Verlorene Existenzen kämpfen um ihre Würde

Tango als Überlebensmittel: In „Adiós Buenos Aires“ hilft Musik gegen die Misere

Zärtlichkeit in der Tango-Krise: Diego Cremonesi als Julio Färber und Marina Bellati als Mariela Martínez in einer Szene des Films „Adios Buenos Aires“.

Zärtlichkeit in der Tango-Krise: Diego Cremonesi als Julio Färber und Marina Bellati als Mariela Martínez in einer Szene des Films „Adios Buenos Aires“.

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Den Tango hat der in Buenos Aires geborene Filmemacher German Kral quasi mit der Muttermilch aufgesogen. Diese Musik lässt ihn nicht mehr los, auch wenn er schon seit mehr als 30 Jahren in Deutschland mit Regisseuren wie Wim Wenders und Florian Gallenberger arbeitet. So ist es kein Wunder, dass nach seinem erfolgreichen Dokumentarfilm „Ein letzter Tango“ auch in seinem Spielfilmdebüt der Tango Argentino dominiert, der Tanz des Volkes, Bestandteil des Alltags in Eckkneipen und Fischerschenken am Hafen.

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Julio Färber (Diego Cremonesi), Bandoneonspieler in einem fünfköpfigen Tangoorchester und Besitzer eines Schuhladens, steht vor dem Ruin. Der Lieferant holt seine Ware wieder aus den Regalen. Es bleibt ihm nur der Verkauf des Geschäfts. Der Mittvierziger hofft auf bessere Zeiten in Deutschland, dem Geburtsland seiner Mutter. Die Pässe für Mutter und Töchterchen Paula liegen in der Botschaft bereit, bald heißt es „Adiós Buenos Aires“.

Da brettert Taxifahrerin Mariela (Marina Bellati) bei Rot über die Ampel und fährt seinen Peugeot 504 zu Schrott. Zunächst weist sie vehement alle Schuld von sich. Nach seiner Beschwerde beim Taxiunternehmen bittet sie ihn, Gnade vor Recht ergehen zu lassen. Sie hat die Versicherungspolicen gefälscht, braucht als Alleinerziehende eines stummen Sohnes den Job und verspricht ihm Ratenzahlung. Erst einmal kutschiert sie ihn kostenlos durch die Gegend.

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Dann gerät alles restlos aus den Fugen. Die pubertierende Tochter Paula hat sich unsterblich verliebt und weigert sich, auszuwandern. Auch die betagte Mama will sich nicht mehr verpflanzen lassen. Seine bejahrten Bandkollegen halten ihn sowieso für einen Verräter, und an sein Geld kommt er auch nicht mehr ran: Der Staat hat die Konten eingefroren.

Der Film spielt vor dem Hintergrund der sogenannten Tango-Krise 2001 in Argentinien. Das ist ein beschönigender Begriff angesichts der Verarmung ganzer Bevölkerungsschichten. Tango ist hier nicht der in Europa erotisch aufgeheizte schicke Standardtanz, sondern Fluchtoase für Menschen, denen das Wasser bis zum Hals steht und die die Misere für einen Moment vergessen wollen.

Die Tangoklänge reißen tatsächlich mit, zumal die greise Tangolegende Ricardo Tortorella (Mario Alarcón) als Sänger die Gruppe verstärkt und deshalb die Musiker auf lukrative Aufträge hoffen. All diese verlorenen Existenzen kämpfen um ihre Würde und Ehre. Deshalb fällt es ihnen schwer, bei einem korrupten Politiker aufzutreten, während auf dem Höhepunkt der Krise die Argentinier auf der Straße mit Kochtöpfen und Kochlöffeln lauthals protestieren.

Trotz aller sozialen Härte versprüht das sentimentale Drama in seiner Leichtigkeit etwas Heiteres. Gleichzeitig zerreißen die gefühlvollen und poetischen Texte von Liebe und Leidenschaft, Sehnsucht und Schmerz das Herz.

„Adiós Buenos Aires“, Regie: German Kral, mit Diego Cremonesi, Marina Bellati, Mario Alarcón, 93 Minuten, FSK 12

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