Impfungen in Deutschland: Wie beeinflussen sie die Corona-Fallzahlen?
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Eine Mitarbeiterin hält im Impfzentrum in München eine Spritze mit dem Corona-Impfstoff von Astrazeneca in den Händen (Symbolbild).
© Quelle: Sven Hoppe/dpa
Hannover. Rund drei Monate ist der offizielle Impfstart in Europa her, das Tempo bei den Corona-Impfungen in Deutschland müsste angesichts der sich weiter verbreitenden Virusvarianten eigentlich beschleunigt werden. Und die Zahl der offiziell gemeldeten Neuinfektionen bleibt derweil hoch: Am Mittwoch kamen laut Robert-Koch-Institut (RKI) 9019 Neuinfektionen hinzu. „Wichtig ist allerdings auch, zu betrachten, welchen dämpfenden Effekt die Impfungen auf die Fallzahlen insgesamt haben können, wo doch aktuell verstärkt Lockerungen der geltenden Maßnahmen diskutiert werden“, erklärt das Science Media Center (SMC) in einem neu veröffentlichten Report – und beleuchtet darin verschiedene mögliche Entwicklungen.
Spahn: Wir müssen schneller beim Impfen werden
Bei Corona-Schnelltests übersteige das Angebot deutlich die Nachfrage, sagte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn.
© Quelle: Reuters
Dabei stehen vier verschiedene Szenarien mit unterschiedlicher Inzidenz im Fokus. Sie, das betonen die Experten, stellen keine Prognosen dar, sondern versuchen, unter bestimmten Bedingungen mögliche Verläufe zu veranschaulichen.
Szenario 1: Die Mutation B1.1.7 breitet sich aus wie bisher – mit einem wöchentlichen Wachstum von 40 Prozent. Weitere Varianten des Coronavirus verlieren in diesem Szenario 20 Prozent pro Woche. Einen bremsenden Effekt durch Impfungen schließt das Modell aus. Das ist laut SMC zwar unrealistisch, dient an dieser Stelle aber als Vergleich.
Im ersten Szenario der Experten wächst die Coronavirus-Variante B.1.1.7 rasant – und sorgt damit für einen exponentiellen Anstieg der Kurve „Gesamtinzidenz“.
© Quelle: Science Media Center (SMC)
Szenario 2: In diesem Modell berechnen die Experten einen bremsenden Effekt der Kurven durch Impfungen gegen das Coronavirus.
Das zweite Modell zeigt einen möglichen Verlauf der Kurven, wenn eine Eindämmung des Virus durch die Impfungen eingerechnet wird. Noch immer steigen das B.1.1.7-Aufkommen sowie die Gesamtinzidenz – allerdings weniger drastisch.
© Quelle: Science Media Center (SMC)
Szenario 3: Das Modell zeigt einen weiteren möglichen Verlauf der Fallzahlen mit Corona-Impfungen. Allerdings setzt der bremsende Effekt, den sie mitbringen, hier zehn Tage früher ein. „Gründe könnten hier zum Beispiel ein jahreszeitlicher Effekt oder beschleunigte Impfungen sein“, so das SMC.
Frühere Impfungen bringen in dem Schaubild, das SMC-Szenario 3 zeigt, ein früheres Abflachen der Kurve.
© Quelle: Science Media Center (SMC)
Szenario 4: Das letzte Szenario zeigt ein Wachstum um 10 Prozentpunkte – und zwar durch Lockerungen oder ein verändertes Verhalten der Bevölkerung. Das wöchentliche Wachstum der B.1.1.7-Variante läge damit bei 50 Prozent. Auch der Rückgang der restlichen Coronavirus-Varianten fällt in diesem Szenario auf 10 Prozent. Die Impfungen sind jedoch wie in Modell 2 einberechnet.
Ein höheres Wachstum durch Lockerungen oder verändertes Verhalten könnte den Experten nach auch Wachstumsraten verursachen, die noch schneller verlaufen als die in Szenario 4 dargestellten.
© Quelle: Science Media Center (SMC)
Science Media Center: Situation „stark auf Kante genäht“
Aus den verschiedenen Modellen ziehen die Experten das Fazit: Blieben die aktuellen Maßnahmen der vergangenen Wochen erhalten, würde das ohne gegenläufige Effekte schon im April zu einer höheren Inzidenz als im Winter führen. Grund sei die Virusvariante B.1.1.7. Mit zunehmender Impfquote werde sich das Wachstum zwar abschwächen. Auch ein bremsender Effekt durch den Frühlingsbeginn sei nicht ausgeschlossen. „Betrachtet man aber die gegeneinander wirkenden Effekte der Impfungen und das Wachstum der ansteckenderen Corona-Variante, ist die aktuelle Situation stark auf Kante genäht“, heißt es im Report des SMC. „Der Sicherheitspuffer ist nicht sehr groß.“
Denn, so zeigen die Experten in Szenario 4, schon bei leichten Lockerungen oder einem veränderten Verhalten sei ein starker Anstieg der Neuinfektionen möglich. Die Inzidenz schieße im Zweifelsfall in die Höhe, „noch bevor ausreichend geimpft werden konnte, um das Wachstum zu bremsen“.
Bringen die Impfungen den gewünschten Effekt?
Theoretisch reicht ein vollständiger Schutz für 8 Millionen Bürger aus, um eine Verbreitung des Virus für 10 Prozent der Bevölkerung unmöglich zu machen. Laut Bundesgesundheitsministerium stehen in Deutschland bis Ende März planmäßig 18 Millionen Impfdosen zur Verfügung, drei Viertel davon sind mRNA-Impfstoffe. „Diese Szenarien gehen davon aus, dass ab April alle 20 Tage eine Reduktion der Reproduktionszahl um 10 Prozent erreicht wird“, erklärt das Science Media Center.
Wie viele Infektionen die Impfungen letztlich vermeiden, hänge auch von der Zahl der Kontakte einer geimpften Person ab. „Da zuerst viele alte Personen geimpft werden, deren Mobilität tendenziell gering ist, kann die Zahl der vermiedenen Infektionen niedriger ausfallen als der pauschal errechnete Anteil der Bevölkerungsgruppe“, so das SMC. Umgekehrt könnte ein saisonaler Effekt das Wachstum des Coronavirus stärker bremsen als zum Beispiel in Szenario 3 angenommen.
Zahl der Neuinfektionen hängt von verschiedenen Faktoren ab
Nicht nur von den Impfungen, der Ausgestaltung der Maßnahmen und der Ausbreitung der Varianten hängt die weitere Entwicklung der Corona-Fälle in Deutschland ab. So ist es laut den Experten zum Beispiel auch möglich, dass die Fallzahlen wegen einer Veränderung der Mobilität steigen – auch, wenn die Bundesregierung bei den aktuellen Maßnahmen wie Reisebeschränkungen bleibt.
Dazu kommen jahreszeitliche Effekte: Wer jetzt hinaus geht, um sich mit seinen Bekannten oder Freunden zu treffen, geht dort ein geringeres Infektionsrisiko ein als in den eigenen vier Wänden. Bedeutet das auch ein Hochfahren der Kontakte, wirkt sich das womöglich negativ auf den Verlauf der Infektionen aus. Auch die Wetterbedingungen, beispielsweise Luftfeuchtigkeit oder Temperatur, beeinflussen die Ausbreitung des Virus bisherigen Erkenntnissen zufolge ein Stück weit. Wie stark genau, ist noch unklar.