Festival geht Samstag zu Ende

Viel Mittelmaß und kaum Glanz aus Hollywood: Die Berlinale hat ein Problem

Steven Spielberg im Scheinwerferlicht bei der Berlinale: Nicht nur der Glanz aus Hollywood fehlte beim Festival größtenteils.

Steven Spielberg im Scheinwerferlicht bei der Berlinale: Nicht nur der Glanz aus Hollywood fehlte beim Festival größtenteils.

Vor der Verleihung der Preise am Samstag wartete der Berlinale-Wettbewerb noch mit einem waschechten Noir-Thriller auf. Und das aus Deutschland, wo das Krimigenre doch schon längst an die konventionellen Erzählformate des öffentlich-rechtlichen Fernsehens verloren geglaubt war. Schon allein im Titel „Bis ans Ende der Nacht“, den Regisseur Christoph Hochhäusler und Drehbuchautor Florian Plumeyer gewählt haben, rauscht die Filmgeschichte klangvoll mit.

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Im Zentrum steht der verdeckte Ermittler Robert Demant (Timocin Ziegler), der in Frankfurt am Main einen florierenden Onlinedrogenhandel infiltrieren soll. Der Schlüssel zu dessen Chef Victor (Michael Sideris) ist Lena (Thea Ehre), die früher einmal Lenard hieß und nun als Frau lebt. Mit vagen Versprechungen und einer Fußfessel wurde sie vorübergehend aus der Haft entlassen. Sie und Robert sollen als verliebtes Paar in einem Tanzkurs Kontakt mit Victor aufnehmen, den Lena noch aus alten Clubzeiten kennt. Der schwule Ermittler, der mit Lena, als sie noch keine Frau war, eine Affäre hatte, behandelt sie nun mit abfälliger Aggressivität. Aber wenn er in seine Scheinidentität als ihr Liebhaber eintaucht, wirken die gespielten Gefühle allzu überzeugend.

Timocin Ziegler (l.) als Robert und Thea Ehre als Leni in einer Szene des Films „Bis ans Ende der Nacht“.

Timocin Ziegler (l.) als Robert und Thea Ehre als Leni in einer Szene des Films „Bis ans Ende der Nacht“.

Das Tolle an „Bis and Ende der Nacht“ ist, dass er als spannender, stilsicherer Genrefilm bestens funktioniert und gleichzeitig eine komplexe Liebesgeschichte erzählt, die von Macht- und Identitätskonflikten angetrieben wird. Dabei wird das Transgender-Thema nicht „super woke“ herausgestellt, sondern vollkommen organisch in die Story eingeschmolzen.

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Ein weiteres Schlusshighlight war der japanische Animefilm „Suzume“ von Makoto Shinkai, der eine mythische Coming-of-Age-Geschichte mit der Aufarbeitung der Ereignisse des 11. März 2011 verbindet – jener Tag, an dem ein Tsunami über die japanische Küste hereinbrach und die Atomkatastrophe von Fukushima auslöste. Riesige Monsterwürmer schlummern hier unter der Erde und drohen durch Portale auszubrechen, um weitere Beben auszulösen. Die tapfere Gymnasiastin Suzume stellt sich mit einem schönen Unbekannten, der sich schon bald in einen dreibeinigen Kinderstuhl verwandelt, als „Schließerin“ den Katastrophen entgegen. In visueller Hinsicht der absolut stärkste Film des Wettbewerbs, der mit einer geradezu symphonischen Bildgestaltung überzeugt. Dass „Suzume“ wie 2002 „Chihiros Reise ins Zauberland“ von Anime-Altmeister Hayao Miyazaki mit dem Goldenen Bären ausgezeichnet wird, ist jedoch unwahrscheinlich, weil der Film sich bereits in Japan als echter Blockbuster profiliert hat.

Distanz zu Festivals in Cannes und Venedig wird größer

Die Jury um die Schauspielerin Kristen Stewart wird es nicht leicht haben bei der Verteilung der Bären. Das Verhältnis zwischen guten, mittelmäßigen und entbehrlichen Filmen blieb in diesem Festivaljahrgang wieder einmal recht ausgewogen. Nur an ausgezeichneten Filmen mangelte es eben. Am ehesten hätten den Goldenen Bären noch die mexikanische Produktion „Tótem“ und der spanische Beitrag „20.000 Species of Bees“ verdient, die beide tief in dynamische Familienstrukturen eintauchen und deren Krisen visuell und emotional mitreißend auf der Leinwand verhandeln.

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Von den deutschen Beiträgen könnten Emily Atefs „Irgendwann werden wir uns alles erzählen“ auf einen Silbernen Bären für Regie oder die Auszeichnung von Hauptdarstellerin Marlene Burow hoffen. Auch Thea Ehre aus „Bis ans Ende der Nacht“ könnte man sich mit einem Bären in der Hand gut vorstellen.

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Aber bei aller postpandemischen Freude, dass man in zumeist ausverkauften Sälen wieder in ferne cineastische Welten eintauchen konnte, wurde auch in diesem Jahr das Problem der Berlinale als A-Festival überdeutlich. Der künstlerische Leiter Carlo Chatrian hat den Wettbewerb in den letzten Jahren zu einer Arthaus-Veranstaltung umgebaut, wodurch die Grenzen zu den anderen Sektionen immer mehr zerfließen und die Distanz zu den beiden großen Festivals in Cannes und Venedig vergrößert wird. An der Côte d‘Azur geben sich die großen Namen des Weltkinos die Klinke in die Hand. Das Festival am Lido profitiert von seiner spätsommerlichen Terminlage, wo Hollywood seine oscarverdächtige Herbstkollektion vorstellt.

Berlinale spiegelt nicht mehr das Weltkinogeschehen wider

Die Berlinale scheint sich mittlerweile aus dieser Konkurrenz verabschiedet zu haben. Mit Müh und Not wurden durch den Ehrenbären an Steven Spielberg und eine Extravorstellung von „Tár“ mit Cate Blanchett zwei große Namen nach Berlin gelotst. Aber der Berliner Wettbewerb spiegelt eben nicht mehr das Weltkinogeschehen in seiner ganzen Breite wider, zu dem Arthaus und Mainstream gleichermaßen gehören. Es kann einfach nicht sein, dass mittelmäßige Indie-Filme wie „BlackBerry“ oder „Manodrome“ das Einzige sind, was Chatrians Festivalscouts auf dem nordamerikanischen Markt ausfindig gemacht haben.

Über fünf deutsche Wettbewerbsbeiträge kann man sich natürlich freuen, aber es ist auch klar, dass bis auf Atefs Film wahrscheinlich keiner davon in Cannes oder Venedig für den Wettbewerb ausgewählt worden wäre. Die Filme aus dem eigenen Land in einer solchen Häufung mit einer wenig überzeugenden internationalen Konkurrenz zu konfrontieren trägt auch nicht wirklich zur Stärkung des Ansehens von Festival und einheimischer Filmproduktion bei.

Immerhin – und das ist nicht wenig – funktioniert die Berlinale noch als Publikumsfestival, dessen Programm von den heimischen und angereisten Zuschauenden auch jetzt wieder mit zumeist ausverkauften Sälen goutiert wurde. Aber mit diesem lokalen Erfolg darf sich ein Festival nicht zufrieden geben, wenn es in der internationalen Konkurrenz überleben will.

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