Unverhofftes Angebot für über 60-Jährige: Warum ich mich mit Astrazeneca impfen lassen möchte
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Eine Spritze mit dem Impfstoff von Astrazeneca.
© Quelle: jens schlueter
Nein, ich freue mich nicht, wenn das Unglück eines anderen mir einen Vorteil verschafft. Dafür ist mir die Not derer, die gerade einen geliebten Menschen nach der Impfung mit Astrazeneca verloren haben oder die schwer erkrankt sind, zu spürbar. Dafür war die Sorge um die 20 beziehungsweise 30 Jahre jüngeren Patentöchter zu groß, die als Lehrerin und Ärztin demnächst geimpft werden sollen. Was, wenn sie Astrazenecas Impfstoff erwischt hätten? Was, wenn bei einer von ihnen die gefürchtete Hirnvenenthrombose aufgetreten wäre? Was aber auch, wenn sich für alle jüngeren Menschen, die in ihren Berufen oder wegen einer Vorerkrankung durch das Coronavirus besonders gefährdet sind, das Impfen nun noch weiter hinauszögert?
Aber: Ich schäme mich auch nicht. Ich habe mir als gesunde 64-Jährige mit nur altersbedingt leicht erhöhtem Covid-19-Risiko die Chance auf eine frühere Immunisierung nicht erschlichen. Keiner der rund 10,3 Millionen Menschen in meiner Altersgruppe der 60- bis 69-Jährigen hat sich diesen Vorteil erschlichen. Deshalb lasse ich mich mit Astrazeneca impfen.
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Die Pandemie und wir
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Chance auf Schutz nutzen
Die Politik hat nur aus der Not heraus endlich das getan, was sich so viele in so vieler Hinsicht schon so lange wünschen: Sie hat reagiert. Flexibel, vorausschauend und zügig. Es wäre unaufrichtig, wollte ich behaupten, dass die Aufnahme der über 60-Jährigen in die Gruppe der ab sofort Impfberechtigten mich nicht freut – oder nicht doch zumindest erleichtert. Und dass ich meine Chance auf Schutz nicht gern nutzen werde.
Es liegt zum Teil daran, dass die sogenannte britische Virusvariante B.1.1.7 nun auch meine Altersgruppe stärker bedroht, als Sars-CoV-2 es tat. Und ja, es liegt auch daran, dass ich dem Tag entgegensehe, an dem ich aus der Ödnis von mittlerweile sechs Monaten Homeoffice in die Lebhaftigkeit der Redaktion zurückkehren kann. Mit aller Wachsamkeit, die jüngeren, ungeimpften Kollegen nicht durch laxen Umgang mit Abstand, Masketragen, Hygiene zu gefährden. Und wenn ich irgendwann meine Freunde und meine Familie, die nicht in meinem Haushalt lebt, einfach wieder umarmen kann.
Vor allem aber bin ich überzeugt: Jede große gesellschaftliche Gruppe, die geschützt wird, ist für alle ein Gewinn. Die baldige Vergabe des Astrazenca-Impfstoffs an alle, bei denen das Risiko eines Impfschadens geringer einzuschätzen ist als das Risiko einer Covid-Infektion, nützt auch den Jüngeren. Weil sie Kapazitäten frei macht für die Impfung jüngerer Menschen mit anderen Vakzinen. Weil sie die langfristige Belegung von Intensivbetten reduziert. Weil sie Ängste dämpfen kann. Je mehr Menschen geimpft sind, desto weniger Schaden kann das Virus anrichten. Egal, welchen Alters diese Menschen sind.
Ich sehe meine unerwartete Chance nicht nur als Privileg, sondern auch als Verpflichtung an.
Meine Kohorte der 60- bis 69-Jährigen ist mobil. Wir leben nicht abgeschottet in „altersgrechten“ Wohnungen, wir halten auch nicht alle unseren Bauch in die Sonne Mallorcas. 4,3 Millionen von uns sind erwerbstätig. Wenn wir ohne Gefahr an unsere Arbeitsplätze zurückkehren können, ist das ein Gewinn für die Wirtschaft. Wir sind – gemessen an unserem Bevölkerungsanteil – überproportional ehrenamtlich aktiv. Wenn wir ohne Angst wieder einsteigen können etwa in die Obdachlosenunterstützung oder die Mittagsbetreuung an den Schulen oder den Besuch im Hospiz, dann kehrt auch ein Stück gesellschaftliches Leben zu denen zurück, die im Moment viel zu oft alleingelassen sind.
Entlastung anderer Generationen
Wir sind Großmütter, Großväter, Großtanten. Wenn wir wieder ohne die Gefahr einer Ansteckung mit Enkeln, Großnichten und-neffen zusammenkommen können, dann tut das nicht nur unseren Seelen gut. Unterstützung bei der Betreuung entlastet auch in erheblichem Maße einen Großteil genau der Generation, die in der Pandemie zwischen erschwerten Arbeitsbedingungen, Schul- und Kitaschließungen aufgerieben wird.
Aus all diesen Gründen rufe ich gleich nach Ostern meinen Hausarzt an. Er kann beurteilen, ob es irgendwelche medizinischen Gründe gibt, warum ich trotz meines Alters lieber nicht auf den Astrazeneca-Impfstoff setzen sollte. Wenn er grünes Licht gibt, melde ich mich sofort im Impfzentrum an. Es sind vielleicht große Worte, aber: Ich sehe meine unerwartete Chance nicht nur als Privileg, sondern auch als Verpflichtung an. Ein Restrisiko bleibt im Leben immer.