Hörspielnostalgie: Warum die ARD-Reihe „Mia Insomnia“ so fesselnd ist
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Julia Gruber spricht „Mia“ im BR-Hörspiel „Mia Insomnia“.
© Quelle: Stefan Dorner
Hannover. Wer als Kind Ferienhausurlaube mit seiner Familie gemacht hat, der wird diese wahrscheinlich nicht so schnell vergessen. Es war diese unbeschwerte Zeit in den Sommerferien, die leider auch immer viel zu schnell vorüber ging. Man tobte am Meer oder in den Bergen, fand neue Freunde und verlor sie wieder – weil man sich zum Ende des Urlaubs von ihnen verabschieden musste.
Der Urlaubsort und nicht zuletzt das Ferienhaus waren nicht nur ein Zuhause auf Zeit, sondern auch ein großer Abenteuerspielplatz. Häufig blieben davon Erinnerungen zurück, von denen man gar nicht so genau weiß, warum eigentlich. In den Zimmern des Reisedomizils fand sich stets aller möglicher Krempel – nicht selten hatten ihn andere Familien dort zurückgelassen. Und abends im Bett hörte man Hörspielkassetten im Walkman – zum Beispiel „Die drei ???“ oder „TKKG“.
Die ARD-Hörspielreihe „Mia Insomnia“ knüpft an genau dieses Gefühl an – und zwar mit enorm akkuraten Beobachtungen. Nur wenige Minuten Spielzeit reichen für einen ordentlichen Nostalgiekick, der alle möglichen Erinnerungen an die Lieblingsurlaube und Lieblingshörspiele der eigenen Kindheit zurückholt. Aber die Produktion des Autoren Gregor Schmalzried löst auch noch etwas anderes Aus: Angst. Fast ein bisschen wie damals die Hörspielepisoden, die für uns Kinder eigentlich viel zu gruselig waren.
Ein Hörspiel, an das sich niemand erinnert
Genau darum geht es bei „Mia Insomnia“. Protagonistin der Handlung ist eine junge Frau mit dem nordischen Namen Mia Johannsson. Sie ist eine quasselnde Podcasterin mit eigenem Interviewformat. In einer ihrer Sendungen hat sie einen Held ihrer Kindheit zu Gast: Karlo Bode, gesprochen von Bastian Pastewka.
Bode wurde einst berühmt als einer der Sprecher des Hörspiels „Geisterjagd“, was grob gesagt eine fiktive Variante von „TKKG“ ist. Eine Gruppe von Jungs und Mädels löst in jeder Folge einen Fall – konkret geht es um Spukfälle, die jedoch immer mit einer rationalen Erklärung enden. Nur eine Episode ist anders.
Johannsson spricht Bode auf einige der gruseligsten Folgen an. „Die verfluchte Mumie“ und „Der Geist im Labyrinth“ zum Beispiel – und nicht zuletzt die verstörende Episode „Insomnia“. Doch genau bei diesem Wort stutzt Bode plötzlich. Die Folge „Insomnia“ habe es nämlich nie gegeben, behauptet der Kinderstar. Weder Bode noch die Produzentin der Hörspielreihe können sich an diese mysteriöse Hörspielfolge erinnern.
Eiernde Kassettendecks und Achtzigerjahre-Intros
Genau ab diesem Punkt wird Protagonistin Mia Johannsson selbst zur Detektivin. Die Podcasterin will mit allen Mitteln herausfinden, warum es eine Hörspielfolge gibt, an die nur sie selbst sich erinnert – und sonst niemand. Ihre Spur führt Mia, Sie ahnen es bereits, in ein Ferienhaus ihrer Kindheit, an einen abgelegenen Ort in den Bergen. Hier findet sie schließlich, zwischen allem möglichen Krempel, die mysteriöse Kassette, die sie im Jahre 1997 als Kind gehört hat. Dann taucht die Protagonistin in immer abstrusere und mysteriöse Welten ab.
Das Publikum ist stets ganz nah dabei – „Mia Insomnia“ bedient sich nämlich den Stilmitteln eines Podcasts. Mia erzählt ihre Geschichte aus der Ich-Perspektive, das Aufnahmegerät ist stets am Mann, beziehungsweise an der Frau. Über lange Zeit ist aber völlig unklar, warum wir, das Publikum, diese Aufnahmen hören – und ob Mia Johannsson ihre eigene Recherchereise überhaupt überlebt hat.
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Das düstere Titelbild des Horror-Hörspiels "Mia Insomnia".
