250 Jahre Beethoven: Igor Levit und Anselm Cybinski im Podcast
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Ludwig Fun: Sogar im Karneval ist Beethoven im Jubiläumsjahr präsent.
© Quelle: imago images/epd
Es ist Beethoven-Jahr. Vor 250 Jahren wurde der Komponist in Bonn geboren: Daran erinnert man 2020 auf der ganzen Welt. Mit noch mehr Aufführungen seiner Werke, als es sonst ohnehin schon gibt. Mit Büchern, CDs, Vorträgen und Forschungsprojekten. Mit Sinfonien, Kammermusik und „Fidelio“, der einzigen Oper, die Beethoven geschrieben hat und die zumindest in dieser Spielzeit wohl die „Zauberflöte“ ablösen wird, den ewigen Spitzenreiter in der Liste der am häufigsten gespielten Opern. Keine Werkgruppe aber erzählt mehr über Beethoven als seine 32 Klaviersonaten.
Mit der ersten Sonate von 1795 bestritt der damals 25-jährige Pianist und Komponist seinen ersten großen öffentlichen Auftritt. Die letzte hat er 27 Jahre später geschrieben, fünf Jahre danach starb er. Die Stücke spiegeln die ganze Vielfalt dieses vielfältigsten aller Komponisten. Sie zeigen beispielhaft die Entwicklung seines gewaltigen Werks und sind zugleich tönende Lebensspur: Näher als hier kann man dem Menschen und Musiker Beethoven nicht kommen.
Igor Levit spielt regelmäßig alle Sonaten
Das ist ein Grund, warum der Pianist Igor Levit regelmäßig sämtliche Sonaten aufführt. In diesem Jahr gastiert Levit, der Professor an der Musikhochschule in Hannover ist, mit dem Zyklus unter anderem bei den Salzburger Festspielen und in der New Yorker Carnegie Hall, in der Hamburger Elbphilharmonie und bei den Berliner Festwochen.
Doch der 32-Jährige, der am Klavier ein sehr beredter Beethoven-Interpret ist, belässt es nicht bei Konzerten. In einer ungewöhnlichen Form versucht er, ein Publikum auch jenseits der klassischen Konzertbesucher zu erreichen: Levit hat jetzt einen Podcast gestartet, in dem er nicht nur spielt, sondern auch über die Sonaten spricht und einen Satz daraus schon mal als „Glück vortäuschenden Expresszug in die Hölle“ bezeichnet.
Sein Gesprächspartner ist dabei Anselm Cybinski, der Intendant der Niedersächsischen Musiktage, der Levit einst zu seinem ersten Plattenvertrag verholfen hat und seither eng mit dem Pianisten befreundet ist. Gemeinsam wollen die beiden die Welt der Beethoven-Klaviersonaten neu erlebbar machen. Im Interview erklärt Cybinski, wie das gehen soll.
Herr Cybinski, ein Podcast in 32 Folgen über 32 Klaviersonaten: Wie kommt man auf die Idee, dass das irgendjemanden interessieren könnte?
Die Idee stammt von Bernhard Neuhoff, dem Klassik-Redakteur beim Bayerischen Rundfunk. Als aktiver Twitter-Nutzer hat er erkannt, dass Igor Levit ein Musiker ist, der weit über die herkömmlichen Klassikzirkel wahrgenommen wird, auch weil er sich so stark zu gesellschaftlichen und politischen Themen positioniert. Igor stellt eine Verbindung her zwischen einer scheinbar hermetisch geschlossenen Klassikwelt und unserem Alltagsleben.
Und warum musste es ausgerechnet Beethoven sein?
Beethovens humanistische Gesinnung, seine eigene aktive Zeitgenossenschaft bilden eine ideale Brücke in unsere Gegenwart. Im großen Jubiläumsjahr ist Igor als phänomenaler Beethoven-Interpret zudem besonders präsent. Seit 15 Jahren beschäftigt er sich sehr intensiv mit Beethovens Sonaten. So entstand die Idee, über Igors betont subjektive Wahrnehmung in diesen Kosmos hineinzustoßen – einen Kosmos, der die exemplarische Entwicklung des Komponisten besonders detailreich nachzeichnet.
