinwand zurückkehren. Vielleicht müssen sich die Kinos anders aufstellen, vielleicht werden sie ihr Programm stärker kuratieren. Kinos sind immer noch ein wichtiges Kulturformat. Irgendwann werden die Menschen wieder unbeschwert ins Kino gehen. Ich jedenfalls schaue nach all der Anspannung und Aufregung heiter und erleichtert nach vorn auf unsere Sommer-Berlinale.