© Quelle: Simon Heimbuchner
Der technische Umsetzung des Hörspiels sorgt für wohliges Nostalgiegefühl und Angstzustände gleichermaßen. Zu hören ist immer wieder der eiernde Vorspann der „Geisterjagd“-Hörspiele, produziert im Achtzigerjahre-Drumcomputer-Sound, während im Hintergrund die hämische Lache Bastian Pastewkas alias Karlo Bode schallt. Man hört quietschende Kassettendecks und Artefakte in der Aufnahme, die ganze Wörter abschneiden. Das ist großes Kino für die Ohren – und es empfiehlt sich, die Episoden vielleicht nicht gerade nachts alleine beim Joggen im Wald zu hören.
Zwischen Nostalgie und Zeitgeist
Die Handlung des Hörspiels nimmt dabei immer unvorhersehbare Abzweigungen, die zeitweise an die der Netflix-Zeitreisenserie „Dark“ erinnern. Ganz so verwirrend wird es nicht – nur das Ende muss man sich im Zweifel zweimal anhören, um zu verstehen was da eigentlich gerade passiert ist.
Ständig springt das Hörspiel auch zwischen Nostalgie und aktuellem Zeitgeist hin und her – diesen spiegelt insbesondere Protagonistin Mia in Perfektion wieder. Sie ist erfolgreiche Medienmacherin, deren Markenzeichen es ist, überaus zynisch auf die Welt mit all ihren Krisen zu blicken. Mia ist in gewisser Weise „Sinnfluencerin“, die sich modern gibt und etwas verändern will, die Worte wie „safe“ oder „liebe Zuhörende“ benutzt und die sich besonders gerne selber reden hört.
Darum spart das Hörspiel auch nicht mit Gesellschaftskritik durch die Brille der Protagonistin. Immer wieder geht es um die kapitalistische Welt, in der Mia lebt, die bis hin zum Klima alles kaputt macht. Auf ihrer Recherchereise findet sich die Protagonistin dann aber auch in diktatorischen Parallelwelten wieder, in denen alles noch viel schlimmer ist.
Wie es sich für extrovertierte Sinnfluencerinnen gehört, geht es in dem Hörspiel aber am Ende vor allem um eines: Mia Johannsson selbst. Das Erzählen aus der Ich-Perspektive hat zur Folge, dass die Serie viele Details ausspart. Von den mysteriösen Welten in die Johannsson da abtaucht, erfährt das Publikum weniger als es sich vielleicht wünschen würde. Immerhin: Das Ende der Hörspielserie ist so offen, dass es geradezu nach einer zweiten Staffel mit mehr Details schreit.
Hörspielfan Bastian Pastewka
Für Gregor Schmalzried, den Autoren der Reihe ist die Recherchereise von Mia Johannsson in gewisser Weise eine Hommage an die Hörspielreihen seiner Jugend. „Mia Insomnia ist inspiriert von den Geschichten unserer Kindheit, von den Abenteuern, auf die wir uns im Kinderzimmer begeben haben, und die uns bis heute nicht loslassen“, so der Autor gegenüber seinem Arbeitgeber, dem Bayerischen Rundfunk.
Das hat wohl auch Bastian Pastewka dazu bewogen, an dem Projekt mitzumachen. Der Komiker und Schauspieler gilt schon lange als eine Art Hörspielinfluencer. In seiner eigenen Serie „Pastewka“ waren Hörspiele wie „Die drei ???“ immer wieder Thema, für Radio Bremen präsentiert Pastewka die Hörspielreihe „Kein Mucks“.
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Das Team von "Mia Insomnia" im Studio: Sebastian Kempf, Maresa Sedlmeir und Bastian Pastewka.
© Quelle: Pauline Seiberlich
„Meine Generation ist mit den ersten kommerziellen Kinderhörspielen aufgewachsen, die damals auf Schallplatten und Kassetten angeboten wurden“, so der Schauspieler. Als man ihn gefragt habe, bei „Mia Insomnia“ mitzumachen, habe er nicht lange überlegen müssen.
Audiooffensive in der ARD
„Mia Insomnia“ ist derweil nicht die einzige Hörspielproduktion, die dieser Tage in der ARD veröffentlicht wurde. Die öffentlich-rechtliche Anstalt hat eine ganze Podcast- und Hörspieloffensive gestartet – dazu zählen zahlreiche Produktionen, die bislang ausschließlich in der ARD-Audiothek zu finden sind.
Neben „Mia Insomnia“ gehört auch das Horrorhörspiel „Korridore“ dazu. Darin macht sich eine Polizistin mit Hilfe von Sprachmemos auf die Suche nach einem verschwunden Jungen.
Nach harmlosen Fällen mit Happy End, wie seinerzeit bei „TKKG“ und den „Drei ???“ klingt das alles nicht. Die Hörspielnostalgiegefühl allerdings, ist angesichts dieser Produktionen ohne Frage zurück.
„Mia Insomnia“, zehn Folgen, geschrieben von Gregor Schmalzried, gesprochen von Julia Gruber, Bastian Pastewka und anderen ist in der ARD-Audiothek zu hören.