Barack Obama und Bruce Springsteen exklusiv über ihre Helden
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Einander viel zu sagen: Bruce Springsteen (li.) und Barack Obama vor wenigen Tagen bei einem Interview.
© Quelle: imago images/ZUMA Wire
Barack Obama: Nur zu, sag mir ruhig deine Meinung zu Elvis. Und das sollte ich vielleicht noch dazu sagen … großer Elvis-Fan.
Bruce Springsteen: Okay! Also, Elvis, weißt du, Elvis war Teil meiner Kindheit. Ich war sieben, als ich ihn in der „Ed Sullivan Show“ sah. Man vergisst, dass Elvis zunächst eine Neuheit war. Er stellte die Vorstellungen von Männlichkeit infrage. Färbte seine Haare, trug Make-up, bewegte sich, so sagten manche, wie ein Stripper. Deshalb wirkte er auf mich als Kind wie eine Comicfigur, regte meine Fantasie an. Ich lief sofort vor den Spiegel, fing an, mich zu schütteln, schnappte mir den Besen und tat so, als würde ich drauf spielen. Dann sagte ich: „Mom, ich will so eine Gitarre.“ Nachdem ich die Gitarre zwei Wochen lang hatte, stellte ich fest, dass sie echt war und gespielt werden musste. Und das war‘s dann, bis die Beatles aufkreuzten. Später erfuhr ich, dass diese ganze Musik, vor allem die frühen Sachen von den Beatles und Stones, die ich gehört hatte, von schwarzen Künstlern stammte. Chuck Berry, Arthur Alexander, so viele, dass ich sie gar nicht alle aufzählen kann. Ich wurde sozusagen zurück zu den afroamerikanischen Wurzeln der Rockmusik geschickt.
Obama: Zu diesem ganzen Problem der kulturellen Aneignung muss ich sagen – ich bin kein Anhänger davon, enge Grenzen zu ziehen, wer was tun darf.
Springsteen: Da bin ich deiner Meinung.
Obama: Ich glaube, wir klauen von –
Springsteen: Jeder von jedem.
„Ich habe kein Problem damit, wenn weiße Künstler schwarze Musik machen“
Obama: Das liegt in der Natur des Menschen. In der Natur von Kultur. So breiten Ideen sich aus. So entsteht Musik. So entstehen Kochrezepte. Ich möchte nicht, dass wir anfangen zu denken, für die eine Person gilt dieses und für eine andere jenes.
Springsteen: Da stimme ich dir zu.
Obama: Ich glaube, in Sachen kulturelle Aneignung war schon immer relevant, dass das Problem darin besteht, wenn eine schwarze Person, die einen Song schreibt und besser performt, eben keinen Auftritt und keinen Plattenvertrag dafür bekommen kann. Ich habe kein Problem damit, wenn weiße Künstler schwarze Musik machen, weil ich nicht denke, dass es so etwas wie exklusiv schwarze oder weiße oder hispanische Musik überhaupt gibt. Es geht um das Wirtschaftliche und die Machtverhältnisse dahinter, von denen Elvis ja offensichtlich ein Teil war. Er hat sie nicht geschaffen. Aber es war eine Tatsache, dass schwarze Songs geschrieben wurden, an denen schwarze Künstler nichts verdienen konnten.
Springsteen: Das Einzige, das meine Meinung dazu ändern konnte, war, als Pat Boone Little Richard spielte.
Obama: Das ist ein Problem.
Springsteen: Es ist brutal … Ich hätte da noch ein paar andere Fragen. Darf ich?
Obama: Nur zu!
Springsteen: Schön, eine wäre, wer sind unsere amerikanischen Helden? Soll ich anfangen?
Obama: Klar. Wen hast du zu bieten?
Springsteen: Muhammad Ali.
Obama: Der ist gesetzt.
Springsteen: Ganz weit oben.
Obama: Wenn wir beim Sport anfangen, dann gehört Jackie Robinson dazu. Es hat nicht nur alle schwarzen Amerikaner stolz gemacht, ihn antreten und brillant spielen zu sehen, allen bösartigen Anfeindungen und Drohungen zum Trotz, sondern er hat dabei auch die Herzen und Köpfe des weißen Amerika erreicht. Die Zahl der weißen Männer einer gewissen Generation, die mir erzählen, wie es sie oder ihre Dads verändert hat, und was es für ein achtjähriges weißes Kind bedeutete, auf der Tribüne einen schwarzen Spieler anzufeuern …
„Über Bob Dylan kann man nicht streiten“
Springsteen: Musik. Bist du bereit?
Obama: Wen hast du zu bieten?
Springsteen: In Ordnung. Ich habe meinen Bob Dylan zu bieten.
Obama: Alter, über Bob Dylan kann man nicht streiten. Und er macht immer weiter! Da ist er ein bisschen wie Picasso mit seinen verschiedenen Phasen, und er liefert am laufenden Band irgendwelche Innovationen. Scheint so, dass er das genauso für sich selbst wie für alle anderen macht.
Springsteen: Er ist ein Künstler. Tut, was er tun muss. So läuft das eben.
Obama: Er ist eine Quelle der Kreativität.