Wie kommt es zu einer so engen Verbindung eines Pianisten mit einem Komponisten?
Es ging mit der zweiten Sonate los, die Igor sich bei seinem Lehrer Karl-Heinz Kämmerling an der Musikhochschule in Hannover immer wieder neu vorzunehmen hatte, fast wie eine Zen-Übung. Später wurden die „Diabelli-Variationen“ so etwas wie ein Erkennungsstück für ihn. Vor fünf Jahren hat er schließlich angefangen, komplette Zyklen der Sonaten aufzuführen, da war er gerade einmal 28 Jahre alt.
„Das größte Geschenk der Musikvermittlung seit Lenny Bernstein“
Schreibt der Beethoven-Podcast nun die Erfolgsgeschichte dieses Pianisten auf einem anderen Feld weiter?
Die Reaktionen erwecken diesen Anschein. Die ARD-Wellen sind voller Interesse auf das Format eingestiegen, die Platzierungen in den Podcast-Charts gehen hoch bis Platz 25 und bleiben bislang durchweg in den Top 100, was für Hochkultur, für klassische Musik gar, ganz ungewöhnlich ist. Die Flut der Zuschriften zeigt, dass das Format gerade von bislang weniger Kundigen sehr dankbar aufgenommen wird, während Kenner sich ebenfalls bereichert fühlen. Ein Redakteur beim SWR hat getwittert, für ihn sei unser Podcast „das größte Geschenk der Musikvermittlung seit Lenny Bernstein“. Offenbar erreichen wir Leute, die sich bisher eher latent für Klassik interessiert, aber nicht das passende Format gefunden haben und nun beinahe eine Art Serienfieber entwickeln.
Wie erklären Sie sich das?
Es kommt selten vor, dass jemand so zugewandt und selbstironisch, so praxisnah und vital über diese Dinge spricht, wie Igor das tut. Das ist ein irrsinniges Angebot an Insiderwissen. Igor zeigt, dass die Klänge auch spontane emotionale und körperliche Reaktionen hervorrufen, die eben nicht gefiltert sein müssen durch 200 Jahre Rezeptionsgeschichte. Solche Dinge reinzubringen, ist dann eher mein Part.
Gerade die gelegentlichen Vertipper beim Vorspielen von bestimmten Passagen machen einen besonderen Reiz des Podcasts aus. Ist gleich klar, dass so etwas erhalten bleibt, oder wird es grundsätzlich eher rausgeschnitten?
Das überlegen wir immer gemeinsam mit unserem Regisseur Florian Schairer. Es gibt ja hoch instruktive Verspieler. Davon abgesehen hat Igor eine absolut fulminante Treffsicherheit. Bevor wir die vierte Folge produziert haben, hatte er zehn Tage lang keine Taste berührt. Er kann wirklich aus dem Stand und ohne jedes Aufwärmen die schwierigsten Sachen vorführen. Insofern kratzt es ihn weniger, wenn doch mal etwas danebengeht, er kann ironisch damit umgehen.
Wenn er von Musik spricht, ist allerdings wenig Ironie zu spüren. Er stellt sich Beethoven mit offenem Visier. Ist das auch etwas Ungewöhnliches?
Ich habe den Verdacht, dass wir heute so etwas wie Epochenscham vor Beethoven empfinden. Es gibt bei diesem Komponisten eine Art von Pathos und einen emotionalen Tidenhub, der sich nur schlecht vereinen lässt mit unseren durch die Postmoderne gegangenen ironisierenden, relativierenden Haltungen. Die Innovationskraft, die Beethoven auslöst, und auch das utopische Moment, einen anderen Welt- und Gesellschaftszustand erreichen zu wollen – all dem stehen wir heute doch relativ hilflos gegenüber. Wir trauen uns oft gar nicht, solche Unbedingtheit an uns heranzulassen. Es gibt ja Menschen, die durchaus allergisch darauf reagieren.
Ich habe das Gefühl, dazu gehört auch Igor Levit selbst: Immer, wenn von Beethoven als politischem Komponisten die Rede ist, ist er sehr kurz angebunden. Und wenn er nach den Gefühlen, Idealen und Absichten Beethovens gefragt wird, sagte er stets, er kenne sie nicht.
