Vierte Corona-Welle: Inzidenz steigt früher und schneller als im Vorjahr – wieso?

Bayern, Berchtesgaden: Touristen stehen am Ablegesteg des Königssee. In der Urlaubsregion Berchtesgadener Land gelten wegen erhöhter Inzidenz wieder mehr Corona-Regeln.

Bayern, Berchtesgaden: Touristen stehen am Ablegesteg des Königssee. In der Urlaubsregion Berchtesgadener Land gelten wegen erhöhter Inzidenz wieder mehr Corona-Regeln.

Die Corona-Lage in Deutschland bleibt angespannt: Innerhalb eines Monats hat sich die Sieben-Tage-Inzidenz etwa vervierfacht. Vor allem in der Altersgruppe der Zehn- bis 34-Jährigen lässt sich ein deutlicher Anstieg der Kennzahl beobachten. Das Robert Koch-Institut (RKI) bezifferte die bundesweite Inzidenz am Freitagmorgen mit 20,4. Sie steige früher und schneller an als im vergangenen Jahr, und das trotz steigender Impfquote, schrieb die Behörde am Donnerstag auf Twitter. Wie kann das sein?

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Delta-Variante dominiert das Infektionsgeschehen

Dieses Jahr haben wir eine ganz andere Ausgangssituation mit einer viel gleichmäßigeren Verbreitung des Virus in der Bevölkerung.

Marco Binder, Virologe am Deutschen Krebsforschungszentrum

„Ich denke, das hat verschiedene Ursachen”, sagte Virologe Marco Binder vom Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). Zum einen sei man mit sehr niedrigen Fallzahlen im vergangenen Jahr in den Sommer gestartet, die „stark in regionalen Ausbrüchen konzentriert waren”. Erst über den Sommer und Herbst habe sich das Virus damals in der Fläche ausgebreitet. „Dieses Jahr haben wir eine ganz andere Ausgangssituation mit einer viel gleichmäßigeren Verbreitung des Virus in der Bevölkerung.”

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Und noch etwas ist anders: Das Coronavirus hat sich verändert. War es im vergangenen Jahr noch der zuerst in China entdeckte Wildtyp, der sich in Deutschland ausbreitete, ist es jetzt die ansteckendere Delta-Variante. Sie macht nach Angaben des RKI inzwischen 97 Prozent aller Neuinfektionen aus. „Die aktuelle Delta-Variante zeichnet sich durch eine mehrfach erhöhte Übertragungsfähigkeit aus, wodurch ein einzelner Infizierter mittlerweile im Durchschnitt deutlich mehr Menschen ansteckt, als das im letzten Jahr der Fall war”, sagte Binder.

Anteil vollständig Geimpfter ist noch zu gering

Schutz vor Delta bietet nach ersten Erkenntnissen eine vollständige Impfserie. Diese haben bisher 54,1 Prozent der Deutschen abgeschlossen. 62,2 Prozent haben zumindest eine Impfdosis erhalten. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) mahnte jedoch am Freitag auf Twitter: „Das ist noch zu wenig, um gut geschützt durch Herbst und Winter zu kommen.”

Angesichts der Delta-Variante reicht die Quote der vollständig Geimpften noch lange nicht für eine Herdenimmunität aus.

Prof. Clemens Wendtner, Infektiologe an der München Klinik Schwabing

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Dieser Meinung ist auch der Infektiologe Prof. Clemens Wendtner von der München Klinik Schwabing: „Angesichts der Delta-Variante reicht die Quote der vollständig Geimpften noch lange nicht für eine Herdenimmunität aus, maximal für einen partiellen ‚Herdenschutz’”, sagte er dem RND. „Wir sehen jetzt also den Effekt des Virus hauptsächlich in der ungeimpften beziehungsweise nur teilweise geimpften Bevölkerung widergespiegelt.” Die gestiegene Sieben-Tage-Inzidenz müsse als Mahnung verstanden werden, die Corona-Impfungen „möglichst lückenlos” durchzuführen.