Springsteen: Dann hätte ich noch James Brown. Kein Hip-Hop ohne James Brown. Wen hast du in der Musik?
Obama: Ray Charles.
Springsteen: Zweifellos.
Obama: „America the Beautiful“ ist die eigentliche Nationalhymne.
Springsteen: Ich glaube, da hast du recht.
Obama: Nichts gegen die andere, vor allem in der Version von Whitney Houston! Ich will deshalb keinen Haufen E-Mails kriegen … Außerdem noch Aretha Franklin.
Springsteen: Boom. Eine Riesenheldin.
Obama: Wenn ich über amerikanische Musik nachdenke, die von nirgendwo sonst kommen kann, wenn ich irgendwas von Aretha höre, dann spüre ich Amerika. Aber weißt du, wen ich einfach als amerikanischen Künstler liebe? Frank Sinatra.
„Tief in deinem Inneren bist du ein Romantiker“
Springsteen: Ganz weit oben, bringt die ganze Epoche auf den Punkt.
Obama: Die Art von Lässigkeit, aber trotzdem präzise, das bewusst Coole, das er rüberbringt. Für mich ist das ein sehr spezifisch amerikanischer Stil.
Springsteen: Die Vierziger. Der romantische Zynismus.
Obama: Ja, genau, das ist wie Bogart. Tief in deinem Inneren bist du ein Romantiker.
Springsteen: Geplauderter Blues, das Leben ist schön, das Leben ist Mist, alles auf einen Schlag, Mann.
Obama: Stevie Wonder.
Springsteen: Machte die historischen Platten der Siebziger.
Obama: Fünf Alben in Folge, die es mit den fünf Alben von jedem anderen aus der Musikgeschichte aufnehmen können.
Springsteen: Welche Amerikaner, Amerikanerinnen inspirieren dich noch?
Obama: Wenig überraschend, dass mir als Erste Martin Luther King und Malcolm X einfallen. Yin und Yang der Befreiungsbewegung in diesem Land, die mich so geprägt hat. Manchmal kommen sie mir allerdings überlebensgroß vor, und oft waren Leute, die mich am meisten inspiriert haben, weniger berühmt. Nicht nur John Lewis, sondern Diane Nash, Bob Moses und Ella Baker, Fannie Lou Hamer, Joseph Lowery, C. T. Vivian, Fred Shuttlesworth. Menschen, die nicht annähernd so berühmt wurden, die vielleicht nicht die gleichen außerordentlichen Gaben besaßen, aber aufgrund ihrer Beharrlichkeit und Courage Außerordentliches bewirkt haben. Sie sind Helden mit menschlichen Maßen.
Springsteen: Ich möchte noch Ruby Bridges nennen. Mit sechs Jahren das erste schwarze Kind an der William Frantz Elementary School in Louisiana. Federal Marshals mussten sie zur Schule begleiten, die sie zunächst ganz allein besuchte.
Obama: Wir bekamen die Gelegenheit, Norman Rockwells Gemälde von Ruby als Teil der White House Collection direkt vor dem Oval Office aufzuhängen. So hatte ich es die ganze Zeit vor Augen. Dieses Gemälde zeigt Ruby, dieses winzig kleine Mädchen mit Zöpfen und weißen Söckchen, und sonst sieht man nur die riesigen Körper der Marshals sowie im Hintergrund verschwommen das N-Wort an die Wand geschmiert. Ruby kam im Weißen Haus vorbei. Sie ist ungefähr so alt wie ich. Wir standen vor dem Bild, und sie beschrieb die Szene. Wie es sich angefühlt hat. Sie war eine großartige Vertreterin dieses stillen Heldentums, das in jener Ära so häufig war. Absolute Anmut, die sah man immer noch!
Springsteen: Das ist unglaublich. Mit sechs Jahren.
Obama: Wenn wir den Blick erweitern, dann steht Lincoln immer noch im Zentrum dessen, was ich von Amerika halte. Die Sache mit der Holzhütte ist kein Mythos. Er ist ein bettelarmer Junge, der in sehr beschränkten Verhältnissen aufwächst, ungehobelt, wenig formale Schulbildung. Unterrichtet sich praktisch selbst, indem er die King-James-Bibel und Shakespeare liest, um dann einer der größten amerikanischen Autoren aller Zeiten zu werden. Hat schon eine komplette Karriere vorzuweisen, bevor irgendwer ihn kennt. Bringt sich selbst genug bei, um das Examen zu bestehen und Rechtsanwalt zu werden. Er ist zu Pferd in Illinois unterwegs, reißt Witze, erzählt Geschichten, geht seinem Beruf nach und verdient Geld. Und doch steckt da irgendwie schon dieses ausgeprägte Moralempfinden, diese Melancholie und Tiefe in ihm. Schließlich steht er am Scheideweg dieser zentralen Frage zu Amerika, die da lautet: „Werden wir eine wahrhaft freie Nation oder nicht?“
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© Quelle: Penguin Random House Verlagsgrup
Der Auszug stammt aus der deutschen Ausgabe: Barack Obama, Bruce Springsteen: „Renegades: Born in the USA. Träume – Mythen – Musik“. Deutsch von Stephan Kleiner, Henriette Zeltner-Shane. Penguin. 320 Seiten, 42 Euro.