Als Interpret, der in seinen Entscheidungen frei sein will und muss, stellt er sich auf den Standpunkt, dass Beethoven tot ist. Das ist auch eine pragmatische Haltung: Eine Identifikation mit den vermeintlichen Gefühlszuständen des Komponisten als lebende Person wäre schlichtweg anmaßend – das kann nicht sinnvoll sein.
Manchmal fegt Levit den scheinbar unüberwindbaren Berg an Bedeutung, der immer bei Beethoven mitschwingt, einfach beiseite und konzentriert die Musik auf einen einzigen überraschenden Akkord.
Klar, ihm geht es um die Wirkung einer Musik, die eben nicht immer eine Idee transportiert, sondern oft auch eine ganz unmittelbare körperliche Erfahrung. Beethoven hat irrsinnigen Spaß am Motorischen, er kann sehr sprunghaft und voller Humor sein. Igor zeigt das wunderbar, weil er immer an seine Adressaten denkt. So musiziert er ja auch. Er sagt gerne, dass er sich immer Personen beim Spielen vorstelle. Es ist alles ein Akt der Kommunikation.
Der Podcast zeigt Beethovens Musik als physisches Ereignis. Gleichzeitig werden aber auch musikhistorische und ideengeschichtliche Details beleuchtet. Wie passt das zusammen?
Das ist die Rollenverteilung zwischen uns beiden. Igor argumentiert mehr praktisch, ich mehr theoretisch, dazwischen gibt es viele Überlappungen. So unterhalten wir uns seit Jahren. Beides gehört ja zusammen: Wenn man bei Beethoven etwas lernen kann, dann, dass stets auch das Gegenteil mitgedacht ist. Bei ihm werden polare oder dialektische Spannungen aufgebaut, Varianten angeboten. Die Behauptung von heute wird schon morgen durch eine andere, neue ersetzt. Beethoven ist das Gegenteil von Filterblase, das Gegenteil jener rechthaberischen Selbstabschottung, in der man immer nur die Bestätigung des Bekannten sucht.
Für jede Folge gibt es ein übergeordnetes Thema
Ihr Podcast folgt der Chronologie der Sonaten. Besteht da nicht die Gefahr der Wiederholung, wenn man sie sich Stück für Stück nacheinander vornimmt?
Gerade heute scheint es das Bedürfnis nach langen, tiefen Erfahrungen zu geben. Denken Sie an „Breaking Bad“ oder an die Konjunktur der Bruckner- oder Mahler-Sinfonien. Je mehr man sich mit dem Zyklus der Beethoven-Sonaten beschäftigt, desto deutlicher wird, dass jedes Stück eine Station in einer großen Entwicklung markiert. Es gibt keinerlei Standards oder sich wiederholende Muster. Deshalb lenke ich Igors Ideenfülle als Gesprächspartner ganz bewusst: Ich wähle die zu diskutierenden Aspekte aus, bereite ein Manuskript vor und überlege mir die innere Dramaturgie. Für jede Folge gibt es ein mehr oder minder explizites übergeordnetes Thema.
Was können das für Themen sein?
Wir kommen jetzt zum Beispiel zu den Sonaten op. 31, da hat Beethoven gerade das „Heiligenstädter Testament“ verfasst, in dem sich die tiefe Verzweiflung über seine fortschreitende Ertaubung ausdrückt. Rein formal gibt sich Beethoven plötzlich wieder klassischer. Gleichzeitig stellt er die Grundfeste dessen, was er tut, aber mit rhythmischen Unsicherheiten und sonderbaren harmonischen Wegen infrage. Es geht uns darum, das Ohr zu sensibilisieren für solche Besonderheiten. Wir wollen etwa zeigen, woran sich erkennen lässt, dass Beethoven uns foppt. Gebärdet er sich pathetisch oder leutselig? Es gibt in den Sonaten so viele kommunikative Angebote. Wenn wir diese auch nur ein bisschen entschlüsseln, geht uns der Stoff nicht aus.