Nach Berechnungen des RKI müssten sich in der Altersgruppe der Zwölf- bis 59-Jährigen mindestens 85 Prozent und bei den über 60-Jährigen etwa 90 Prozent vollständig impfen lassen, um die Ausbreitung des Coronavirus kontrollieren zu können. Dieses Ziel konnte bislang noch nicht erreicht werden: Bei den Zwölf- bis 17-Jährigen haben gerade einmal 11,5 Prozent zwei Impfungen erhalten – was unter anderem daran liegt, dass für sie erst spät ein Impfstoff zugelassen wurde –, bei den 18- bis 59-Jährigen sind es 55,4 Prozent und bei den über 60-Jährigen 80,7 Prozent (Stand: 5. August).

Kinder mit Covid-19 im Schnitt nach sechs Tagen gesund
ARCHIV - 30.07.2021, China, Xiamen: Ein medizinischer Angestellter entnimmt einem Kind eine Abstrichprobe f��r einen Corona-Nukleins��uretest in einem Testzentrum im Distrikt Siming. Heranwachsende mit Covid-19-Symptomen sind einer Studie zufolge im Durchschnitt nach sechs Tagen wieder gesund. (zu dpa ��Studie: Kinder mit Covid-19 im Durchschnitt nach sechs Tagen gesund��) Foto: Zeng Demeng/XinHua/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Kinder und Jugendliche spüren nach einer Infektion oft nicht einmal Symptome. Forscher haben nun untersucht, wie eine Erkrankung verläuft, wenn sie es doch tun.

In einem Leitfaden des RKI, den die Behörde Ende Juli veröffentlicht hat, heißt es: „Je nach Impfquote, die in den nächsten Monaten (...) erreicht wird, ist von einem mehr oder weniger starken Anstieg der Anzahl der schweren Fälle und ITS-Belegung (Belegung der Intensivstationen und -betten, Anm. d. Red.) durch Sars-CoV-2 im Herbst beziehungsweise Winter auszugehen.” Je höher die Impfquote ist, desto geringere Werte könnten bei den Corona-Indikatoren wie der Sieben-Tage-Inzidenz beobachtet werden.

Breitere Corona-Testungen möglich

Virologe Binder sieht noch einen weiteren Grund für die aktuelle Entwicklung des Infektionsgeschehens. Er vermutet, dass in diesem Jahr mehr und breiter auf das Coronavirus getestet wird, wodurch die Dunkelziffer niedriger sein könnte. „Man bedenke: Letztes Jahr gab es zu dieser Zeit noch keine Antigenschnelltests!”, sagte er gegenüber dem RND.

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Allein in der vergangenen Woche erfasste das RKI 567.866 Testungen, etwas weniger als in den Wochen zuvor. Dafür steigt der Anteil der positiven Tests seit Ende Juni kontinuierlich, wie aus dem wöchentlichen Lagebericht der Behörde vom 5. August hervorgeht. Zuletzt betrug der Positivenanteil 2,96 Prozent. Nimmt er zu, spreche das dafür, dass sich das Testen auf die tatsächlich Erkrankten konzentriert, erklärte Prof. Reinhard Busse, Leiter des Fachgebiets Management im Gesundheitswesen an der TU Berlin und Co-Direktor des European Observatory on Health Systems and Policies, am vergangenen Dienstag bei einer Veranstaltung des Science Media Centers. Sinkt die Positivenrate, werde mehr Normalbevölkerung mitgetestet.

„Wir erwarten jetzt wieder einen steigenden medizinischen Bedarf an Testungen bei Personen mit Symptomen und auch zur Nachverfolgung der Kontaktpersonen”, sagte Michael Müller, Vorstandsvorsitzender der Akkreditierten Labore in der Medizin, Anfang August. Er appellierte, sich vor allem dann testen zu lassen, wenn coronatypische Symptome auftreten oder unspezifische Erkältungsanzeichen. „So können wir dafür Sorge tragen, dass sich andere Menschen nicht anstecken.”

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